Kolumne Press-Schlag: Wenn der Club kein Depp mehr ist
Nach Last-Minute-Gegentreffern, Eigentoren und Abstiegen: Ein Fan des 1. FC Nürnberg erklärt, warum langes Leiden Glück verheißt.
I ch glaube, ich habe mich verlesen. „Auch in Frankfurt demonstrierte der Club Power, Effizienz und langen Atem“, schrieben die Nürnberger Nachrichten in dieser Woche. Meinen die wirklich den Club, den ich geburtsbedingt seit Jahrzehnten kenne und liebe? Der stand für alles Mögliche, für Last-Minute-Gegentreffer, Abstiege, Eigentore, bisweilen sogar absichtliche, er stand für eitle Teppichhändler-Präsidenten und dummdreiste Schiedsrichterbestechungen, aber bestimmt nicht für „Effizienz und langen Atem“. Also, was ist da los in Franken?
Ist der 1. FC Nürnberg, der vor einem Jahr noch im Mittelfeld der zweiten Liga herumdümpelte und im Managementbereich dilettierte, auf einmal ein solider Verein auf dem schnurgeraden Weg nach oben, also auf die Sportseite der taz? Oder auf Fußballdeutsch: Ist der Club kein Depp mehr?
Mooooment! Noch muss das fränkische Grundgesetz – das einst die Nürnberger Abendzeitung, Gott hab’ sie selig, formulierte: „Der Club ist ein Depp“ – nicht umgeschrieben werden. Im Gegenteil. Der Saisonverlauf lässt erfahrene Clubfans das Schlimmste ahnen. Gerade weil es so gut läuft. 18 ungeschlagene Spiele haben sie jetzt geschafft, sechs Siege hintereinander – alles Vereinsrekorde –, und Relegationsplatz drei ist praktisch schon gesichert. Aaaaaber – es ist eben nur der Relegationsplatz!
Das heißt: Es ist alles angerichtet für ein besonders tragisches Saisonfinale, denn was haben all die schönen Siege gegen Freiburg, Fürth (doppelt schön) und Leipzig (zehnfach schön) gebracht, wenn am 24. Mai im zweiten Relegationsspiel gegen Hoffenheim in der zweiten Minute der Nachspielzeit das entscheidende Gegentor fällt und der einst und momentan so ruhmreiche Club doch wieder in der zweiten Liga mit Sandhausen und Sonnenhof Großaspach landet, wenn also Nürnberg zweitklassig bleibt, während sogar bayerische Dorfvereine wie Ingolstadt und Augsburg in der Bundesliga spielen? Diese Schmach wäre kaum noch auszuhalten.
Nach dem Auffliegen des NSU hieß es: nie wieder. Im sächsischen Freital scheint es dennoch zu passieren – eine rechte Terrorgruppe entsteht. Wie es so weit kommen konnte, lesen Sie in der Titelgeschichte der taz.am wochenende vom 9./10. April. Außerdem: Warum der schwule iranische Schriftsteller Payam Feili in Israel Asyl beantragt. Und: Bierforscher Gunther Hirschfelder erklärt, warum wir noch immer am 500 Jahre alten Reinheitsgebot hängen. Am Kiosk, eKisok oder im praktischen Wochenendabo.
Natürlich muss es nicht so kommen, natürlich ist es sogar möglich, Freiburg und Leipzig noch zu überholen und direkt aufzusteigen. Dafür sprechen die erstaunlich konstant und spielerisch überzeugende Mannschaft, der österreichische Torjäger und Antreiber Guido Burgstaller sowie der stille Schweizer Trainer René Weiler, der sich offenbar weder von der grandiosen alten Vereinshistorie (neunmal Deutscher Meister) noch vom hektischen, jungen Umfeld (unberechenbare Fans und Manager) aus der Ruhe bringen lässt.
Aber die beste Einstellung als Clubfan ist ein gesunder Pessimismus: Lieber nichts erwarten. So kann man nie enttäuscht, aber im seltenen Erfolgsfall maximal beseelt sein. Ich wette, durch den Pokalsieg des 1. FC Nürnberg 2007 (einziger Titel in den letzten 50 Jahren) wurden mehr Glückshormone ausgeschüttet als durch alle routiniert abgefeierten Bayern-Meisterschaften und -Pokalsiege zusammen. Nur wer lange leidet, kann auch richtig feiern.
Und weil das so ist, würde sogar ein weiterer Sieg gegen den Tabellenletzten Duisburg am Sonntag in etwa gleich laut bejubelt wie das Wolfsburger Wunder gegen Real Madrid. Aber auch dieses Spiel ist noch nicht gewonnen!
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