Schauspiel mit Toten: Auf Burg Rossitz spuckt’s
Durch nichts verstellt Alexander Riemenschneiders Bremer Inszenierung von „Die Familie Schroffenstein“ die Sprach-Gewalt Heinrich von Kleists
Vielleicht ist’s ja ein bewusster Effekt. Denn, dass diese junge Liebe keine Chance hat, ist sofort klar, wenn Justus Ritter als Ottokar Rossitz die Frage „Sagt ich/Dir nicht, dass er dich heftig liebe?“ stellt – und sich dabei selbst dieser frikativfreie Satz in einen Sprühnebel verwandelt. Der flirrt eindrucksvoll im Scheinwerferlicht, um sich dann aufs Gesicht von Lina Hoppe zu senken, in der Rolle der Agnes Warwand, die Ottokar in „Die Familie Schroffenstein“ anbetet: Ist nicht Gewalt ein Epiphänomen des Sprechens in Heinrich von Kleists Erstling, der am Samstag im Schauspielhaus Premiere hatte?
Aber – nein. Um etwas auszudrücken, müsste die markant feuchte Aussprache Ritters, der zappelig, augenrollend und spuckend seinen Text aufsagt, stärker in Szene gesetzt und beantwortet werden. Wird sie aber nicht – obwohl Hoppe, die mit klug gezügelter Mimik die inneren Schwankungen, den Trotz, den Stolz, den Zweifel und das Hoffen des Burgfräuleins anrührend gestaltet, sehr partnerbezogen spielt – und auch von Regisseur Alexander Riemenschneider in ein konsequentes „face to face“ gebracht wird.
In die „Familie Schroffenstein“ stellt Kleist zwei Zweige eines Adelsgeschlechts, das Haus Rossitz und das Haus Warwand, einander in Argwohn gegenüber. Denn geht eines der Häuser unter, fällt sein Besitz ans verbleibende. Damit gerät jedes Unglück in den Verdacht, nicht passiert, sondern von den lieben Verwandten verursacht zu sein. Als zwei Warwanditen angetroffen werden, während sie der Leiche des Jüngsten aus dem Hause Rossitz einen Finger abtrennen, werden sie inhaftiert und totgefoltert, wobei sie noch das Wort Sylvester rufen. So heißt – Verdacht erwacht – der Chef der Warwands, den ein sensationeller Alexander Swoboda als herzigsten Schluffi der Welt gibt. Dem aber, und damit erst setzt die eher wirre Handlung des totenreichen Dramas ein, Blutrache geschworen wird, auf Burg Rossitz in Schwaben.
Rossitz und Warwand sind in der Gestaltung Veronica Borns ein und dieselbe Tischplatte. Den Vertretern beider Häuser hat Anna Sophia Röpcke die gleichen Tweedanzüge auf den Leib schneidern lassen, bloß die einen grün-, die anderen lila-schwarz kariert. Und der Tisch steht auf einer runden, mit konzentrischen schwarzen Kreisen bemalten Basis: Sie dreht sich, wenn’s rund geht im Stück. Und jeder vermeintliche Ausweg führt hier doch nur zurück auf Los: einfach und schlüssig. Durch nichts verstellt diese Inszenierung die Sprache Kleists, das Sprechen und das Spiel der DarstellerInnen. Den meisten schaut man gerne dabei zu.
Theater Bremen, Schauspielhaus, nächste Aufführungen: 9., 12. und 20. 5., 20 Uhr, 22. 5. und 12.6. 18.30 Uhr, 18.6., 19 Uhr.
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