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Kommentar EU-Türkei-AbkommenEuropa bricht Versprechen

Eric Bonse
Kommentar von Eric Bonse

Mit dem Deal hat die EU ihre Flüchtlingspolitik komplett an die Türkei ausgeliefert. Jetzt will und kann sie nicht mehr zurück.

Ein junger Geflüchteter in einem Bus nach seiner Ankunft auf Lesbos Foto: reuters

N un bekommt Europa die Bilder, die es angeblich vermeiden wollte: Flüchtlinge, die gegen ihren Willen in Lager eingesperrt werden. Polizisten, die Bürgerkriegsopfer wie Gefangene in die Türkei „zurückführen“. Demonstranten, die gegen die unerwünschten Syrer protestieren und alles andere als „Willkommen“ rufen.

Wieder sind es die Inseln in der Ägäis, auf denen sich das ganze Elend der europäischen Flüchtlingspolitik zeigt. Noch vor vier Wochen hatte sich die griechische Regierung darauf vorbereitet, menschenwürdige Unterkünfte bereitzustellen. Nun muss Athen die unwürdigen Beschlüsse aus Brüssel exekutieren.

Und die versprochene Hilfe der EU lässt auf sich warten. Wo sind sie denn, all die Asylexperten und zivilen Helfer, die Deutschland und die anderen EU-Staaten versprochen hatten? Zu sehen bekommen wir vor allem Gendarmen und Grenzschützer, die darüber wachen, dass niemand seiner Abschiebung entkommt.

Es ist nicht das einzige gebrochene Versprechen. Verraten hat die EU auch ihre Zusage, auf Massenabschiebungen zu verzichten und alles streng nach EU- und UN-Recht zu arrangieren. Was ist es denn anderes als eine Massenabschiebung, wenn auf einen Schlag 750 Menschen abtransportiert werden? Und wo gelten denn noch die Regeln?

In der Ägäis zeigt sich das ganze Elend europäischer Flüchtlingspolitik

In Griechenland nicht, in der Türkei schon gar nicht. Griechenland ist schlicht damit überfordert, die geforderten Blitz-Asylverfahren durchzuführen. Und die Türkei zeigt keinerlei Interesse daran, die unerwünschten Rückkehrer korrekt aufzunehmen. Angeblich schickt sie sogar Syrer zurück in den Bürgerkrieg.

Es geht nicht mit rechten Dingen zu

Wenn es in der EU noch mit rechten Dingen zuginge, müsste sie diesem Vorwurf, der immerhin von Amnesty International erhoben wird, nachgehen. Sie müsste Experten in die Türkei schicken, wie dies etwa der Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, gefordert hat. Bis dahin müsste die Abschiebung ausgesetzt werden.

Doch es geht nicht mehr mit rechten Dingen zu. Die EU hat sich in der Flüchtlingspolitik mit Haut und Haaren der Türkei ausgeliefert. Jetzt will, jetzt kann sie nicht mehr zurück. Jetzt muss sie der neuen Abschottungs- und Abschreckungslogik folgen und genau jene schlimmen Bilder produzieren, die Merkel und ihre Anhänger angeblich immer vermeiden wollten.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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18 Kommentare

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  • Wenn man jetzt daran Kritik übt, kommt bestimmt einer aus der EU auf die Idee als nächstes noch die Türkei zu überspringen und die ankommenden Flüchtlinge direkt an Assad und den IS auszuweisen und die dann entscheiden zu lassen, wer kommen darf.

  • Werte Taz! Die Frage war doch ganz einfach : Welcher Teil des Deals ist illegal? Das Abschieben der Flüchtlinge, oder die Asylgewährung für andere Flüchtlinge? Beides gleichzeitig kann nicht Recht sein! Entweder ist die Türkei ein sicherer Drittstaat, dann ist die Asylgewährung rechtswidrig, oder sie ist es nicht, dann sind die Abschiebungen rechtswidrig!

  • Mutti sagte doch, dass wir das schaffen. Sie sagte nur nicht wie.

    • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

      Die Kanzlerin hat in den letzten Wochen nur ein einziges Wörtchen ihres berühmten Satzes geändert.

       

      Jetzt heißt es nicht mehr: „Wir schaffen das“ sondern „Wir schaffen die“, nämlich die Flüchtlinge.

       

      Vollständig müsste der Merkelsche Satz dann lauten:

       

      -„Wir schaffen die Flüchtlinge in die Abschiebelager“

       

      -„Wir schaffen die Flüchtlinge in die Wüste“

       

      -„Wir schaffen die Flüchtlinge aus dem Sinn“

       

      oder ähnlich...

      • @Urmel:

        Was dann ein Merkelscher Dreisatz wäre.

  • Noch eine Frage : Wann bekommt Edward Snowden Asyl in Europa/Deutschland?

  • Ich brauche mal Aufklärung.

    Wenn Syrer aus Griechenland abgeschoben werden können, dann können sie doch auch in Deutschland kein Asylrecht genießen, oder? Wenn sie aber in Deutschland zu Recht Asyl bekommen, dann sind doch die Abschiebungen aus Griechenland rechtswidrig, oder?

    Scheint mir eine typische Merkel-Lösung zu sein - rumwursteln und Recht brechen!

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    Die Friedensnobelpreisträgerin 2012 sollte sich nochmals vor Augen führen, wofür ihr dieser Preis verliehen wurde...

     

    Quo vadis, EU?

  • Sowas ist nicht mein Europa, kann es nie sein.

     

    Danke, Eric Bonse, für den Beitrag!

    • @vjr:

      Stimme Ihnen voll und ganz, ohne Wenn und Aber sowie ohne Abstriche zu!

       

      Das ist nicht mehr mein Europa!

       

      Ich war immer gegen Helmut Kohl und Hans - Dietrich Geschenk - heute muss ich jedoch sagen, das hätten beide nicht zugelassen!

       

      Und was tut die Partei, der ich knapp dreißig Jahre und immer satzungsgerecht Beitrag gezahlt und ehrenamtlich Zeit geschenkt habe für meine Mitarbeit im Ortsverein, die SPD?

      Nichts, nullkommanichts! Willy Brandt und auch Helmut Schmidt hätten das so nicht zugelassen!!

      • 5G
        571 (Profil gelöscht)
        @Der Allgäuer:

        Kohl, Genscher, Brandt und Schmidt hätten DAS NICHT ZUGELASSEN.

         

        Die vier kamen gar nicht in eine solche Verlegenheit, als dass man hier einen solchen Vergleich anbringen könnte.

        Humaner als Merkel war von denen keiner, mMn.

        • @571 (Profil gelöscht):

          Meinen Sie beide den Kohl, der sich jetzt mit dem großen Europäer Orban trifft?

          http://www.dw.com/de/bald-treffen-mit-orban-altkanzler-kohl-meldet-sich-zu-wort/a-19161785

          • 5G
            571 (Profil gelöscht)
            @Age Krüger:

            Meine Meinung zu Herrn Kohl, den ich meine, hat sich durch diese Nachricht nicht geändert.

            Sie deckt sich auch nicht mit der Meinung von Stroheker Claus.

  • Welch naive Vorstellung des Kommentators. Es wird ein paar unangenehme Bilder geben, für vielleicht zwei Tage, dann herrscht hier mediale Ruhe. In den TV-Nachrichten spielen die Flüchtlinge seit dem Moment keine Rolle mehr, als sie nicht mehr an deutschen Grenzen auftauchten. Und Herr Schulz von der EU geriert sich, wie weiland Beckenbauer gegenüber Katar: "Ich habe keine Verstöße der Türkei gesehen"-"Ich habe keine Sklavenarbeiter gesehen". Ab 1933 wehrten sich die europäischen Staaten gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem "Reich". Europa hat sich, gut 70 Jahre nach Ende des Weltkrieges von den daraus gezogenen Lehren verabschiedet - das zeigt der Erdoghan-EU-Deal. Und wer sich da in Deutschland darüber freut, dass die Regierung dafür gesorgt hat, da keine Flüchtlinge mehr kommen, wird sich noch wundern. Ähnlich brutal wird der Staat gegen ein aufbegehrendes Prekariat vorgehen, wenn es 'das gesunde Volksempfinden' fordert.

    • 2G
      2097 (Profil gelöscht)
      @Philippe Ressing:

      Das Prekariat ist doch bereits abgehängt und begehrt trotzdem nicht auf. Teile des Prekariats wählen höchstens die AfD. Und diese Form des Aufbegehrens ist vollständig marktkonform.

      • @2097 (Profil gelöscht):

        Falsch verstanden! Es gibt bei uns wahrscheinlich keinen Aufstand des Prekariats, richtig. Das hindert die Mächtigen aber nicht, den 'Volks-Mob' auf die Armen loszulassen, wenn ein Blitzableiter für die nächste Krise gebraucht wird.

        • 2G
          2097 (Profil gelöscht)
          @Philippe Ressing:

          Richtig und die Blödzeitung mischt dann auch wieder stark mit und hetzt gegen die unteren Einkommensschichten. Das ist ja dann auch marktkonform bzw. konform mit der neoliberalen Ideologie und Agitation bspw. der INSM. Dessen Vorsitzender das deutsche Pendant zu Margaret Thatcher ist.

  • Da kann man nur klagen o tempera o mores.

    Das Christentum hatte immer nur theoretisch Moral, ansonsten frönten seine Führungskräfte den sieben Todsünden, so wie heute die politische Elite.

    Hauptsache es ist am Unglück der anderen verdient. Heute verdient man am liebsten am Krieg.

    Kollateralschaden bleibt eben nur Kollateralschaden.