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Unterm Schutzmantel der Geschichte

Ausstellung Eine schöne Übung im vergleichenden Sehen mit Blick in die frühe Neuzeit: Die Holbein-Schau im Bode-Museum mit der Madonna der Sammlung Würth und hiesigen Meisterwerken

Michel Erhart: Maria mit dem Schutzmantel, um 1480, Lindenholz, ursprüngliche Farbfassung Foto: Antje Voigt/Staatliche Museen zu Berlin

von Sophie Jung

Das Jesuskind will aus dem Bild herausgreifen. Es wehrt sich nahezu gegen den sanften Griff seiner Mutter, die, bekrönt unter einer Muschelkonche, göttlich, aber entrückt im Bildzentrum steht. Unter ihrem breiten Mantel haben sich sechs Figuren zusammengefunden, der Baseler Bürgermeister Jakob Meyer zum Hasen und seine Familie. Die Schutzmantelmadonna von Hans Holbein dem Jüngeren, wohl um 1526 angefertigt, gilt als Glaubensbekenntnis eines katholischen Baseler Bürgermeisters, inmitten der damaligen Unruhen der Bauernkriege und der Reformation.

Der Schraubenmagnat Reinhold Würth kaufte 2011 die Holbein-Madonna der Hessischen Hausstiftung ab. Zu einem unbekannten Preis, der bei rund 50 Millionen Euro vermutet wird. Dem ohnehin schon berühmten Holbein-Gemälde haben dieser Rekordpreis und der viel kritisierte Verkauf an einen Privatsammler zu noch mehr Ruhm verholfen. Würth ließ sich dann auch die Provokation nicht nehmen, die Schutzmantelmadonna bei ihrer Präsentation zuletzt im Rahmen der Würth-Sammlung-Schau im Martin-Gropius-Bau ganz nach seinem Gusto in einen schmiedeeisernen Rahmen zu versenken.

Abgekühlt und spektakelfern ist nun im Vergleich zum Wirbel um das Gemälde eine aktuelle Ausstellung im Bode-Museum, in deren Zentrum erneut diese sonderbare Madonna steht.

Die drei Kuratoren Stephan Kemperdick von der Gemäldegalerie, Michael Roth vom Kupferstichkabinett und Christine Seidel von der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst bringen die Schutzmantelmadonna, die ja selbst von 1822 bis 1852 einen kurzen Berliner Aufenthalt in ihrer Provenienzgeschichte aufweist, mit Stücken aus den hauptstädtischen Sammlungen zusammen. Dabei werfen die Ausstellungsmacher einen präzisen und aufschlussreichen Blick in die Kunst der frühen Neuzeit.

Madonna gegen Madonna

Der Holbein-Jungfrau tritt im Bode-Museum nun eine Rivalin gegenüber. Ebenfalls eine Schutzmantelmadonna, eine Ulmer Holzskulptur von 1480. Keine fünfzig Jahre liegen zwischen diesen beiden Bildnissen, doch wird zwischen ihnen ein ganzer Epochenschritt sichtbar.

Unter dem Mantel der Ulmer Madonna sucht eine anonyme Schar miniaturisierter Menschen Schutz vor Gottes Zorn. Die leidlich in die Ferne schauende Maria mit ihren unwirklich in die Länge gezerrten Gliedmaßen hingegen ist gigantenhaft groß. Von einem „mittelalterlichen Bedeutungsmaßstab“ sprechen die Kuratoren: die Heilige, als niemals menschliche, ist groß, stilisiert, ungreifbar.

Vor der von Hans Holbein gemalten Madonna hingegen kuscht kein scheuer Menschenpulk, sondern es knien vor ihr, ehrfürchtig, aber würdevoll, im gleichen Maßstab der Baseler Bürgermeister mit seiner Familie – seine verstorbenen und noch lebenden Kinder und Gattinnen, die Holbein alle nach Porträtstudien in einer simultanen Szene zusammengeführt hat.

Auch Holbein differenzierte noch zwischen himmlischen und weltlichen Figuren. Mit einem schon harten Realismus setzt er das fleischige Inkarnat des Stifters und die strengen Gesichtszüge seiner Gattinnen von der blassen Maria ab. Doch die feinen Speckwölbungen des nackten Jesusknaben oder der glitzernde Kleiderstoff der Jungfrau rücken auch die Heiligen näher an den Betrachter heran.

Hans Holbein d. J.: Die Madonna des Bürgermeisters Jakob Meyer zum Hasen, 1526/28 Foto: Staatliche Museen zu Berlin

Spiegel zweier Weltsichten

Auf gleicher Höhe stehen sich diese beiden Madonnendarstellungen nun im Ausstellungssaal gegenüber, als träten zwei unterschiedliche Weltsichten gegeneinander an. Dazwischen entblättert sich ein kunsthistorischer Parcours, der in kleinen Schritten, angefangen von den Zeichnungen von Holbeins Vater, Hans dem Älteren, bis zu den berühmten Porträtdarstellungen des Sohnes, die Vermenschlichung dieses ikonografischen Motivs der Schutzmantelmadonna abtastet.

Da geht es um die Plastizität der Stoffe, die zeitgenössischen Puffärmel und fallenden Mäntel, die Holbein auch in seinem Porträt vom Kaufmann Georg Gisze im Vergleich virtuos ausformulierte. Oder um den wie im Schreck verrutschten Teppich vor der knieenden Stifterfamilie, dessen Knüpfmuster Holbein wohl einem türkischen Exemplar entnommen hat, das zur Zeit der Entstehung des Gemäldes als Sammlergut kursierte. Heute heißen derartige Teppiche aus dem osmanischen 16. Jahrhundert in der Forschung Holbein-Teppich.

Im Zentrum der von den Zeichnungen seines Vaters und Holzschnitten seines Bruders Ambrosius flankierten Schau aber steht mit individualisierenden Charakterstudien Holbeins Porträtmalerei, für die er – auch durch sein späteres Wirken als Porträtist am englischen Hof unter Heinrich VIII. – bis heute berühmt ist.

„Holbein in Berlin. Die Madonna der Sammlung Würth mit Meisterwerken der Staatlichen Museen zu Berlin“, bis 8. Mai im Bode-Museum

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