: Viel Arbeit, wenig Erkenntnis
JUGENDHILFE Die SPD im Kieler Landtag zweifelt am Sinn des Untersuchungsausschusses zu den Friesenhof-Heimen. Der will übernächste Woche betroffene Mädchen anhören
von Kaija Kutter
„Das Bild bleibt diffus“: Ein halbes Jahr nach dem Start des parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Vorgängen in den Friesenhof-Heimen versuchte sich die schleswig-holsteinische Landtags-SPD am gestrigen Donnerstag an einer Zwischenbilanz. „Wir fragen uns, ob es wirklich eines Untersuchungsausschuses bedurft hätte“, sagte Beate Raudies, Obfrau der Sozialdemokraten im Ausschuss.
Die Friesenhof-Einrichtungen mit Plätzen für 60 Mädchen waren im Sommer vergangenen Jahres geschlossen worden, unter anderem wegen des Fehlens von qualifiziertem Personals und der Anwendung menschenentwürdigender Methoden. Der Untersuchungsaussschuss, den CDU-, FDP- und Piratenfraktion beantragt hatten, soll unter anderem prüfen, ob die Konzeptionen in den Heimen kindeswohlgefährdend waren.
Bisher haben 13 Zeugen ausgesagt, darunter der langjährige pädagogische Leiter N., der „pädagogische Koordinator“ P. sowie mehrere unzufriedene Mitarbeiter. Übereinstimmend hätten diese Zeugen über fragwürdige pädagogische Maßnahem berichtet, sagte Raudies. In anderen Punkten, etwa der Frage abgeschlossener Fenster, hätten sich die Zeugen aber widersprochen. „Da wir alle nicht dabei waren, ist schwer nachzuvollziehen, was stimmt.“ Auch sei schwer zu bewerten, „was zulässig ist und was nicht“, führte die Abgeordnete aus, etwa im Fall eines Handy- oder auch eines Umgangsverbot mit den Eltern. In diesem Zusammenhang bewerte sie die Aussagen der formal qualifizierten Pädagogen N. und P. höher als die ehemaliger Mitarbeiter ohne pädagogische Ausbildung.
Die Konzeption des Friesenhofs begutachten soll für den Untersuchungsausschuss Matthias Schwabe, Professor für soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Berlin. Eine weitere Expertise soll der Jurist Reinhard Wiesner erstellen, der als „Vater“ des Bundesjugendhilfegesetzes gilt.
Betroffene enttäuscht
Unter den betroffenen Mädchen macht sich derweil offenbar Enttäuschung darüber breit, dass ihre Perspektive nur von geringem Interesse ist: In gerade mal einer Sitzung, am 18. April, will der Ausschuss die drei Mädchen als Zeugen hören, die im Juni vergangenen Jahres im NDR-Fernsehen Vorwürfe gegen den Friesenhof erhoben hatten. „Alle drei bekommen einen Zeugenbeistand“, sagte Raudies jetzt. Auch könnten sie begutachten lassen, ob durch die Aussage eine Re-Traumatisierung droht.
Der Parlamentarische Untersuchungsauschuss Friesenhof nahm am 29. September 2015 seine Arbeit auf und hat seither 20-mal getagt
Laut Auftrag soll er „etwaige Misstände“ in den Friesenhof-Einrichtungen seit dem Jahr 2007 prüfen, ebenso auch die „diesbezügliche Wahrnehmung der Aufsicht“ durch das zuständige Sozialministerium. Untersucht werden soll unter anderem, ob die Grundrechte der in der Einrichtung untergebrachten Mädchen gewahrt blieben und Konzepte den pädagogischen Standards entsprechen.
Vorliegen hat der Ausschuss 150 Aktenbände und rund 580 Urkunden und Schriftstücke vor.
Angehörtwurden bisher 13 Zeugen, weitere 13 Zeugen stehen noch auf der Liste. Am 2. Mai soll die frühere Betreiberin Barbara Janssen auftreten.
Im Anschluss sollen die Vorgänge im Ministerium untersucht werden. Auf der Zeugenliste stehen dann neben der amtierenden Sozialministerin Kristin Alheit (SPD) auch ihr Amtsvorgänger Heiner Garg (FDP).
Die Staatsanwaltschaft gab im September bekannt, dass es in Sachen Friesenhof 13 Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter gebe, unter anderem wegen des Verdachts der Körperverletzung.
„Nicht in Ordnung, was da passierte“
Was nicht geplant ist, ist eine systematische Erfassung von Berichten früherer Insassen. Im vergleichbaren Fall der brandenburgischen Haasenburg-Heime hatte das dortige Jugendministerium 2013 eine Hotline für ehemalige Bewohner geschaltet. Auch hatte eine Expertenkommission mit mehr als 50 Jugendlichen gesprochen, deren Aussagen – anonymisiert – Eingang in den Abschlussbericht fanden. Sogar Landesministerin Martina Münch (SPD) hatte sich mit Betroffenen getroffen – und sie um Entschuldigung gebeten.
Für Schleswig-Holstein sei Vergleichbares nicht geplant, so Raudies. Man habe zwar Adressen, doch es sei schwierig, einfach Mädchen vor den Ausschuss zu laden. Der sei „vielleicht nicht das richtige Instrument“, sagte Raudies. Gleichwohl sei sie überzeugt, dass die Vorgänge im Friesenhof der Aufklärung bedürften:„Es ist nicht in Ordnung, was da passierte“. Möglich sei auch noch weitere Zeugen zu laden, etwa einen Kursleiter für Anti-Aggressionstrainings, der den Friesenhof 2008 geleitet haben soll. Denkbar sei sogar, nach der Wahl 2017 weiter zu arbeiten. Man werde den Ausschuss zu Ende bringen: „Er wird auch zu einem Ergebnis kommen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen