: Lula soll es wieder richten
Brasilien Präsidentin Dilma Rousseff macht ihren Vorgänger Lula da Silva zum neuen Kabinettschef. Der Expräsident plädiert für eine Abkehr von der Sparpolitik. Proteste und Polarisierung im Land nehmen zu
Aus Rio de Janeiro Andreas Behn
Brasiliens angeschlagene Präsidentin Dilma Rousseff hat am Mittwoch ihren Vorgänger Lula da Silva zum neuen Kabinettschef gekürt und damit eine neue Runde im politischen Machtkampf eingeleitet. Lula hat jetzt den zweitwichtigsten politischen Posten inne, er amtiert als eine Art Premierminister. Schon spotten Kommentatoren, Rousseff habe „sich selbst zu einer Königin von England“ degradiert. Lula hat das Charisma und das politische Fingerspitzengefühl, das Rousseff vermissen lässt. Er regierte von 2003 bis 2010 und gilt als Architekt der erfolgreichen Sozialpolitik, mit der das größte Land Lateinamerikas jahrelang erfolgreich die Armut bekämpft hat.
Kaum jemand zweifelt daran, dass Lula jetzt mehr oder weniger alleine das Ruder übernehmen wird. Vor allem in der Wirtschaftspolitik. Im Gegensatz zu der Sparpolitik von Rousseff fordert er „die Wiederaufnahme eines Wachstumskurses“ durch staatliche Regulierung. Innerhalb der PT und seitens der Gewerkschaften wird Rousseff seit Längerem wegen ihrer Austeritätspolitik und eines Entgegenkommens gegenüber der marktorientierte Politik der konservative Opposition kritisiert.
„Lula als Minister bedeutet eine Stärkung meiner Regierung.“ Er werde „mit den nötigen Vollmachten ausgestattet, um dem Land zu helfen“, erklärte Rousseff nach der Ernennung am Mittwoch.
Doch es ist unklar, ob diese Machtrochade die PT-Regierung retten kann. Kurze Zeit später gingen Tausende in zahlreichen Städten auf die Straße und forderten den Rücktritt von Rousseff und jetzt auch von Lula. In wohlhabenden Vierteln von São Paulo, Rio de Janeiro und Brasília war Topfschlagen als Zeichen des Protests zu hören, als eine Rousseff-Ansprache im Fernsehen gezeigt wurde.
Im Gegensatz zu den friedlichen Massendemos am Sonntag kam es auch zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und vereinzelt zu Handgreiflichkeiten zwischen Kritikern und Anhängern der PT. Auch Tausende Unterstützer der Regierung demonstrierten unter dem Motto „Es wird keinen Staatsstreich geben“. Gewerkschaften und soziale Bewegungen riefen für Freitag zu landesweiten Demonstrationen auf.
Aufgrund der mutmaßlichen Verwicklung in den Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras und einer dramatischen Wirtschaftskrise steht Rousseff mächtig unter Druck. Ihre Beliebtheit beträgt zumindest in Umfragen kaum noch 10 Prozent. Im Kongress, wo die Regierung aufgrund der Spaltung ihrer Koalitionspartner in Pro- und Kontra-Rousseff-Fraktionen kaum noch Mehrheiten zusammenbringt, hat die konservative Opposition ein Amtsenthebungsverfahren auf den Weg gebracht.
Untersuchungsrichter Sergio Moro, der auf den Demonstrationen aufgrund seiner Korruptionsermittlungen als Held gefeiert wird, steht ein weiteres Mal im Mittelpunkt der erregten Diskussionen. Am Mittwoch veröffentlichte er den Mitschnitt eines Telefongespräches zwischen Rousseff und Lula. Darin informiert die Präsidentin ihren neuen Minister, sie habe ihm „für alle Fälle“ schon einmal die Ernennungspapiere schicken lassen, er solle auf den Boten warten. Ermittlungsrichter Moro und die Opposition werten das als Beweis dafür, dass Lula nur zum Minister ernannt wurde, um ihn per Immunität vor Festnahme und Strafprozess zu schützen.
Die Regierung bezeichnete die Veröffentlichung in einer Erklärung hingegen als „gesetzeswidrig und Verstoß gegen die Verfassung“. Sie kündigte aufgrund des Vorgangs juristische Schritte an.
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