: Wem die Stunde schlägt
Einkaufen Der Onlinehändler Amazon bietet Berliner Kunden die Lieferung innerhalb einer Stunde an. Das wird Folgen für die Geschäfte haben, so der Einzelhandelsverband
Nils Busch-Petersen, Handelsverband
von David Joram
Kunden wie Max Bittner lieben sie bei Amazon. „Um für Kleinigkeiten Schlange zu stehen, bin ich einfach zu faul“, sagt der 25-jährige Wirtschaftsstudent. Darum kauft Bittner fast nur online ein, vornehmlich beim Marktführer Amazo. Der liefert inzwischen so gut wie alles: vom klassischen Buch über Bobby Cars bis zur Bratsche. Jetzt auch in Rekordzeit: Innerhalb von lediglich einer Stunde ab Bestellung können Berliner Kunden ihre Ware erhalten. Das kündigte das Unternehmen am Mittwoch – nachträglich – an.
Den einstündigen Lieferservice, von dem ausschließlich so genannte Amazon-Prime-Mitglieder wie Max Bittner profitieren, gibt es bereits: unter anderem in Manhattan, Mailand und London. Aber bisher nicht in Deutschland. Vielleicht weil die Deutschen mehrheitlich Internetmuffel sind. Tatsächlich werden 89 Prozent aller Einkäufe in Berlin offline getätigt, geht aus einer Statistik des Handelsverbands Berlin-Brandenburg (HBB) hervor.
Doch der Onlinehandel wächst stetig. Aus den 11 Prozent Onlineeinkäufen dürften bald deutlich mehr werden. Nicht zuletzt in Berlin: Die Stadt gilt laut HBB-Chef Nils Busch-Petersen als besonders fortschrittlich, was virtuelles Shopping betrifft. Deswegen dient Berlin Amazon als Testballon für sein Premiumangebot.
Der US-Konzern hat ein Warenlager für mehrere zehntausend Artikel im Ku’damm-Karree in der City West angemietet; bereits seit dem 11. Mai läuft der Versand. Von dort aus ist es möglich, Prime-Kunden in einer Stunde zu beliefern. Das Angebot gilt ab einem Verkaufswert von 20 Euro, die Versandkosten betragen 6,99 Euro. Prime-now-Kunden, die es weniger eilig haben, warten bis zu zwei Stunden und zahlen dafür keine Versandkosten. Vorrangig werden Produkte angeboten, die leicht transportabel sind, darunter auch verpackte (frische und tiefgekühlte) Lebensmittel.
Recycelbare Verpackungen
Um die Auslieferung kümmern sich die Kurierdienste Interkep und GO. „Das sind zwei Partner, die wir ganz bewusst ausgewählt haben“, sagt Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher. GO und Interkep werden einen Teil der Waren mit elektrisch angetriebenen Lastenfahrrädern transportieren, die Verpackungen sollen mehrmals verwendet werden können.
Über entsprechende Amazon-Pläne ist schon Ende März berichtet worden, bestätigen wollte der Konzern lange Zeit aber nichts. Die Geheimniskrämerei gehört bei Amazon zum Geschäftsmodell. Das gilt auch für die Frage, wie viele Prime-Kunden es in Berlin gibt.
Jene erhielten bisher für einen Jahresbeitrag von 50 Euro zum Beispiel versandkostenfreie Lieferungen und Zugang zu von Amazon produzierten TV-Serien. Für Studierende wie Max Bittner kostet das Angebot lediglich 25 Euro. „Voll in Ordnung“, findet Bittner den Preis. Auch Lebensmittel wird er künftig bestellen, sagt er. „Der Optimalfall sieht so aus: Du kommst zu Hause an, und zeitgleich wird dein Einkauf geliefert.“
Genau vor solchen Menschen fürchtet sich der Einzelhandel. Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Berliner Handelsverbands, fordert von den Geschäften daher, sich immer wieder neu zu erfinden. Die Zukunft dürfte von vielen Max Bittners geprägt werden, glaubt Busch-Petersen: „Wenn das Angebot da ist, wird es auch angenommen.“ Er rät Einzelhändlern, das Einkaufen noch stärker zu „eventisieren“: „Das muss ein Erlebnis sein, auf das die Menschen nicht verzichten können.“
Max Bittner freut sich über den neuen Service – moralische Bedenken hin oder her. Nicht erst seit die New York Times 2015 über Amazon-Mitarbeiter berichtete, die überlastet seien und systematisch überwacht würden, beurteilen Gewerkschaften den Konzern kritisch. „Natürlich kriegt man mit, dass bei Amazon viele Dinge nicht gerecht ablaufen. Da würde ich mir mehr Transparenz und eine gerechtere Behandlung wünschen. Beim Bestellen macht man sich aber keinen Kopf drum“, spricht Bittner aus, was wohl viele Menschen denken. Letztlich zähle der kundenfreundliche schnelle Service.
Und der werde angenommen, versichert Stephan Eichenseher am Mittwoch. „Wir hatten einen schönen Ansturm, da war richtig was los“, sagt er. Genaue Zahlen nennt er – natürlich – nicht.
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