: Wie fühlt sich Hass an?
Zeitzeugen Der Filmproduzent Artur Brauner hat dem Jüdischen Museum 21 seiner Filme geschenkt, Material für Bildungsarbeit. Die begann gleich mit einem Gespräch mit ihm
von Stefan Hochgesand
„Glauben Sie, dass wir überhaupt in der Lage sind“, fragt Dani Hasanpur, ein Schüler, 17 Jahre alt, den 80 Jahre älteren Filmproduzenten Artur Brauner, „zu verstehen, was damals passiert ist?“ Dani hat gerade mit gut hundert anderen Schüler*innen in der Akademie des Jüdischen Museums den von Brauner produzierten Film „Hitlerjunge Salomon“ (1990) gesehen und sich zwei Fragen fürs Zeitzeugengespräch mit Brauner auf dem Smartphone notiert. „Normalerweise müsste man sagen“, erwidert ihm Brauner, „ist es unverständlich. Selbst alle, die den Holocaust erlebt und überlebt haben, stellen sich die Frage: Wie war so was möglich in Europa? Dass man alles ausrottete, was jüdisch war.“ Die Musik aber, die Bücher, die übrig geblieben sind von denen, die umgebracht worden sind – die könne man nicht mehr vernichten.
Die ehrliche Dramatik, mit der Brauner diese Worte intoniert, lässt rasch verstehen, warum er der Mediathek des Jüdischen Museums gerade 21 von ihm produzierte Filme geschenkt hat. „Filme gegen das Vergessen“, wie Brauner sagt. In einer Zeit, in der es nicht mehr viele Zeitzeugen aus dem Holocaust gibt, werden es solche Filme sein, die von der größten Katastrophe zeugen.
Das Jüdische Museum will Brauners Filme in der Bildungsarbeit einsetzen und öffentlich zugänglich machen. „Hitlerjunge Salomon“ ist eine packende Geschichte über einen jüdischen Teenager, der während der NS-Zeit in einem sowjetischen Waisenhaus landet. Beim Eintreffen der Deutschen gibt er sich als „Volksdeutscher“ aus und überlebt den Krieg durch eine Reihe unglaublich glücklicher Zufälle – hadert aber immer wieder mit seiner Identität und dem Maskenspiel.
Durchaus identifikatorisches Potenzial für junge Schüler*innen heute. Andererseits ist der Film schon 25 Jahre alt. Für Sehgewohnheiten einer Zeit vor YouTube gemacht. Ob der Film nicht zu lange gewesen sei, will Ulrike Sonnemann, die Bibliotheksleiterin des Museums, wissen. Nein, gar nicht, erwidern die jungen Leute. Interessant sei der Film gewesen, nachvollziehbar, spannend gar.
„Ich habe eine Frage an Artur Brauner“, sagt ein Mädchen mit langen blonden Haaren. „Denken Sie, Salomon war ein Verräter?“ „Er kann nicht als Verräter abgestempelt werden“, erwidert Brauner. „Er hat ja nichts gewusst.“ Von den KZs, meint er. Ob die Geschichte wirklich so geschehen sei, will ein anderes Mädchen wissen. „Ja, ich meine“, sagt Brauner, „dass die Substanz geblieben ist.“ Natürlich müsse man eine Dramaturgie entwickeln, aber man habe nichts verzerrt. Was er mit seinen Filmen weitergeben möchte, fragt ein Schüler. „Dass jeder Mensch gleich ist in einer humanen Welt“, sagt Brauner. „Wenn dies irgendwann mal Wahrheit wird, kann man sagen: Es hat alles Sinn gehabt. Nicht das, was im Krieg, aber das, was danach geschehen ist.“
Manche Fragen der jungen Leute versteht Brauner nicht sofort, Ulrike Sonnemann moderiert behutsam. Beides geht ein bisschen auf Kosten der Lebendigkeit. Manchmal schweift Brauner ab, bedauert späte Sendezeiten und sinkende Einschaltquoten für Holocaust-Filme. Und dass die Filmförderung heute so sehr auf wirtschaftliche Aspekte schiele. Das interessiert die Schüler*innen, die trotzdem höflich dreinschauen, merklich wenig.
„Wie fühlt es sich an“, fragt Dani Hasanpur, „vom eigenen Volk gehasst worden zu sein? Und dass hinterher genau diese Leute sagten, sie hätten mit Hitler nichts zu tun gehabt? Und dass sie gar nicht gewusst hätten, dass die Juden vergast worden sind.“ – „Ich würde meinen“, sagt Brauner „das ist nicht die volle Wahrheit. Der große Teil hat alles gewusst. Wenn die Nachbarn abgeholt worden sind von Lastwagen in der Nacht.“ Brauner erzählt von Nachbarn, die schon darauf lauerten, die bessere, frei gewordene Wohnung, die Kühe, die Nähmaschinen zu ergattern – „auch in den katholischsten Ländern“.
Der Charakter des Einzelnen
Dani, der Artur Brauner zwei Fragen stellen durfte, hätte gern mehr Persönliches erfahren. Doch da stürmen schon Yellow-Press-Fotograf*innen zu Brauner vor und drängen ihn mit penetranten Aufrufen in bestimmte Porträtposen. „Obwohl dieser Salomon verfolgt von Deutschen war“, sagt Dani weiter, „hat er die Deutschen nicht gehasst. Er hat auf den Charakter der Einzelnen geachtet.“ Damit könne er sich identifizieren. „Ja, Salomon vertritt ganz klar heutige Gedanken. Dass es nicht auf die Rasse oder Herkunft ankommt, sondern darauf, was für ein Mensch man ist.“
Das ist wohl die schönste Erkenntnis, die sich aus diesem Spätnachmittag mitnehmen lässt. Auch Teenager der Generation YouTube können etwas anfangen mit Brauners Filmen. Der möchte übrigens noch vier weitere Filme dem Jüdischen Museum schenken. „Das wäre“, sagt er, „auch ein Geschenk für mich selbst.“
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