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KommentarMaßstäbe verrutscht

In der Flüchtlingsfrage müssen die Naturschutzverbände dringend wieder politisch agieren

Der Nabu hat es vermieden, sich in seinem offiziellen Beschluss zum Flächenfraß konkret zur Frage der Flüchtlingsunterbringung zu äußern. Doch an der Basis machen die Naturschützer längst mit jenen gemeinsame Sache, die Flüchtlinge angeblich überall gern integrieren würden, nur eben leider nicht da, wo sie selbst wohnen.

Natürlich wäre es toll, allen Geflüchteten Wohnraum per Nachverdichtung zu verschaffen: Baulücken schließen, Häuser aufstocken, Gewerbebrachen umwidmen – so ließen sich die Neubürger über alle Stadtteile verteilen. Aber dies ist ein Vorhaben, das Jahrzehnte dauern wird und auf dessen Realisierung die öffentliche Hand wenig Einfluss hat.

Die Stadt muss sofort handeln. Und dafür muss sie Flächen nutzen, die in ihrem Besitz sind. Auch wenn sie als ökologisch wertvoll gelten, wie heutzutage übrigens fast jede Fläche, die ein paar Jahre brach gelegen hat.

Dass der Grundeigentümerverband dagegen mit juristischen Gutachten zu Felde zieht, ist ein gutes Zeichen: Die Immobilienwirtschaft fürchtet, dass die Wohnungsknappheit gelindert werden könnte, die ihr bislang immer hübsche Extraprofite garantiert hatte.

Dass sich nun der BUND öffentlichkeitswirksam den Grundeigentümern anschließt zeigt, wie bei den Naturschützern die moralischen Maßstäbe verrutscht sind: Es ist eben nicht dasselbe, ob ein skrupelloser Spekulant eine naturbelassene Fläche der Profitmaximierung opfert oder ob sie dringend gebraucht wird, um Kriegsflüchtlingen ein neues Zuhause zu geben.

Die Naturschutzverbände müssen solche Abwägungen in ihr Handeln einbeziehen, müssen wieder politisch agieren, statt nur schematisch das Naturschutzrecht zu exekutieren. Sonst setzen sie sich dem Verdacht aus, ihr Naturschutz würde sich im Heimatschutz erschöpfen, in der Bewahrung der unmittelbaren Umgebung zum Wohle der eingesessenen Bevölkerung.

Globale Verantwortung, der gemeinsame Ursprung von Friedens- und Umweltbewegung, wäre dann nur noch rhetorischer Ballast. Von da wäre es dann nicht mehr weit zu Pressemitteilungen wie: „Nabu kritisiert Napalm-Bombardements des Assad-Regimes wegen fehlender Umweltverträglichkeitsprüfung“. Jan Kahlcke

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