: Wenn zwei Herzen im Bauch schlagen
ÜBERRASCHUNG Erfahren Schwangere von ihrem Frauenarzt, dass sie Zwillinge bekommen, machen sie sich oft doppelt Sorgen. Doch wenn keine Risikofaktoren vorliegen, kann eine Zwillingsgeburt manchmal sogar einfacher als bei einem Einling sein
VON Janet Weishart
„Fast wäre ich vom Stuhl gefallen“, erzählt Sabine Grill. Es war der Moment, als der Frauenarzt der heute 43-Jährigen sagte: „Ich hab zwei Überraschungen für Sie: Sie sind schwanger – mit Zwillingen.“ Da war die Berliner Heilpädagogin „echt platt“. Ein Jahr ist das jetzt her, doch noch immer sagt sie: „Ausgerechnet ich – eine Frau, die damals weder auf ein geschweige denn auf zwei Kinder eingestellt war – werde Zwillingsmama.“
Die Chefärztin der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe des Evangelischen Waldkrankenhauses Spandau, Martina Dombrowski, kennt solche Geschichten. „Erst mal sind Frauen irritiert, teils überfordert. Aber danach freuen sich die meisten, dass sie gleich zwei Kinder bekommen“, so die Gynäkologin.
Sabine Grill sagte sich dann auch: „Soll es eben so sein. Und ab da sah ich nur noch Zwillingsbäuche und Doppelkinderwagen.“ Schließlich war der Gemini-Boom damals schon im vollen Gang. Laut Statistischem Bundesamt war im Jahr 2014 bereits jedes 27. Kind ein Mehrling. Zum Vergleich: Im Jahr 1991 war es nur jedes 42. Dass immer mehr Zwillinge geboren werden, liegt auch an den „Nebenwirkungen“ von Reproduktionsmethoden. Denn so steigt etwa bei dem am häufigsten angewandten Verfahren, der In-vitro-Fertilisation oder künstlichen Befruchtung, mit der Zahl der bei der Frau in die Gebärmutter eingesetzten Embryonen – oft sind es zwei – auch die Wahrscheinlichkeit einer Mehrlingsgeburt. Im Waldkrankenhaus Spandau gaben diese im vergangenen Jahr die Hälfte der insgesamt 70 Zwillingsschwangeren – von 2.100 Geburten gesamt – als Ursache an.
Zum anderen gibt es immer mehr ältere Erstgebärende, also jene ab 35 Jahren. Und so paradox es klingt, gerade sie werden umso wahrscheinlicher Zwillingsmamas. Denn mit zunehmenden Alter reifen pro Zyklus mehrere Eizellen heran. Den Anstieg von Mehrlingsgeburten bestätigt auch Hebamme Klara Bach (Name geändert, d. Red.), die in einer Berliner Geburtsklinik arbeitet. Seit 17 Jahren berät sie werdende Mütter persönlich und betont: „Zwillingsschwangere sollten sich schon zeitig eine Hebamme suchen, um Beschwerden wie starke Übelkeit zu lindern sowie um sich intensiv beraten zu lassen.“ Und auch für die Frage „Spontangeburt oder Kaiserschnitt?“ sei es nie zu früh.
Hebamme Bach rät: „Keine Hausgeburt! Ich empfehle, sich eine Beleghebamme zu suchen und mit der Wunschklinik über die eigenen Bedürfnisse rund um die Geburt zu sprechen.“ Chefärztin Dombrowski rät dazu ab der 24. Schwangerschaftswoche. „In meinen Sprechstunden nehme ich Zwillingsschwangeren dann ihre Ängste, die aufgrund der eigenen Wahrnehmung der besonderen Situation entstehen“, sagt sie. „Prinzipiell ist eine Zwillingsgeburt ja nicht wesentlich anders als eine Einlingsgeburt. Und nicht per se eine Risikoschwangerschaft!“ Das sollten Frauen schon in der Frühschwangerschaft wissen. Dann hätten sie „mehr Selbstvertrauen und entwickeln eine innere Gelassenheit“.
Kaiserschnitt bei Querlagen
Dass Zwillingsgeburten in den letzten Jahren deutlich zugenommen haben, hat vor allem zwei Gründe: Einmal ist das dem Trend zur künstlichen Befruchtung geschuldet. Zum anderen liegt es daran, dass Erstgebärende immer älter werden – und in zunehmenden Alter pro Zyklus mehrere Eizellen reifen.
Zwillingsschwangere müssen sich aber generell keine übertriebenen Sorgen machen – solange es sich um keine Risikoschwangerschaft handelt. Bei Querlage eines der Babys oder bei großen Gewichtsunterschieden wird allerdings aus medizinischer Sicht zu einem Kaiserschnitt geraten.
Aber es gibt natürlich Umstände, die eine vaginale Entbindung schwierig oder unmöglich machen. Dazu zählt das erhöhte Frühgeburtsrisiko. Außerdem steigern bestimmte Anomalien bei den Embryos, wie Querlagen, die Wahrscheinlichkeit für einen Kaiserschnitt. Bei den selteneren eineiigen Zwillingen gebe es zudem oft Komplikationen mit der Versorgung, weil sie sich oft Plazenta und Eihäute teilen. Auch ein Gewicht unter 1.800 Gramm pro Kind oder Gewichtsunterschiede von mehr als 20 Prozent bei den zwei Babys sind einer Spontangeburt eher nicht zuträglich. Letztlich entscheidet aber die Schwangere, wie sie gebären möchte. Dombrowski macht Mut: „Wenn beide Kinder in Schädellage liegen, gibt es keinen Grund, warum sie nicht auf normalen Weg geboren werden können. Im vergangenen Jahr entschieden sich bei uns 30 Prozent der Mütter dafür, berlinweit waren es rund 20 Prozent.“
„Die Psyche beeinflusst eine normale Geburt enorm“, sagt indes Hebamme Bach. „Darum gilt es, sich als Zwillingsschwangere frühzeitig zu entspannen oder wenn möglich Resturlaub vorm Mutterschutz zu nehmen.“ Schwangere sollten sich vor negativen Geburtsgeschichten schützen und sich etwa mit Meditation auf die Entbindung einstimmen. Faktoren, die eine Spontangeburt begünstigen, gebe es ebenso. „Bei wem nichts dagegen spricht, der sollte schwimmen oder Schwangerenyoga machen. Wer sich bewegt, fördert eine gute Durchblutung und die wiederum die Geburt.“ Sie vergleicht Friedrich gern mit einem Marathon, für den frau ja auch trainiere. Chefärztin Dombrowski stimmt zu, „Sportliche haben es leichter.“
Beide Fachfrauen räumen überdies mit Mythen auf. Eine Zwillingsgeburt tut weder doppelt so weh wie eine Einlingsgeburt, noch dauert sie doppelt so lang. „Die Eröffnungsphase ist mit der bei einer Einlingsgeburt identisch“, so Dombrowski. Die sogenannte Austreibungsphase sei aber insofern verlängert, dass nach dem ersten Kind das zweite kommt. „Durchschnittlich liegen zehn bis 15 Minuten dazwischen.“ Bei Zwillingsmama Sabine Grill waren es elf. Weil der Geburtskanal sich durch das erste Kind – ihre 3.100 Gramm schwere Annika – schon geweitet war, hatte es ihr Linus mit seinen 2.500 Gramm leicht, „gut durchzukommen“. Hebamme Bach: „Das generell geringere Gewicht von Zwillingen ist immer ein Pluspunkt bei der Spontangeburt.“ Dombrowski bestätigt das: „Oft ist es problematischer, einen 4.000-Gramm-Einling rauszupressen als Zwillinge.“
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