taz-Team beim Geh-Fußball: Rennen verboten!
Eine taz-Auswahl unter Ex-Bundesligaspieler Jimmy Hartwig hat gegen das Hans-Rosenthal-Team Fußball gespielt. Also: Geh-Fußball.
Es ist nicht alles langsamer beim Geh-Fußball. Das ist ein Trugschluss, gefördert von diesem Internet, das behauptet, Geh-Fußball wäre ein geruhsamer Sport für Senioren. Die Wahrheit ist: Wir sind langsamer. Der Ball aber ist so schnell wie immer.
Natürlich hatte Jimmy Hartwig, Ex-Fußballprofi und Startrainer der taz-Auswahl, genau davor gewarnt. „Haltet den Ball am Fuß“, hatte er gesagt. „Macht präzise Zuspiele, nicht steil spielen.“
Dass Pässe in den Lauf eine verdammt blöde Idee sind, merken wir dann auch. Bis der Stürmer angewatschelt kommt, winkt die Kugel schon von der Aus-Linie, und Gegner wie Zuschauer haben ihren Spaß. Was haben uns die Briten da schon wieder vorgesetzt?
Geh-Fußball beziehungsweise Walking Football ist das, was man wohl einen Trend nennt,und kommt aus England. Die Sportart findet dort vor allem unter Senioren begeisterte Mitgänger und hat sogar ein eigenes Regelwerk. Darin heißt es zum Beispiel, dass der Ball nicht höher als Hüfthöhe fliegen darf, dass ohne Abseits gespielt wird und kein Feldspieler den Strafraum betreten darf. Die wichtigste Regel aber ist natürlich folgende: Alle Spieler gehen. Wer läuft, verursacht einen Freistoß für den Gegner; besonders notorische Sünder können sogar mit Zeitstrafen belegt werden.
Die taz hat es vergangenen Samstag in der Sporthalle der Freien Waldorfschule Berlin-Kreuzberg ausprobiert. Und war gespannt, wer als Erstes fliegt.
Go, GFC Rudi Dutschke, go!
Die Erwartungen vorab sind groß: Jimmy Hartwig hat gesagt, dass er gewinnen will, dieses erste offizielle Geh-Fußballspiel auf deutschem Boden. Unser Gegner aber ist das Hans-Rosenthal-Team von TeBe Berlin, auch mal als Prominenten-Elf bezeichnet, eine Mannschaft, die regelmäßig zusammenspielt und schon beim Aufwärmen bedenklich viele Bälle ins Tor macht.
Das neu formierte taz-Team, der GFC Rudi Dutschke, muss außerdem noch vor der Partie einen personellen Verlust hinnehmen, weil die Autorin dieses Textes zum Gegner geschickt wird. Offiziell eine Maßnahme, damit die Rosenthal-Leute auch jemanden zum Wechseln haben (die taz hat gefühlte 20 Einwechselspieler) – und aus eigener Einschätzung für den GFC Rudi Dutschke ein Verlust, der sich in Grenzen hält. Ich spiele natürlich heimlich mit dem roten Dutschke-Shirt unter dem lila TeBe-Trikot. Das nützt aber erst mal nichts: Das Rosenthal-Team geht rasend schnell mit 1:0 in Führung. Rasend schnell, na ja, im übertragenen Sinne. Doch nach anfänglichen Abstimmungsschwierigkeiten legt das taz-Team los und spielt sich in einen wahren Chancenrausch. Verdienter Ausgleich, dann geht es Schlag auf Schlag: Erneute Führung des Rosenthal-Teams, kurz darauf wieder Ausgleich. Zur Pause steht es nach 2:2, was für ein Spiel!
Die größte Schwierigkeit beim Geh-Fußball, das ist mittlerweile klar, ist gar nicht die Sache mit dem Gehen. Irgendwie ist es sogar ziemlich angenehm, dem Gegner nicht hinterherhecheln zu müssen. Die Herausforderung ist das Passspiel: Beim Geh-Fußball steht einem der Gegner auf den Füßen. Auch Dribblings können wir eigentlich vergessen: Versuchen Sie mal, im Gehen eine Finte zu machen. Also hilft nur schnelles Tiki Taka. Trainer Jimmy Hartwig ist voll des Lobes: „Wie früher Uwe Bein!“, bescheinigt er einem Kollegen ob dessen schöner Passtechnik. Auf solchen Leuten kann der deutsche Geh-Fußball aufbauen.
600 Teams in Großbritannien
Die Briten sind natürlich schon deutlich weiter: Über 600 Geh-Fußball-Teams sind seit November 2014 gemeldet worden, es gibt eine nationale Meisterschaft, sogar über eine WM wird diskutiert. Dabei war Geh-Fußball bis vor rund zwei Jahren auch in England keine große Nummer – bis 2014 ein 50-jähriger Hobbysportler namens Steve Rich den Geh-Fußball für sich entdeckte.
Rich, ein begeisterter Amateurfußballer, hatte den Fußball aufgeben müssen, als er sich mit Mitte zwanzig bei einem Autounfall am Knie verletzte. „Ich dachte, ich könnte nie wieder spielen“, sagt er heute. Doch im Jahr 2014 erfuhr er über Bekannte vom Geh-Fußball. „Es war, als hätte mich ein Blitz getroffen. Mir wurde klar, dass ich wieder Fußball spielen kann – ohne gesundheitliches Risiko.“
Weil der Sport so unbekannt war, fehlte es seinem Team allerdings an Gegnern. Also begann Rich, Werbung zu machen. Er legte eine Website an, drehte einen Werbespot und organisierte ein Promospiel mit berühmten Exfußballern. Und weil der 50-Jährige nicht nur in Geh-Fußball vernarrt war, sondern sich auch gut verkaufen konnte und praktischerweise kräftige Unterstützung von einem prominenten Sponsor bekam, entstand innerhalb eines Jahres landesweite Begeisterung. „Plötzlich ist die Sache explodiert. Geh-Fußball wurde riesig.“
Was die Briten so toll finden, lässt sich schnell nachvollziehen: Geh-Fußball gleicht Unterschiede bei Alter und Können aus. Laufstärke oder überlegene Technik helfen nur bedingt weiter; bei einem normalen Match hätten wir gegen das TeBe-Team wahrscheinlich kein Land gesehen, aber beim Geh-Fußball geht’s anders zu.
Plötzlich geht der GFC Rudi Dutschke sogar sensationell 3:2 in Führung. Das Tor ist schwer umstritten, der Kollege fällt zum wiederholten Mal durch Joggen auf. Doch der Treffer zählt, da kann man nichts machen. Das Rosenthal-Team wirft jetzt alles nach vorn, der taz-Torwart mit Handballerfahrung hält bei sensationellen Paraden Hände und Gesicht hin. Und dann in letzter Minute der Ausgleich durchs Rosenthal-Team. „Da stehen zu viele auf dem Spielfeld“, brüllt Hartwig. Tatsächlich – das Rosenthal-Team spielt zu siebt statt zu sechst. Jetzt kann ich’s ja zugeben: Bei meiner Einwechslung ist niemand rausgegangen. Wir haben geglaubt, das merkt keiner. Hat nicht funktioniert, Jimmy Hartwig haut man nicht so einfach übers Ohr. Der Treffer wird aberkannt, die taz siegt tatsächlich 3:2.
Und die WM?
Weil Geh-Fußball ein eher entspannter Sport ist, prügelt man sich nicht über Schiri-Entscheidungen. Pfuschen tun sogar die Engländer, hat mir Steve Rich anvertraut. Allerdings nehmen die ihren neuen Sport mittlerweile ganz schön ernst: Einheitliches Regelwerk, unterschiedliche Altersklassen, feste Wettbewerbe unter dem Dach des britischen Fußballverbands FA, so will es zumindest Steve Rich. Auf der Insel beäugt man das mit Argwohn, mit der FA hat Rich sich zwischenzeitlich überworfen.
Wie geht es weiter mit dem Geh-Fußball? Nettes Hobby oder harter Leistungssport für die Ü50? Eine Meisterschaft gibt es bereits, und ginge es nach Rich, gibt es in zwei Jahren eine WM. Wir sind gespannt. Vor allem, was bis dahin mit Deutschland wird. Wir können ja nicht schon wieder so einen internationalen Einstand feiern wie bei den ersten Fußball-Länderspielen gegen England, die 1:5 und 0:9 verloren gingen, weil die Deutschen noch mit der Pike spielten. Steve Rich macht uns Geh-Fußball-Hinterwäldlern derweil Hoffnung: „Wenn wir eine WM haben, Deutschland, seid ihr dabei.“ Der GFC Rudi Dutschke steht bereit.
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