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Alke Wierth macht sich Gedanken über eine verzwickte IntegrationHiesige Werte im Heimatkiez

Integration und Parallelgesellschaft in Berlin: Nein, sie gehe nicht mehr gerne an die Sonnenallee, erzählt beim Nachmittagskaffee eine junge Neuköllnerin. Die habe sich in jüngerer Zeit doch sehr zum Nachteil verändert.

Die Syrer seien daran schuld: Sie belästigten dort junge Frauen.

Die Anfang 20-Jährige mit Abitur und in akademischer Ausbildung ist selbst arabischer Abstammung. Ihre Familie flüchtete vor zwei Jahrzehnten aus dem Libanon, zuvor aus Palästina.

Nein, natürlich nicht alle Syrer, sagt sie auf Nachfrage: Aber es gäbe da so einige junge Männer – und die schadeten eben dem Ruf der ganzen Herkunftsgruppe.

So differenzieren sich eben auch Vorurteile. Auf der ganz groben Ebene schimpft „der Deutsche“ über „den Orientalen“, der sich nicht an hiesige Werte anpasse. Wer es etwas genauer zu wissen glaubt, lokalisiert diese Integrationsschwäche bei „dem Muslim“, dem seine Religion halt dabei im Weg stünde. Innerhalb dieser Gruppe wiederum distanziert sich „der Türke“ vom Araber, der eben die westliche Kultur noch nicht verstünde. Und die EinwanderInnen arabischer Herkunftssprache können wählen zwischen religiöser Zugehörigkeit und immer kleinteiliger werdenden lokalen Zuordnungen: So schiebt der alevitische Syrer die Integrationsprobleme seinen sunnitischen Landsleuten in die Schuhe, der städtische dem Dörfler, der akademisch gebildete dem bildungsfernen.

Was die junge Neuköllnerin tut, ist damit vor allem eins: menschlich. Sie ist eine um die Zustände in ihrem Heimatkiez besorgte Bürgerin. Das ist in diesem besonderen Fall, so furchtbar das klingt, auch ein Integrationsbeleg: Alteingesessene Einwanderer identifizieren sich nicht automatisch mit neuen Minderheiten und damit in Abgrenzung von einer Mehrheitsgesellschaft. Sondern als Teil dieser.

Und: Genau in dem Problem, dass die Neigung, aus dem Verhalten einzelner Vorurteile über deren ganze vermutete Gruppe abzuleiten, eine allgemein menschliche ist, liegt auch dessen Lösung. Sie lautet schlicht: Individuen sehen, für ihr Verhalten selbst verantwortliche Menschen. Nicht aus dem Fehlverhalten einzelner negative Rückschlüsse über deren Religionsgemeinschaft, Familie, Stamm, Volk, Nation, gar noch Nachbarländer („Nordafrikaner“) ziehen. Nur so geht’s. Und es geht. Man muss sich nur ab und zu daran erinnern.

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