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Kommentar Merkels RegierungserklärungNon, je ne regrette rien

Kommentar von Martin Reeh

Vor zwei Jahren hätte Angela Merkel gegenüber der Türkei machtvoller auftreten können. Ihr Herz für Syrer entdeckte sie erst im vergangenen Sommer.

Nach der Erklärung: Merkel wirft ihre Stimmkarte bei der namentlichen Abstimmung ein. Foto: dpa

A ngela Merkel mag viele Stärken haben. Dazu gehört die Fähigkeit, die eigene Politik kurzfristig zu ändern, wenn sie auf entschiedenen Widerstand stößt. Selbstkritik aber kann sie nicht. So war auch am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung, drei Tage nach den Landtagswahlen, kein Wort über eigene Fehler in der Flüchtlingspolitik zu vernehmen.

Dabei ist eine EU-Kontingentlösung für syrische Flüchtlinge, die mit der Türkei im Gespräch ist, im Kern vernünftig. Sie ist so vernünftig, dass die Kanzlerin sie schon vor mehr als zwei Jahren hätte anstreben sollen, als Millionen Syrer nach Jordanien, Libanon und in die Türkei flohen. Damals ließ Merkel die drei Staaten und die Flüchtlinge im Stich. Ihr Herz für Syrer entdeckte sie erst im letzten Sommer, als diese massenhaft über die Balkanroute Richtung Deutschland flohen. Merkels Politik der offenen Grenzen erweckte den Eindruck, alle geflüchteten Syrer könnten nach Deutschland beziehungsweise in die EU kommen. Es war absehbar, dass das nicht lange durchzuhalten war. Merkel korrigierte, auch unter Druck aus Bayern. Österreich und die Balkanstaaten machten dann die Balkanroute dicht.

Vor zwei Jahren hätte sie nicht nur gegenüber der Türkei machtvoller auftreten können, der sie jetzt freie Hand in den Kurdengebieten lässt, sie hätte auch in der EU eine bessere Verhandlungsposition gehabt. In ihrer Regierungserklärung schob sie aber erneut alle Verantwortung für das Scheitern einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik ihren europäischen Amtskollegen zu.

So wird es nicht gehen. Nicht in der EU – und auch nicht in Deutschland. Spätestens wenn hier Kontingente syrischer Flüchtlinge eintreffen sollten, wird Merkel über ihre politischen Schwenks und die Gründe dafür offen sprechen müssen. Es sei denn, sie will das Anwachsen der AfD auf über 20 Prozent riskieren. Politik ist auf Vertrauen angewiesen. Wer seine Politik fortlaufend ändert, ohne dies zu begründen, sät Misstrauen.

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Von 2018 bis 2020 taz-Parlamentskorrespondent. Zuvor von 2013 bis 2018 Leiter der taz-Inlandsredaktion, von 2012 bis 2013 Redakteur im Meinungsressort. Studierte Politikwissenschaft in Berlin, danach Arbeit als freier Journalist für Zeitungen, Fachzeitschriften und Runkfunkanstalten, Pressesprecher eines Unternehmensverbands der Solarindustrie und Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik.
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9 Kommentare

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  • Merkels standfester Opportunismus ist doch seit Beginn ihrer Kanzlerschaft Teil ihres Regierungsstils. Von daher finde ich dies als eine Erklärungsvariable des Wahlerfolgs der AfD nicht sonderlich überzeugend.

    Eine Erklärung der Motivation wäre sicher wünschenswert, aber ich fürchte, dass sich mein Wunsch nach Weltfrieden eher erfüllen wird.

  • "Wir schaffen das!" Kennt jeder den Spruch. Aber wie?? Da erfolgt keine Antwort. Die Freiwilligen machen das schon.

    Allein in der "Familienpolitik" zwischen zwei verschiedenen Menschen kann der eine nicht über den anderen bestimmen oder ohne zu fragen etwas erledigen. Dann geht die Partnerschaft in die Brüche. (180000 Ehescheidungen in einem Jahr) Hier muss ein großes Problem gelöst werden mit 27 weiteren Staaten.

    Wir machen das schon?? Egoismus geht gar nicht und eine Königin für Europa brauchen wir nicht. Wir brauchen vernünftige Lösungen und kein Schachspiel.

  • Das Scheitern oder das schleppende Weiterkommen einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik...Sind mehrere europäische Amtskollegen daran schuld?

     

    Deutschland ist in der EU oft auf Widerstand gestoßen, weil mehrere Länder wie Österreich, Polen oder Ungarn die eigenen vor allem finanziellen Interessen verfolgen. Und so etwas gehört nicht in eine Europäische Gemeinschaft. Selbst die Europäische Kommission hat diesen Eigenegoismus gegen mehrere EU weite Gesetze verstoßend gesehen. Die Europäische Union stellt die Person in den Mittelpunkt ihres Handelns. Das steht im EU Vertrag geschrieben und macht die gemeinsame Flüchtlingspolitik die von Würde jeden einzelnen Menschen ausgeht, was auch im EU Vertrag steht, unabdingbar.

    Das Scheitern einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik...Sind mehrere europäischen Amtskollegen schuld daran?

    • @Stefan Mustermann:

      Sie schreiben u.a.: "Deutschland ist in der EU oft auf Widerstand gestoßen, weil mehrere Länder wie Österreich, Polen oder Ungarn die eigenen vor allem finanziellen Interessen verfolgen. Und so etwas gehört nicht in eine Europäische Gemeinschaft."

       

      .....und Frankreich, Großbritannien, Belgien, Niederlande, Dänemark, Schweden, Finnland, Bulgarien, Rumänien, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Kroatien und, und, und....

       

      Das sind alles Staaten, deren Regierungen erhebliche Bauchschmerzen haben, Merkels Harakiri-Kurs zu folgen. Wenn die ihrem Vorschlag gemäß aus der EU ausscheiden, verbleibt eine ziemlich mickrige Union.

  • -?- "in ihrer Regierungserklärung, drei Tage nach den Landtagswahlen, kein Wort über eigene Fehler in der Flüchtlingspolitik zu vernehmen."

    -----

    Warum auch sollte sie?

     

    Denn es gibt genug Analysten, die ihr sofort nach jenen Wahlen, Folgendes attestierten:

     

    Die bei den letzten Landtagswahlen abgestürzten CDU-Kandidaten seien dafür "abgestraft" worden, dass sie der von Angela Merkel vorgegebenen Marschrichtung in der Flüchtlingspolitik, öffentlich widersprechen wollten. (?)

    • @H.G.S.:

      Diese von Ihnen aufgeführten Analysten sollten allmählich mal darüber nachdenken, ob es wirklich ratsam ist, solche Schlüsse zu ziehen:

       

      Könnte es nicht sein, dass Wähler, die mit Merkels chaotischem Kurs und diplomatischen Rücksichtslosigkeiten unseren EU-Partner gegenüber nicht einverstanden sind, irgendwann AfD wählen, weil es offensichtlich die einzige Möglichkeit ist, nicht für dem Weg der Kanzlerin vereinnahmt zu werden.

      • @Urmel:

        "..dass es Merkel gar nicht mehr um das Schicksal der Flüchtlinge geht."

        ---

        Ist auch mein Eindruck.

    • @H.G.S.:

      "Die bei den letzten Landtagswahlen abgestürzten CDU-Kandidaten seien dafür "abgestraft" worden, dass sie der von Angela Merkel vorgegebenen Marschrichtung in der Flüchtlingspolitik, öffentlich widersprechen wollten."

       

      Das fand ich auch merkwürdig. Das Problem war wohl eher der Wackelkurs mal für und mal gegen Merkel.

  • Endlich mal ein Artikel, der die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin differenziert analysiert.

     

    Betrachtet man die innen- und außenpolitischen Kolalateralschäden des Merkelschen Weges der letzten zwei Jahre, ist um so unverständlicher, welch breite Unterstützung sie immer noch im deutschen Bundestag genießt (auch bei der Opposition):

     

    -Deutschland ist inzwischen in der EU völlig isoliert. Sogar die französische Regierung hat unmissverständlich klar gemacht, dass sie in etlichen entscheidenden Punkten eine völlig andere Vorstellung von den jetzt erforderlichen Maßnahmen hat (z. B. zur Verteilung von Flüchtlingskontingenten sowie zum visafreien Zugang von türkischen Staatsbürgern in die EU). Hier zeigen sich die Folgen von Merkels Vorgehensweise, weitreichende Entscheidungen ohne jegliche Abstimmung mit unseren Partnern in der EU zu treffen und dann die daraus entstehenden Probleme bei anderen Staaten abzuladen.

     

    -Die von Merkel angestrebten Deals mit der Türkei sind nichts anderes als ein ausgewachsener Skandal. So hat sie durch ihre im Artikel geschilderte Schlafmützigkeit die Verhandlungsbasis für Deutschland gegenüber der Türkei nicht nur dramatisch verschlechtert, nein, sie ist jetzt sogar gezwungen, über alle wahrhaft kritisierenswerten Schritte der türkischen Regierung hinwegzusehen.

     

    -Käme es jedoch zu den von der Kanzlerin angestrebten Vereinbarungen mit der Türkei, bedeutete es auch für die Flüchtlinge selbst ein einziges Debakel. Viele würden von dort aus in ihre Heimatländer abgeschoben. Glaubt denn ernsthaft irgendjemand, dass dies von einem rechtsstaatlichen Verfahren wie z.B. in Deutschland begleitet würde? Spätestens dieser Effekt müsste jedem die Augen öffnen, dass es Merkel gar nicht mehr um das Schicksal der Flüchtlinge geht.

     

    Angesichts einer derartigen Bilanz ihrer „Arbeit“ wäre sie als Arbeitnehmerin in jedem privaten Unternehmen schon längst gefeuert worden.