: Das Jahr, in dem Berlin unterging
APOKALYPSE Es scheint ein Naturgesetz zu geben, nach dem sich Katastrophen zeitlich und räumlich ballen. Anders ist nicht zu erklären, was 2013 in der Stadt geschah. Die taz blickt zurück in die Zukunft
VON CLAUDIUS PRÖSSER
Hätte man es vorhersehen können? Beim besten Willen nicht. Sicher, es hatte Anzeichen gegeben, abergläubische Menschen würden sagen: Vorzeichen. Aber mal im Ernst: Nur weil es da und dort durchregnet, rechnet man doch nicht damit, dass gleich das ganze Dach wegfliegt.
Vielleicht gibt es ein noch unentdecktes Naturgesetz, gemäß dem sich Katastrophen räumlich und zeitlich ballen. Wahrscheinlicher ist, dass sich die Berliner Mischung aus Wurschtigkeit und Großmannssucht mit einer kapitalen Pechsträhne zum ultimativen Fallstrick verflochten hat. Wie auch immer: 2013 war das Jahr, in dem Berlin unterging.
Zweifelsohne hatte sich schon Ende 2012 abgezeichnet, dass die Eröffnung des BER im Oktober (jetzt aber wirklich!) eine neuerliche Illusion war. Die buchhalterischen Kartenhäuser, die nach der Selbstauflösung des Flughafen-Aufsichtsrats aus dem Nebel auftauchten, um sogleich einzustürzen, sorgten dann aber doch für allgemeine Sprachlosigkeit. Da der Bauarbeitertross von heute auf morgen zuhause blieb, kam niemand auf die Idee, die fehlerhafte Brandschutzanlage wenigstens auf Alarmbetrieb zu stellen. Warum sich das zurückgelassene Schweißgerät von alleine eingeschaltet hatte, ließ sich nach den Löscharbeiten, die drei volle Tage in Anspruch nahmen, nicht mehr rekonstruieren.
Mit dem Ende des BER breitete sich unter den verantwortlichen Politikern eine gewisse Scheiß-egal-Stimmung aus. Da lerne man doch seine Stadt „ganz neu kennen“, frotzelte der Regierende Bürgermeister, als kurz darauf auch noch der Ost-West-Viadukt der S-Bahn gesperrt und entsprechend großräumiger Schienenersatzverkehr eingerichtet werden musste.
Auch hier gestaltete sich die Suche nach Schuldigen kompliziert: An dem minderwertigen Beton, der bei der Sanierung in den 90ern zum Einsatz gekommen war und nun in immer größeren Brocken dem Lockruf der Schwerkraft nachgab, hatte seinerzeit niemand etwas auszusetzen gehabt: Billig, da standen wir ja drauf.
Schließlich entfuhr selbst der Hämeschleuder B. Z. nur noch die ohnmächtige Schlagzeile „War ja klar“, als die 2012 in Rekordzeit sanierte Avus bei der ersten sommerlichen Hitzewelle die Rechnung für das Schnell-schnell präsentierte, das seinerzeit sogar mit einer Prämie belohnt worden war. Genau genommen waren es Rechnungen von den Versicherungen der Autofahrer, deren Fahrzeuge sich bis zur Achse in den weichen Asphalt gegraben hatten. Und präsentiert wurden sie einem Senat, der ohnehin schon der Bundes-Zwangsverwaltung ins Auge sah.
Wären die BerlinerInnen zu diesem Zeitpunkt gefragt worden, ob es noch schlimmer kommen könne, die meisten hätten wohl geantwortet, dass es dazu nicht mit rechten Dingen zugehen müsste. Ging es dann auch nicht. Das spurlose Verschwinden der drei isländischen Pubcrawler, die man zuletzt auf der Baustelle des Humboldtforums hatte randalieren sehen, fügte dem Katastrophenjahr eine mysteriöse Komponente hinzu. Freilich dauerte es nicht lange, bis die komplexen Gesetze der Physik für eine Erklärung des Falls sorgten – was ihn nicht weniger tragisch machte.
Tatsächlich verblassten alle weiteren Tiefpunkte des Jahres (die Fertigstellung der halbierten Staatsoper in Leichtbauweise, die strahlenden Altlasten unter dem Tempelhofer Feld) angesichts dessen, was englischsprachige Medien prompt „The Berlin Hole“ tauften. Das Phänomen der Bodenverflüssigung war Experten nicht unbekannt gewesen. Dass es sich mitten in einer deutschen Großstadt ereignen könnte, damit hätten sie nie gerechnet – wobei es für Laien völlig plausibel geklungen hätte, dass das sumpfige Erdreich unter dem ehemaligen Stadtschloss kollabiert, wenn man die 3.000 Eichen-Stützpfähle aus dem 18. Jahrhundert herauszieht. Das einsickernde Uferfiltrat der Spree verwandelte die Baugrube in tückischen Morast.
Vielleicht hätte eine sofortige Tiefenbetonierung Abhilfe schaffen können, aber da waren die Ermittler vor, die immer noch mit Spezialsonden nach den Isländern suchten. Kein Bagger fand Halt auf dem unsicheren Grund, etliche teure Baumaschinen zog es unwiederbringlich in die Tiefe. Im Herbst stand fest, dass man der treibsandartigen Masse mit konventionellen Mitteln nicht Herr werden würde. Und unkonventionelle Mittel konnte sich das Land als Eigentümer des Baugrunds längst nicht mehr leisten. Es reichte gerade noch, um den Berliner Dom in einer Schräglage zu stabilisieren, was den Abriss vorerst überflüssig machte.
Auf der Schwelle zum Jahr 2014 scheint sich nun noch eine Binsenweisheit zu erhärten: Wenn man denkt, es geht nichts mehr, kommt – genau – von irgendwo ein Lichtlein her. Denn wer hätte damit gerechnet, dass Berlins frischgebackener Ruf als „City of Disaster“ (New York Times) einen mindestens ebenso bedrohlichen Trend des Jahres 2013 im Keim ersticken würde? Schließlich waren die Touristenzahlen nach langen Jahren des Wachstums eingebrochen – freilich nicht gänzlich unerwartet. Abgegrast, langweilig, zu teuer, lautete das Urteil derer, die sich dem Treck nach „Warsaw and beyond“ (Lonely Planet) angeschlossen hatten. Aber eine Stadt, die sich fröhlich selbst zerlegt, die finden junge erlebnishungrige Menschen eben doch wieder ganz schön „sexy“.
Ob Klaus Wowereit in seinem zypriotischen Exil schon Comeback-Pläne schmiedet?
Was 2013 in Berlin tatsächlich passiert: SEITE 40, 41
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen