Tschernobyl: 30 Jahre danach: Noch lange nicht gelaufen
Trotz der Entscheidung der Bundesregierung, die AKWs abzuschalten, gibt es keinen Grund, sich zurück zu lehnen. Denn viele Fragen sind noch offen.
Das Jahr 2016 ist zum Gedenken prädestiniert. Europa hält inne und erinnert sich aus Anlass des 30. Jahrestages des Reaktorunfalls in Tschernobyl an die Betroffenen und Folgen dieser Katastrophe. Und auch die Katastrophe in Fukushima bietet den Anlass, zurückzuschauen.
Fünf Jahre ist es her, dass Fukushima die Haltung von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Kernenergie veränderte und der Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg beschlossen wurde. Sechs Jahre dauert es noch, bis in Deutschland das letzte kommerzielle Kernkraftwerk vom Netz gehen soll. Im Deutschen Bundestag klopft man sich hierfür in diesem gedenkträchtigen Monat ausnahmsweise einmal überparteilich auf die Schultern.
Wir leben mit unserem Atomausstieg in einer beträchtlichen Blase. Doch vor dieser Blase macht Strahlung genau so wenig Halt wie vor Ländergrenzen. Zu Recht wird in Deutschland seit den Anschlägen in Brüssel am 22. März dieses Jahres vermehrt nach der Sicherheit der AKWs in den Nachbarstaaten gefragt.
Dabei lohnt es sich auch ohne akute Terrordrohungen, nachzuforschen, wie es um die alten Meiler steht. Das wurde erst kürzlich am Beispiel des ältesten französischen Kernkraftwerks Fessenheim deutlich, wo 2014 ein Störfall um einiges harmloser in die Bücher eingegangen ist, als er tatsächlich war.
Neues AKW in Astravyets
Sollte es uns beunruhigen, dass in Weißrussland, wo die Folgen Tschernobyls nach wie vor gravierend sind, mit russischem Know-how in Astravyets ein neues Atomkraftwerk gebaut wird? Die Wahrscheinlichkeit eines weiteren GAU wird dadurch bei 440 weltweit laufenden Kernkraftwerken jedenfalls nicht wesentlich höher.
Viel mehr Sorgen bereiten sollten uns die reellen Katastrophen in der Wertschöpfungskette der nuklearen Energie. Der Uranabbau, der vor allem im globalen Süden stattfindet, ist ein Dauer-GAU für Mensch und Umwelt. Chemikalien und Strahlung verseuchen die Ökosysteme. Viele Menschen arbeiten ohne Gefahrenaufklärung ungeschützt in illegalen Minen.
Dieser Text enstammt einer Sonderbeilage der taz zum Jahrestag der Atomkatastrophe. Junge JournalistInnen aus der Ukraine, Weißrussland und Deutschland schreiben in der Beilage über ihren Bezug zu Tschernobyl. Erfahren Sie mehr zu diesem Projekt bei der taz.panter stiftung.
Ebenfalls zum traurigen Jubiläum erschien in der Wochenendausgabe 23./24. April ein großes Dossier mit dem Titel „Generation Tschernobyl“.
Mehr über die Reaktorkatastrophe sowie die Berichterstattung der taz damals und heute gibt es hier.
Diese Zustände haben wir in Deutschland auch nach unserem „Atomausstieg“ mitzuverantworten. Uran aus Namibia, Usbekistan, Kasachstan und Russland wird im Hamburger Hafen umgeschlagen. Zehn Prozent des weltweit genutzten Urans wird im westfälischen Gronau angereichert und im niedersächsischen Lingen werden Brennelemente für Kernkraftwerke hergestellt – ebenfalls mit einem zehnprozentigen Weltmarktanteil.
Ist es angesichts dieser Fakten nicht vermessen, von einem Atomausstieg zu sprechen? Und wie gehen der Rückbau und die Entsorgung vonstatten und wer zahlt dafür – alles Fragen, auf die die Regierung noch keine Antwort gefunden hat. Die deutsche Anti-Atomkraft-Bewegung soll 30 Jahre nach Tschernobyl ruhig kurz innehalten. Aber nur, um Luft zu holen.
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