: Auf zum Knast
Jedes Jahr wird an Silvester vor dem Knast in Moabit demonstriert – aus Solidarität und um gegen das Einsperren als Lösung sozialer Konflikte zu protestieren
■ Silvester-DemosUnter dem Motto „Silvester zum Knast – Grenzen und Mauern einreißen, für eine solidarische Gesellschaft“ finden dieses Jahr zwei Demonstraionen statt.
■ Demonstration vor die Justizvollzugsanstalt Moabit, Start: 22.45 Uhr, U-Bahnhof Turmstraße
■ Demonstration zur Justizvollzugsanstalt für Frauen in Lichtenberg, Start: 15 Uhr, S-Bahnhof Frankfurter Allee
■ Im Netz: www.abc-berlin.net
Noch drei Tage, dann ist wieder Silvester. Traditionell gibt es Sekt, Tischfeuerwerk, Bleigießen und Dinner for One oder wildes Berauschen und Rumböllern. Seit Jahrzehnten gibt es auch eine politische Alternative: Die traditionelle sogenannte Anti-Knast-Silvesterdemo. Auch in diesem Jahr wird wieder mobilisiert. Los geht es bereits am Nachmittag: Um 15 Uhr startet an der Frankfurter Allee eine Demonstration zur Justizvollzugsanstalt Lichtenberg, die ein reines Frauengefängnis ist. Um 22:45 Uhr beginnt dann am U-Bahnhof Turmstraße wie gewohnt die Demo zur Justizvollzugsanstalt Moabit. Das Motto beider Protestzüge lautet in diesem Jahr: „Grenzen und Mauern einreißen – für eine solidarische Gesellschaft“.
Aufgerufen zu den Demonstrationen hat ein Bündnis aus Einzelpersonen sowie den beiden Gruppen „Freiheit für Mumia Abu-Jamal“ und „Anarchist Black Cross Berlin“ (ABC Berlin). Die Gefangenen-Solidarität hat bei ABC Berlin eine lange Tradition: Bereits in den 1920er Jahren während des russischen Bürgerkriegs unterstützte die Gruppe gefangene AnarchistInnen in Russland.
Die Anti-Knast-Demonstration in Berlin organisiert die Gruppe seit vielen Jahren mit. Wann genau die Demo zum ersten Mal stattgefunden hat, weiß man bei ABC Berlin nicht mehr. Lediglich der Grund ist bekannt: Man wollte den Leuten Gesellschaft leisten, die Silvester allein in ihren Zellen verbringen müssen, während der Rest zusammen feiert. „Es ging darum, ein Zeichen zu setzen“, sagt Murat von der ABC-Berlin. An den Demos der letzten Jahre haben sich mehrere hundert Menschen beteiligt.
Die Forderung hat sich über die Jahre nicht geändert. So verlangen die AktivistInnen eine Gesellschaft, die ohne jegliche Form von Einsperrung auskommt. Die Forderung ist für die Gruppe alles andere als utopisch. Eine hierarchiefreie und solidarische Gesellschaft könne andere Wege finden, als Menschen einfach nur wegzusperren, sagt Murat. Zumal man mit der Inhaftierung von Personen nur die Symptome nicht aber die Ursache bekämpfe. Statt zum Beispiel SexualstraftäterInnen zu inhaftieren, solle lieber untersucht werden, warum die Personen ihre Taten begangen haben. Entsprechend fordert die Gruppe, gesellschaftliche Verhältnisse zu ändern statt Individuen zu kriminalisieren. Diebe sollten nicht bestraft werden, vielmehr solle dafür Sorge getragen werden, dass es erst gar nicht zu Diebstählen komme. Für die Gruppe wäre eine bessere Entlohnung für Arbeit oder die Senkung der Preise für Lebens- und Konsumgüter denkbar. „Die Leute wollen doch auch nur über die Runden kommen“, sagt Murat. Dass in Berlin zur Zeit tausend BerlinerInnen im Gefängnis sitzen, weil sie schwarzgefahren sind, findet Murat „unglaublich“. Bei ihren Forderungen unterscheiden die OrganisatorInnen nicht zwischen politischen Häftlingen und „normalen“ Gefangenen. Für sie seien alle Menschen gleich, so Murat.
Die Forderung des ABC – Gefängnisse grundsätzlich abzuschaffen und die Solidarität mit allen Gefangenen – ist radikal und in der Gesellschaft kaum vermittelbar. Neben der Position, die das „Einsperren“ als Ganzes in Frage stellt, bieten die Anarchisten mit einzelnen Fragestellungen durchaus wichtige Impulse für einen grundsätzlichen Diskurs zum Strafvollzug.
In diesem Jahr wird es zwei Themenschwerpunkte geben: Mit der Demonstration am Nachmittag zur JVA Lichtenberg soll der Fokus auf die Situation von inhaftierten Frauen gelegt werden. Wie Murat berichtet, sitzen viele der Frauen wegen Eigentumsdelikten im Gefängnis. Insbesondere soll auf die inhaftierte Aktivistin Gülaferit Ünsal aufmerksam gemacht werden, die seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt, weil sie die in der Türkei und Deutschland verbotenen marxistischen Organisation „Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front“ unterstützt haben soll. Seit Juli läuft ein Prozess gegen die Aktivistin am Kammergericht Berlin. Die politische Handhabe liefert der Paragraph 129b, der die strafrechtliche Verfolgung von im Ausland aktiven Vereinigungen in Deutschland ermöglicht. „Gülaferit Ünsal ist eine politische Gefangene. Wir fordern ihre Freilassung“, sagt Murat.
Am Abend dann wird es vor allem um die sogenannte „Gefängnisindustrie“ gehen. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich die Teilprivatisierung von Gefängnissen. In den USA und Großbritannien ist dies seit Jahrzehnten reguläre Praxis. Seit einiger Zeit gebe es diesen Trend auch in Deutschland, sagt Murat. Vor allem bei Gefängnisneubauten werde das Outsourcing betrieben. Die Gruppe kritisiert an dem Verfahren, dass private Firmen Gewinne auf Kosten der Häftlinge erwirtschaften. „Es kann nicht sein, dass einzelne Firmen vom Knast-System profitieren“, findet Murat. Wie er berichtet, seien auch in der neu gebauten Justizvollzugsanstalt Heidering in Großbeeren bei Berlin drei Arbeitshallen geplant, in denen Gefangene für Privatunternehmen Vollzeit arbeiten sollen.Die Ausbeutung von Häftlingen ist für den ABC einer von vielen Gründen, an Silvester auf die Straße zu gehen.
Lukas Dubro
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