Wissenschaft trifft Kunst: Ausflug nach Spitzbergen
Der Kunstverein Bremerhaven zeigt Teil II der Arktis-Ausstellung von Nathalie Grenzhaeuser. Sie bildet ab, was sie vorfindet – aber stark bearbeitet
Grenzhaeuser erzählt vom norwegisch verwalteten Spitzbergen. Spitzbergen war und ist international. Während des kalten Krieges war es so international, dass West- und Ostmächte gleichermaßen auf der Insel anzutreffen waren. Das ist auch in Grenzhaeusers Arbeit zu sehen.
Bereits seit neun Jahren reist die 1969 in Stuttgart geborene Künstlerin dorthin. Zuletzt kam sie in der deutsch-französischen Awipev-Station in Ny-Ålesund unter, einem der nördlichsten Orte der Welt. Ermöglicht wird ihr diese aufwendige Arbeit durch das inzwischen seit gut vier Jahren laufende Projekt „Wissenschaft und Kunst“ des Alfred-Wegener-Instituts und des Helmholtz-Zentrums für Polar- und Meeresforschung – beide mit Sitz in Bremerhaven.
Bereits zu Beginn dieses Jahres würdigte die Städtische Galerie Delmenhorst Grenzhaeusers künstlerische Expeditionsarbeit mit einer Ausstellung, in der der erste Teil ihrer „Arctic Series“ gezeigt wurde. In der zweiten Ausstellung kann man nun etwa zahlreiche Fotografien sehen, die Nathalie Grenzhaeuser während ihrer Expedition von im norwegischen Spitzbergen ansässigen Forschungsstationen aufgenommen hat.
Keine Dokumentarfotografie
Auch wenn der Gedanke naheliegt – um klassische Dokumentarfotografie handelt es sich bei diesen Aufnahmen nicht. Die Bilder sind stark bearbeitet. Die Dinge, die Grenzhaeuser vorgefunden hat, sind auf den ausgestellten Abzügen und in ihren Videos neu zusammengesetzt und weich gezeichnet oder extrem vergrößert. Es sind schon noch die Dinge der wirklichen Welt da draußen, die uns in diesen Arbeiten begegnen – bloß finden wir sie massiv überformt vor.
Es sind eigenartige Gebäude auf den Bildern zu sehen, die entfernt an Raumschiffe erinnern, die ihren Weg durch das All aus einem unerfindlichen Grund in diese ewige Winterlandschaft geführt hat. Diese seltsamen Geschöpfe industrieller Baukunst sieht man da im Schnee hocken. Vollkommen frei von Sinn und Intention. Ein in den Berg gerammtes Dreieck, eine weiße Kugel mit Antenne, und dann auch etwas vollkommen aus der Zeit gefallenes, wie eine primitive Holzkiste mit Schornstein.
Weder ihre räumliche Dimension noch ihre hochtechnisierte Innenwelt kann man sehen. Und so bleibt nur Wundern und Staunen über ihre Hülle. Das sind die westlichen, in Betrieb stehenden Forschungsstätten. In ihnen werden die Werte von Luft und Wasser gemessen und Saatgut archiviert. Der in den Fels gerammte Keil ist nur der Eingang zur Saatgutsammlung von Monopolisten wie Monsanto.
Die Firma ist berüchtigt für die Vernichtung vererbungsfähigen Saatguts, indem sie den Markt mit vererbungsuntüchtigen Hybridsamen überschwemmt. In Spitzbergen sichert sie das Erbgut sämtlicher Pflanzen der Welt. Ihr Bau setzt sich im Inneren der Erde fort und hat immensen Einfluss auf die Zukunft der globalen Landwirtschaft. Der Zutritt ist hier verboten.
Verbretterter Kohleschacht
Was die Künstlerin jedoch zeigt, ist das Innenleben der verlassenen ehemaligen sowjetischen Anlagen. Hier ist niemand mehr, der ihr den Zutritt verwehren könnte. Über einen kahlen Berg schleppt sich ein blau verbretterter Kohlenförderschacht.
Eine Innenansicht zeigt eine schiefe Decke über nutzlos gewordenen Schienen. Dann wieder ein verlassener Flur in einem Verwaltungsgebäude: Aus den geöffneten Türen strömt helles Licht in den rosanen Trakt. Die Decke ist übersät mit Wasserflecken. Dann sieht man es auf einem ungepflegten Platz vor kargen Bergen stehen: ein ebenfalls ausgedientes und zurückgelassenes steinernes Lenin-Porträt auf einem Sockel.
Zwischen der Leere der Leere und Seltsamkeit der Polarfotografien hat die Künstlerin Sitzkissen platziert, die sie deutlich an Eisbergen abgelegt hat. Die weißen Raumplastiken sind in Quadrate unterteilt, als seien sie von einem Programm zur Vermessung ihrer Masse skaliert worden. Bequem sind sie. Ihre Zacken leisten dem Rücken ausreichend Widerstand.
Materialität scheint Grenzhaeuser auch in einer anderen Arbeit wichtig, dem Video mit dem Titel „Black Ice“. In einem Eisforschungszentrum hat die Nitsch-Schülerin das Schmelzen unterschiedlicher Eisarten unter die Lupe genommen – optisch wie akustisch. Gletscher-, Boden- und Zapfeneis kann man beim Schmelzen aus nächster Nähe beiwohnen. Die Oberfläche schmelzenden Eises sieht nicht immer aus wie die Würfel, die in der Werbung von Cola übergossen werden. Hier geraten sie in Bewegung, werden klein und klären sich.
Das „Black Ice“ in Grenzhaeusers Videoarbeit hingegen erinnert an einen Sumpf oder schmelzenden Kunststoff. Es schlägt dunkle und giftige Bläschen. Man hört es knacken und murmeln, dann wieder klingt es wie der Fraß hunderter Insekten. Schließlich ist man ein wenig irritiert, dass der fremde Norden weit fremder sein kann, als man es sich vorzustellen vermochte.
Vielleicht nimmt man dann noch mal auf dem Sitzsack-Felsen Platz und wartet auf die Fortsetzung der Ausstellungsreihe, auf „Arctic Series III“, in welchem norddeutschen Ausstellungshaus auch immer. Denn die Polargegend ist karg, aber weit.
The Arctic Series II: bis 29. Mai, Kunsthalle Bremerhaven
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