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Cannabis auf Kassenkosten

EIGENANBAU Für viele Schmerzpatienten ändert sich trotz des Grundsatzurteils erst mal wenig: Wer Krebs hat, kann schwer Hanf züchten. Gröhe will Cannabis-Gesetz

Hanf: positive wissenschaftliche Hinweise, aber wenige Studien zum medizinischen Nutzen Foto: dpa

Aus Berlin Heike Haarhoff

Der Deutsche Hanfverband kündigte sofortige Konsequenzen aus dem Grundsatzurteil zu Cannabis an. Kaum war die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum privaten Cannabis-Anbau für Schmerzpatienten öffentlich, da twitterten die Hanf-Lobbyisten: „Jetzt Eigenanbau beantragen!“ Die Bundespsychotherapeutenkammer begrüßte „die Diskussion über eine weitere Entkriminalisierung von Cannabis“, die nordrhein-westfälischen Piraten wollen den Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken „nun gesetzlich“ geregelt haben: „Patienten sind keine Kriminellen.“

Am Mittwochabend hatten die höchsten deutschen Verwaltungsrichter aus Leipzig erstmals einem an multipler Sklerose erkrankten Mann erlaubt, zur Linderung seiner Schmerzen Cannabis bei sich zu Hause selbst anzubauen. Die Aufsichtsbehörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), müsse dem Mann hierzu eine Genehmigung erteilen.

Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass dem Patienten derzeit keine „gleich wirksame und erschwingliche Therapiealternative“ zur Verfügung stehe. Das Betäubungsmittel sei für seine medizinische Versorgung „notwendig“.

Die bisherige Praxis des Bundesgesundheitsministeriums, unheilbar Kranken die Kostenübernahme für Medizinalhanf aus der Apotheke zu verweigern und ihnen zugleich den Eigen­anbau von Cannabis pauschal zu verbieten, sei mit dem Grundrecht auf Achtung der körperlichen Unversehrtheit unvereinbar, urteilten die Richter.

Unmittelbar jedoch dürfte sich wenig verbessern für die meisten derjenigen Schmerzpatienten, die auf Cannabis angewiesen sind, weil ihnen kein anderes Arzneimittel hilft. Zum einen bleiben die Hürden auch nach dem Leipziger Urteil unverändert hoch, bevor ein Patient überhaupt eine Ausnahmegenehmigung des BfArM erhält: Nach Angaben der Behörde sind dies bundesweit derzeit lediglich 581 Patienten – bei mehr als 1.000 Anträgen.

Die Ausnahmeerlaubnis berechtigt die Kranken derzeit nur zum Bezug von Medizinalhanf aus der Apotheke oder zum Erhalt cannabishaltiger Arzneimittel. Viele Patienten können dies aber nicht aus eigener Tasche bezahlen; die Kranken­kassen tragen die Kosten nur selten.

Aber selbst wenn diese Menschen jetzt einen Antrag auf Eigenanbau stellen würden: Den wenigsten, die unter Krebs oder multipler Sklerose im fortgeschrittenen Stadium leiden, dürfte es zuzumuten sein, dass sie neben der Bewältigung ihrer Krankheit auch noch erfolgreich selbst Hanfpflanzen züchten sollen. Und eine Anbau-Erlaubnis für Dritte, Angehörige oder betreuende Freunde etwa, ist nicht vorgesehen.

Künftig sollen die Ärzte entscheiden, ob Kranke Cannabis bekommen

Nach dem Willen des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe (CDU) soll diese unwürdige Praxis demnächst beendet werden. Gröhe hat bereits zu Jahresanfang einen Gesetzentwurf zur Verordnung von Cannabis zu medizinischen Zwecken vorgelegt, über den der Bundestag noch in diesem Jahr abstimmen soll. Danach soll Schwerkranken der Zugang zu Cannabis erleichtert werden. Künftig sollen die behandelnden Ärzte allein darüber entscheiden dürfen, ob ihre chronisch kranken Patien­ten mit Cannabis behandelt werden sollen. Die derzeit noch notwendige behördliche Ausnahmeerlaubnis soll entfallen. Und: Erstmals soll es Cannabis auf Kassenrezept geben – ein Durchbruch.

Weil es zwar viele positive wissenschaftliche Hinweise, aber nur wenige aussagekräftige Studien zum medizinischen Nutzen von Cannabis gibt, will Gröhe alle Patienten, die künftig Cannabis auf Kassenkosten bekommen, zur Teilnahme an einer Begleitforschung verpflichten. Dies wird von der Opposition im Bundestag als übergriffige Einmischung in die Selbstbestimmung der Patienten kritisiert.

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