Barbara Dribbusch über Gabriel, Schäuble und die Flüchtlinge: Moral als Waffe
Es ist schon eklig, wie die angebliche Solidarität mit den Schwachen beschworen wird, um eigene politische Interessen durchzusetzen. Jüngstes Beispiel: der Disput zwischen Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) und Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Gabriel hat ein „neues Solidarprojekt“ gefordert, mit mehr Geld für Kitas, Wohnungsbau und der Aufstockung von Kleinrenten für Einheimische. Die Bürger sollten sich angesichts der Milliardenausgaben für Flüchtlinge nicht benachteiligt fühlen, so Gabriel. Schäuble konterte, wenn man Menschen, die „in bitterer Not seien“, nur noch helfen dürfe, insofern man anderen, die „nicht in so bitterer Not seien“, „das Gleiche oder mehr“ gebe, dann sei das „erbarmungswürdig“.
Schäuble als der edle Schutzpatron der Flüchtlinge – das ist genauso verlogen, wie Gabriel als den Robin Hood der Normalbürger zu feiern. Gabriel ist ein Opportunist. In der Sache aber hat er recht. Denn eine neue Verteilungsdebatte in Deutschland um die Sozialausgaben wird kommen, so viel ist sicher. Die Gerechtigkeitsfragen für die unteren Mittelschichten und für Ausgegrenzte sind ja nicht geklärt. Wo bleiben Vorschläge für die Aufstockung von Kleinrenten für schlecht bezahlte Verschleißjobs, wo bleibt das Teilhabegesetz für Behinderte, wie sollen Zehntausende von bezahlbaren Wohnungen in den Ballungszentren entstehen? Diese Fragen zu stellen ist weder maßlos noch „erbarmungswürdig“.
Verteilungsfragen zu verschweigen – das erinnert an die Wiedervereinigung vor mehr als zwei Jahrzehnten. Damit die gewaltigen Kosten für die Einheit nicht so auffielen, wurde das Geld auch aus den Beständen der Renten- und Arbeitslosenkasse entnommen. Später dann, als die Kassen leer waren, kamen die Sparpakete. Sparpakete wegen der Flüchtlinge will hier keiner. Schäuble wird sich mittelfristig nach neuen Einnahmequellen umschauen müssen. Steuererhöhungen, Abgaben, darüber sollte auch Gabriel ehrlich sprechen.
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