piwik no script img

Faustisches zur Feier

MINIMAL MUSIC Der NDR und die Kunstfestspiele Herrenhausen gratulieren dem New Yorker Komponisten Steve Reich zum 80. Geburtstag

Steve Reich, ausgerechnet. Als vor einigen Monaten die Farce-Variante eines echten Eklats einen Konzertsaal in der (man wäre versucht zu sagen: Möchtegern-)Musikmetropole Köln erschütterte, entzündete sich der Zorn ungeduldiger Besucher ausgerechnet am Schaffen eines Komponisten, der sonst eher mal als allzu harmlos wahrgenommen wird: Reichs „Piano Phase“ von 1967 mag vieles sein – aber nicht die Zumutung, als die so viele Menschen zeitgenössische, tja, E-Musik wahrnehmen.

Reich, geboren 1936 in New York, ist einer der drei Großen der Minimal Music, und über diese Verzweigung der „zeitgenössischen Klassik“ rümpfen viele, die sich fürs Voranschreiten der Künste interessieren, gerne die Nase: zu viel Wohlklang, zu viel beiläufig zu Goutierendes – und zu wenig vom Anspruch, das Kaputte der Gegenwart, deren Katastrophales auch, in dementsprechend klingendes musikalisches Material zu übersetzen.

Ironisch: Das Stück, das Reich zusammen mit der Videokünstlerin Beryl Korot – verheiratet sind die beiden auch – erarbeitet hat, und das nun in Hannover gespielt wird, setzt sich ausdrücklich mit Katastrophalem auseinander: „Three Tales“ handelt vom Absturz des Luftschiffs „Hindenburg“ 1937 – der ersten massenmedial dokumentierten und verbreiteten Katastrophe des 20. Jahrhunderts –, von den US-Atombombentests der 1940er- und 50er-Jahre und schließlich vom Klonen, bei dem das Eintreten von Katastrophalem vielen ja als bloße Frage der Zeit erscheint.

„Wenn Musik eine politische Idee enthält – schön“, hat Reich, der in Hannover anwesend ist, vergangenes Jahr der Zeit gesagt. „Aber das Wichtigste an einem Musikstück ist, dass es Musik ist.“ Ob bei „Three Tales“ oder auch dem anderen nun vom einschlägig bestens beleumundeten Ensemble Modern gespielten Stück „WTC 9/11“, das die bedeutendste Katastrophe des frühen 21. Jahrhunderts schon im Titel trägt, das Klingende die Oberhand behält über den Inhalt – die Selbstüberschätzung, das Faustische, das den Menschen treibt? In „Three Tales“ stärken gerade Korots Videos den Verweis aufs Inhaltliche; reizvoll zu erleben, wie die Musik damit korrespondiert.

Beschäftigt haben sich mit Reichs repetitiver, in Loops organisierter Musik naheliegenderweise immer wieder auch Remixer und die Produzenten elektronischer Musik. Anlässlich des hohen Geburtstages hat der NDR nun zwei „Klubkonzerte“ zu Reichs Ehren organisiert: In Hannover und Hamburg überkreuzt das Duo Kiasmos den Minimalismus des Jubilars nun einmal mehr mit tanzbaren Elektronika. Davor präsentiert jeweils das Quintett MiNiM! um den finnischen Jazzgitarristen Kalle Kalima seine Reich-Interpretationen. ALDI

„Three Tales“ und „WTC 09/11“: Fr, 13. Mai, 20 Uhr, Musikhochschule Hannover, Richard Jakoby Saal

Hommage an Steve Reich mit Kiasmos und MiNiM!: Mi, 11. Mai, 20 Uhr, Hannover, Musikzentrum; Fr, 13. Mai, 20 Uhr, Hamburg, Uebel & Gefährlich; einen Mitschnitt sendet NDR Kultur am Di, 17. Mai, um 22.35 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen