: "Ähnliche Reinheitsideen"
Gewaltbereitschaft Psychoanalytischer Salon über Radikalisierung von Islamisten und Neonazis
54, Facharzt für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin, betreibt eine Praxis für Psychoanalyse und -therapie.
taz: Herr Maul, über welche Radikalen diskutieren Sie denn heute: Islamisten oder Neonazis?
Torsten Maul: Über beide. Wir wollen eruieren, warum gerade Jugendliche und junge Erwachsene Gefahr laufen, sich zu radikalisieren. Denn das Ausschließen Andersdenkender, der Verlust an Differenzierung: Das sind seelische Bewegungen, die sowohl gesellschaftliche als auch persönliche Ursachen haben.
Sehen Sie Parallelen?
In der Tiefenstruktur durchaus: im Ausschluss des Anderen oder in bestimmten Reinheitsfantasien, die besagen, dass nur die einen dazugehören und die anderen nicht. Denn Neonazis wollen eine „reine Rasse“ und Islamisten eine „reine Religionsgemeinschaft“.
Und wodurch kippt die Radikalisierung in Gewaltbereitschaft?
Etwa durch Entwicklungsdefizite, Gewalterfahrungen, das Gefühl, Opfer zu sein. Aus dieser Rolle versucht man durch den Gewaltakt herauszukommen.
Manche Menschen sind von Geburt an aggressiver als andere.
Natürlich gibt es die urwüchsige Aggression. Aber es gibt auch die sozial produzierte Unfähigkeit, sich anzupassen und sich dann über Hass und Gewalt zu retten. Auch Perspektivlosigkeit und schlechte Bildung können zur Radikalisierung führen.
Mohammed Atta, einer der Attentäter des 11. September 2001, war Student.
Stimmt, es trifft nicht immer. Nichts trifft immer.
Aber müsste man nicht die Gehirnwäsche-Methoden etwa in IS-Camps studieren, um diese Radikalisierung rückgängig zu machen?
Ich glaube nicht, denn wer dort hin fährt, ist nicht mehr dialogbereit. Wichtiger ist: Was passiert in solchen Fällen vorher, was tut man etwa in schwierigen Situationen in der Schule, wenn sich zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund in ernste Identitätskonflikte geraten sind. Interview: PS
„Radikalisierung“, Psychoanalytischer Salon mit Kurt Edler (Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik), dem Islamwissenschaftler Philipp Al-Khazan und Torsten Maul: 20 Uhr, Golem, Große Elbstraße 14
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