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Der Comic ist die RettungSuperheld, Superschurkin und die Erlösung

In „Out of Control“ entfliehen die Akteure des Bremer Moks der totalen Kontrolle und retten sich mit analoger Technik und einem gealterten Batman ins Dark Web.

Die Akteure stehen gebeugt über die Leuchttische: Während sie die Folien mit den Zeichnungen bewegen, gehen sie auf in den Figuren des Comics. Foto: Jörg Landsberg/ Bremer Theater

BREMEN taz | Im Anfang ist die Zersplitterung: Als Projektionen geistern, fragmentiert, in Ultra-Nahaufnahme, die Gesichter der SpielerInnen, hier ein Auge, da ein Mund, über die in riesige Rahmen gespannten Leinwände, hinter denen sich zugleich ihre Silhouetten bewegen. Die ganze Bühne beherrscht diese verwinkelte Holzkonstruktion, die wirkt wie die vage Erinnerung an eine expressionistische Stadt. Und die ganze Welt ist aus den Fugen, hier, im Moks, der Spielstätte der Jugendsparte des Bremer Theaters. Von irgendwo schräg hinten kratzt röchelnd eine Geige. Immer wieder sprotzt sie denselben verendenden Ton in den dunklen Raum.

Die Personen, die einander mit denselben Vornamen anreden, die auch ihre DarstellerInnen Lina Hoppe, Meret Mundwiler, Benjamin Nowitzky, Walter Schmuck und Christoph Vetter tragen, haben die Orientierung verloren: Manchmal wisse er nicht, wo er herkommt, sagt der schlaksig an einer Wand im Hintergrund hochklimmende Benjamin, ob aus dem Süden, dem Westen, „geht euch das auch so?“ Und Hoppe, also die Lina, weist ihn herrisch zurecht: „Also du kommst aus dem Osten“, rüffelt sie den in Dresden geborenen Schauspieler, „und hier ist Norden. Merk dir das endlich mal“: Eine kalauernde Pointe, die die Verunsicherung nur kurz betäuben kann und überspielt.

„Out of Control“, so heißt die neue Produktion des Moks, Premiere war am Samstag, und sie belegt zunächst einmal erneut, dass Jugendsparte in Bremen sehr gutes Theater bedeutet, bei dem einerseits junge Menschen nicht wegdämmern – die Empfehlung lautet hier: ab 13 Jahre. Und das andererseits mit fast rabiat eigenständiger ästhetischer Setzung gewiefte Schauspielfans begeistern oder zu schocken vermag: Wegen dieser Qualität sind die Bremer beim norddeutschen Jugendtheaterfestival „Hart am Wind“, das Ende Mai erstmals in Hamburg steigt, als einzige Bühne mit gleich zwei Stücken im Programm. Und hätte die Jury „Out of Control“ noch sehen können, es wären wohl drei geworden, großartig experimentell wie die Produktion ist.

Entwickelt hat sie das Bochumer Performing-Arts-Team „kainkollektiv“ zusammen mit dem Medienkollektiv Sputnic. Die zwei Gruppen arbeiten oft zusammen, seit Jahren schon. Und anders, ohne so eingespielte Partner, wäre eine Produktion wohl undenkbar, die fiktionale und reale, digitale, analoge und komplett handwerkliche Ebenen – die AkteurInnen produzieren mit Klarinette, Geige, Flöte, Klavier Trommeln und gekonntem Mantelflattern für den Live-Soundtrack – einander so souverän verwirrend verschränkt und durcheinander wirbelt, wie dieses Stück.

Dessen Handlung entspinnt sich zwischen den Polen eines beängstigenden Kontrollverlusts in einer Welt, die in den nächsten Krieg zu gleiten scheint, und dem Wunsch, einen Ort jenseits einer fast totalen Überwachung zu erreichen: In einer solchen Welt, die man vor Edward Snowden noch naiv als paranoide Dystopie gedeutet hätte, leben die fünf Personen. Der Kontrolle zu entrinnen, diese Hoffnung treibt sie an: Bloß wie?

Na, durch die Kunst natürlich. Die Erlösung soll durch ein kollektiv entwickeltes Comic erlangt werden. Und Comic ist eine gute Entscheidung. Denn diese hybride Gattung ist seit jeher der bevorzugte Spielort für geheime Codes einer eingeweihten Community gewesen, der Identitätstransformationen und -verwirrungen: Nirgends ist die Zersplitterung des Lebens so explizit wie im Comic, der sie durch die Ränder der Panels zum Grundmuster seiner Welten macht. Im Moks nun ist die ins Dark Web upgeloadete Graphic Novel Eintrittskarte für einen subversiven internationalen Comic-Kongress, und für den gobal vernetzten neuen Untergrund. Das Werk heißt, natürlich, „Out of Control“.

Es ist ein Batman-Sequel: Der Superheld, stark gealtert, schmerbäuchig und mit senilen Aussetzern – er vernachlässigt die eherne Regel, sich zu Hause nur als Bruce Wayne, also ohne Fledermaus-Outfit, zu zeigen und Robin muss ihn zudem auf den dringend überfälligen Strumpfhosenwechsel hinweisen –, versucht Gotham, die Mutter aller Städte, zu retten: Eine Superschurkin namens Axis (wie die axis of evil“) oder Access (wie eine vermaledeite Software) unterzieht alle Kinder einer Fernhypnose, sobald sie auf ihr mobiles Endgerät blicken. Hahaha!, oh ja, Meret Mundwiler kann lang und ausgiebig böse lachen: Die Kleinen schnallen sich Sprengstoffgürtel um, besteigen ein Bauwerk und …Smash! Hier hat Julia Zejn doch tatsächlich rote Spritzer in ihre fein-ironischen Schwarz-Weiß Zeichnungen integriert.

Die Kleinen schnallen sich Sprengstoffgürtel um und …Smash!

Regisseur und Videokünstler Nils Voges lässt diese in einer wunderschöne Live-Animation zum Leben erwecken – mithilfe von Overhead-Projektoren. Also mit diesen langhalsigen Geräten, die früher in der Schule nie so richtig funktionierten (oder vielleicht hatten die Lehrkräfte die Handhabung nie ganz verstanden), und die längst durch Whiteboards und Beamer ersetzt worden sind.

Es geht eine seltsame Faszination von solchen analogen Techniken aus. Deren theatralen Wert haben auch andere Performer entdeckt, zuerst vermutlich der Hamburger Grafik-Designer Pencil Quincy, der seit Jahren Live-Zeichentrickvideos für die Shows von Country-Performer Digger Barnes gestaltet. Er sitzt dabei am Bühnenrand, bewegt gezeichnete Autos und Figuren durch eine Modelllandschaft und die werden gefilmt und ausgestrahlt.

Hier aber stehen die fünf Akteure gebeugt über die Leuchttische, und während sie die Folien mit den Zeichnungen bewegen, sprechen sie die Figuren des Comics, gehen in ihnen auf: Das Projektionsprojizieren verschmilzt mit dem Spektakel, ähnlich wie bei jenen Puppentheatern, wo die Puppenspieler auf der Bühne zusammen mit ihren Figuren auftreten, und beide erscheinen wie einander wechselseitig ergänzende Schatten: Körper, Seele, Maske, DarstellerInnen sind eins, ohne zusammenzufallen. Also so, wie immer in sehr gutem Theater.

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