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Ralf Sotscheck über die Wahlen in IrlandKein Linksruck

Irlands Wähler haben ein kurzes Gedächtnis. Sie haben der Regierungskoalition wegen der drastischen Austeritätspolitik und des Kahlschlags im Gesundheits- und Bildungsbereich eine Abfuhr erteilt. Stattdessen darf sich die Oppositionspartei Fianna Fáil über eine Verdoppelung ihrer Sitze freuen – jene Partei, die wegen ihrer korrupten Förderung der Immobilienblase und der Bankengarantie für die Krise 2008 und die Austeritätspolitik verantwortlich ist. Selbst die Grünen, Fianna Fáils damalige Steigbügelhalter, feiern mit zwei Abgeordneten ein Mini-Comeback.

Von einem Linksruck kann also keine Rede sein. Sicher, Sinn Féin und die Anti-Austeritäts-Allianz haben zugelegt, zahlreiche parteilose Linke sind gewählt worden, doch von einer regierungsfähigen Mehrheit sind sie weit entfernt. Die ist nur durch eine große Koalition von Fine Gael und Fianna Fáil zu haben. Beide Parteien möchten so ein Koalitionsgebilde eigentlich vermeiden, denn die Wähler könnten sonst merken, dass politisch eigentlich keine Unterschiede zwischen ihnen bestehen. Darunter würde die über Generationen vererbte Loyalität der Wählerschaft zu einer der beiden Parteien leiden.

Für Irland wäre die große Koalition langfristig jedoch ein Segen. Sie würde das Ende der Pseudo-Opposition einläuten, bei der es nur darum geht, welche der beiden großen Parteien ihre Schäfchen durch Vetternwirtschaft und Korruption ins Trockene bringt. Plötzlich wäre Sinn Féin, gemeinsam mit den linken Abgeordneten, die offizielle Opposition, was endlich dazu führen könnte, dass auch in Irland die politischen Trennlinien nicht länger anhand von historischen, sondern von Klassengegensätzen gezogen würden. Und erst dann wären diese Wahlen hundert Jahre nach dem Osteraufstand, der Irlands Kampf um die Unabhängigkeit einläutete, bevor das Land noch lange kriegerische Auseinandersetzungen erleben musste, tatsächlich das von so manchem Kommentator behauptete Erdbeben.

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