Forschung 1947 wurde das Zika-Virus in Uganda entdeckt. Dann ist es wieder verschwunden. Warum?: Das Geheimnis vom Zika-Wald
aus Entebbe und dem Zika-Wald Simone Schlindwein
Ester Kilabo schlurft mit Flipflops durch das Unterholz. Das 15-jährige Mädchen lebt mit ihren Eltern in einer Wellblechhütte am Rand des berüchtigten Zika-Walds in Uganda, dem Ursprungsort des Zika-Virus. Kilabo ist hier aufgewachsen, den Zika-Wald bezeichnet sie als ihren Garten: Darin sammelt sie Pilze, wilde Erdbeeren, Feigen – und auch Moskitolarven für Ugandas Virenforscher.
„Zika“ bedeutet in der ostafrikanischen Sprache Luganda „überwuchert“ – eine treffende Beschreibung für den Wald mit seinen uralten Bäumen und kreuz und quer wachsenden Wurzeln. Der ursprüngliche Regenwald erstreckt sich entlang des sumpfigen Ufers des Victoriasees, weniger Kilometer außerhalb der Kleinstadt Entebbe wo der internationale Flughafen liegt. Das 25 Hektar große Naturschutzgebiet steht seit 1937 unter der Leitung des ugandischen Virusinstituts, sozusagen ein Freilichtlabor. Darin finden Forscher immer wieder gefährliche Viren, darunter auch das jetzt am anderen Ende der Welt virulent gewordene Zika.
Flink huscht Kilabo über gewaltige Wurzeln, dick wie Elefantenbeine. Mitten im dunklen Wald zeigt sie auf einen Turm, der wie ein Telefonmast aussieht. Sie streift die Plastiklatschen ab und klettert die Leiter empor: „Hier sind die Behälter mit Wasser, in die die Moskitos ihre Eier legen“, sagt sie und zeigt auf die Ecken der Plattform auf halber Höhe des Mastes. „Es gibt hier Anopheles und Aedes-Moskitos.“
Immer mittwochs, erzählt sie, kommen die Mitarbeiter des Virusinstituts angefahren. Dann sammelt Kilabo die Larvenbehälter vom Turm ein und übergibt sie den Wissenschaftlern: „Sie sagen mir aber nie, was sie da in den Eiern finden.“ Von den gefährlichen Viren habe sie gehört, doch sie fürchte sich nicht: „Es leben schon so lange Menschen hier am Waldrand, und niemand ist je krank geworden.“ Dann schlurft sie weiter, den Trampelpfad entlang, und zeigt auf bunte Pilze am Wegrand: „Die sind giftig.“ Einige Meter weiter pflückt sie einen anderen Pilz: „Die hier essen wir als Suppe.“ In den Baumkronen fiept es. Sie blickt nach oben: „Das sind Rotschwanzaffen, davon gibt es hier viele. Und Rhesusaffen.“ Sie guckt wieder auf den Boden, wo es im Laub raschelt: „Und es gibt viele Schlangen und Leoparden.“
Am anderen Ende des Walds erhebt sich ein Felsen aus Millionen Jahre altem Vulkangestein aus dem sumpfigen Boden. Kilabo zeigt auf eine Höhle, die groß genug ist, dass sie darin stehen kann. „Bemba Musota“ lautet der Name dieser Grotte, benannt nach einem König der lokalen Baganda-Ethnie aus dem 15. Jahrhundert. „Musota“ heißt übersetzt „Schlange“, sie ist das Totem eines Klans, der entlang des Victoriasees siedelt.
Der fiebrige Rhesusaffe
Jahrhundertelang beteten die Ugander hier den Schlangengott an, brachten ihm Blutopfer, Ziegen und Hühner. Kilabo zeigt auf lila Plastikstühle in der Höhle: „Hier beten jetzt die ‚Born Again‘-Christen“, erzählt sie. Immer morgens und abends kämen sie in den Wald – „sie wollen den Schlangengott vertreiben“, erklärt das Mädchen. Dieser bringe gefährliche Krankheiten. In genau jener Höhle hatten Virologen 1947 einen fiebrigen Rhesusaffen gefunden, der, wie sich später im Labor herausstellte, am Zika-Virus erkrankt war.
Zehn Kilometer weiter südlich, nahe dem Flughafen und dem Amtssitz von Ugandas Präsident Yoweri Museveni, schmiegt sich das Virusinstitut an einen Hügel, eine Hochsicherheitseinrichtung hinter Zäunen, bewacht von Sicherheitsmännern. Jedes der zahlreichen Gebäude ist elektronisch abgeriegelt: An jeder Tür werden Fingerabdrücke gescannt. Hier darf niemand unerlaubt hinein – und nichts unerlaubt hinaus, denn hier lagern rund 70 der gefährlichsten Viren weltweit, darunter das Ebola- und das Marburg- sowie das Zika-Virus, das jetzt Südamerika heimsucht. „Alle Viren bei uns sind unschädlich gemacht“, erklärt Institutsdirektor Edward Katongole Mbidde: „Dennoch sind die Sicherheitsvorkehrungen notwendig.“ Sie sind vor fünf Jahren installiert worden, kurz nach den Terroranschlägen somalischer Islamisten in der 40 Kilometer entfernten Hauptstadt Kampala.
Direktor Mbidde, ein älterer Ugander mit grauem Haar und feinem Oxfordenglisch, sitzt an einem Konferenztisch in seinem Büro. Das Jahrzehnte alte Gebäude erinnert an die Glanzzeit britischer Kolonialmacht in Afrika: dicke Mauern, hohe Decken, lange, dunkle Flure mit Schwingtüren und Linoleumboden. Es riecht nach Scheuermilch und Desinfektionsmittel. Laborassistenten huschen in weißen Kitteln durch die Gänge, sie tragen blaue Gummihandschuhe und Tüten mit „Biohazard“-Warnzeichen.
Auch an vielen Labortüren klebt das Warnsymbol. Dahinter befindet sich dann eine Schleuse, in der die Forscher in Schutzanzüge steigen. „Wir analysieren gerade Blutproben aus Norduganda auf Polio“, erklärt ein vermummter Virologe. Ein anderer hastet mit einer Kühlbox herein. „Die Proben aus Masaka“, raunzt er dem Pförtner zu. In einigen Fischerdörfern in der Nähe der Kleinstadt Masaka ist eine Epidemie ausgebrochen, zehn Menschen starben. Die Virologen suchen nach der Ursache.
Von allen ungeklärten Krankheiten in Ostafrika lagern Blutproben im Virusinstitut in Entebbe. Über 400 Forscher arbeiten hier, darunter Amerikaner, Kanadier, Australier und Briten. „Die globale Zusammenarbeit ist wichtig, wir sind hier alle eine große Familie“, erklärt Direktor Mbidde. Derzeit tüftelt ein internationales Team an einem Aids-Impfstoff. Der HI-Virus ist das Hauptforschungsgebiet des Instituts.
Aber auch im Kampf gegen Ebola spielt Uganda eine entscheidende Rolle. Laut Mbidde ist es noch immer das gefährlichste Virus weltweit. Ugandas Ebola-Notfallteam, das 24 Stunden rund um die Uhr abrufbereit ist, war 2014 das erste, das nach Westafrika reiste – ausgestattet mit Schutzanzügen und ihrer langjährigen Erfahrung bei Ebola-Epidemien. Dank des schnellen Einschreitens der Virologen gelingt es in Uganda immer besser, die Epidemien rasch einzudämmen. Die Schreibtische und Labore im Ebola-Trakt sind verwaist. Die Ebola-Experten sind in Sierra Leone unterwegs, um dort ein Frühwarnsystem nach dem Vorbild Ugandas aufzubauen.
Gefragt sind die Ugander jetzt auch in Südamerika. Das Zika-Virus ist eines der ältesten im Katalog von Entebbe: Das Institut wurde 1936 unter britischer Kolonialherrschaft von der Rockefeller-Stiftung gegründet. Europas Tropenärzte suchten damals nach den Ursachen für eine rätselhafte Krankheit in Ostafrika, die sie Gelbfieber nannten und die die weißen Kolonialherren dahinraffte. Die lokale Bevölkerung wies lediglich ein paar Grippesymptome auf, war also quasi immun. Aus dem Blut des 1947 in der Höhle im Zika-Wald gefunden fiebrigen Rhesusaffen extrahierte das Institut eine neue, dem Gelbfieber verwandte Virenart, die sie 1952 auch in Tansania feststellten. Doch in den 1960er Jahren verschwand der Erreger wieder. Jahrzehntelang wurde weltweit kein einziger Fall dokumentiert – bis es 2007 auf den Inseln Mikronesiens, 2013 in Polynesien und nun in Südamerika wieder auftauchte.
Im Wald, da ist kein Virus
Ugandas führender Zika-Forscher, Doktor Julius Lutwama, ist seitdem ständig unterwegs. Regelmäßig fliegt er zwischen Brasilien, dem Zika-Notfallzentrum im amerikanischen Center of Desease Control in Atlanta und Entebbe hin und her. Gerade kommt er aus Norduganda zurück. Am nächsten Morgen soll es nach Westuganda weitergehen – überall im Land sucht er derzeit nach dem Zika-Virus. Er wartet gespannt auf die Ergebnisse der Proben aus Masaka, die sich in der Zentrifuge drehen sollten. Verdutzt bleibt er am Eingang des Instituts stehen: Es ist stockduster in den Gängen, der Daumenscanner reagiert nicht, von Weitem hört man das Piepsen des Notfallalarms. Stromausfall. Lutwama zückt sein Handy, um die Elektrofirma anzurufen: „Das darf nicht passieren, das zerstört unsere Proben in den Kühlschränken“, erklärt er am Telefon. Wenige Minuten später flackern die Neonröhren, Lutwama seufzt erleichtert.
Der Chef der Virologie gibt zu, derzeit vor einem Rätsel zu stehen. In Uganda, so weiß Lutwama, der seit 31 Jahren im Virusinstitut tätig ist, habe Zika nie schwere Symptome hervorgerufen: leichtes Fieber, Müdigkeit, Ausschlag – „nichts, weswegen ein Ugander zum Arzt gehen würde“, sagt der Virenforscher. Vielleicht seien ihm deswegen keine Fälle bekannt, weil der Krankheitsverlauf so mild sei, dass jeder Ausbruch einfach unbemerkt vorübergehe. Folgeerscheinungen wie Mikrozephalie bei Neugeborenen, die nun in Südamerika nachgewiesen wurde, habe es in Uganda nie gegeben. Wieso? Was ist mit dem Zika-Virus bei seiner jahrzehntelangen Reise um die Welt geschehen? – All diesen Fragen will Lutwama jetzt in Uganda auf den Grund gehen. Sein Ausgangsort: der Zika-Wald, wo das Virus einst gefunden wurde. Jede von Kilabo eingesammelte Moskitolarve wird derzeit von seinen Mitarbeitern sorgfältig auf Zika untersucht, bislang ohne Erfolg.
„Wir Ugander scheinen irgendwie immun gegen Zika zu sein“, erklärt Lutwama. Seine Theorie: In Uganda gebe es so viele mit dem Zika verwandte Viren, dass die Menschen von Geburt an über Antikörper verfügen, die die Vermehrung von Zika im Blut unterbinden. Die Auswertung der Archive über die ersten Zika-Studien in dender 1950er Jahre hätten zudem ergeben: Das Zika-Virus wurde damals in Uganda nur von wenigen Moskitos übertragen – Moskitos, die nur selten Menschen stechen.
In Brasilien und Kolumbien hingegen verfügen die Menschen über keinerlei natürliche Abwehrkräfte gegen Zika. Das Virus multipliziere sich im Körper daher rasch – als Folge könne fast jeder Moskito eine ausreichende Dosis aufsaugen, um den Erreger von Mensch zu Mensch übertragen. Er suche jetzt in Uganda also nach diesen Antikörpern gegen das Zika. „Vielleicht finden wir damit eine Lösung für die Epidemie auf anderen Kontinenten“, hofft Lutwama – und nicht zuletzt auch für Afrika. Denn durch den stetig steigenden globalen Personen- und Warenverkehr nehme das Risiko zu, dass das mutierte Zika-Virus wieder nach Afrika zurückkehre und dann auch hier verheerende Folgen habe.
So geht Lutwama derzeit jeder ungeklärten Krankheit nach, um das Zika-Virus in Uganda wieder aufzutreiben. Seine Laborantin betritt endlich das Büro und legt ihm eine Mappe mit den Ergebnissen aus Masaka auf den Tisch: Werte, Zahlen, Kurven einer Grafik. Der Virologe studiert alles mit einem gekonnten Blick. „Das ist eindeutig Gelbfieber“, folgert er und seufzt. Das Aufspüren des verschwundenen Zika-Virus sei wie „die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen“.
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