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Kommentar FluchtpläneKaltes Kalkül

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Tausende Menschen sitzen in Griechenland fest. Es sind Bilder, die von Gegnern der Merkel’schen Asylpolitik ganz bewusst erzeugt werden.

Auf dem Weg zur mazedonischen Grenze: Flüchtlinge in Griechenland. Foto: reuters

S ie träumen vom großen Signal. Die Gegner von Angela Merkels Willkommenspolitik hoffen auf Botschaften und Bilder, die Schutzsuchende von Afghanistan bis Syrien dazu bringen, Deutschland aus ihren Fluchtplänen zu streichen. Erst haben sie – von Orbán bis Seehofer – daran gearbeitet, dass die Bundeskanzlerin lauthals widerruft, dass sie abschwört. Sie tat es nicht.

Dann wurde auf Verschärfungen von Asylgesetzen gedrängt, damit die Flüchtlinge ihr Ziel ändern. Sie kamen trotzdem. Aber diese Woche hat ein abgeschmacktes Vorhaben Gestalt angenommen, das endlich das starke Gegenbild erzeugen soll: Griechenland als Flüchtlingslager.

Österreich, Bulgarien und acht Westbalkanstaaten haben in Wien verabredet, ihre Grenzen so undurchlässig wie möglich zu machen, bis hinunter an die mazedonische Grenze. Nach Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks haben seit Jahresbeginn 2016 mehr als 101.000 Flüchtlinge aus der Türkei nach Griechenland übergesetzt.

Nun werden viele Menschen an den Grenzen im Norden des Landes stecken bleiben. Mazedonien ist fast dicht, Bulgarien will Soldaten an seine Grenze befehligen, und auch Albanien war bei der Konferenz in Wien dabei, als sie ausbaldowert wurde, die Griechenlandoption.

Diese Option unterscheidet sich vom Lösungsversuch, um den Merkel noch immer kämpft. Sie will mit der Türkei zusammenarbeiten. Die soll Flüchtlinge im eigenen Land an der Weiterreise in die EU hindern. Menschen, die es schon nach Griechenland geschafft haben, sollen in die Türkei zurückkehren. Die EU beziehungsweise Deutschland zahlt, verspricht den Türken Visa-Erleichterungen und fliegt eine noch offene Zahl von Flüchtlingen zu sich.

Viel Platz in der Türkei

Zugegeben, diese privilegierte Partnerschaft mit Ankara ist schmutzig. In der Türkei ist die Polizeigewalt exzessiv, die Pressefreiheit eingeschränkt. Und Erdoğan führt Krieg gegen die Kurden. Aber der Türkeiplan hat auch Vorteile: Der Weg der Menschen nach Europa führt nicht über das Mittelmeer, wo er teuer beginnt und oft tödlich endet. Und die Türkei bietet schlicht mehr Platz als Griechenland, das nur ein Sechstel so groß ist.

taz.am Wochenende

Montags baden Frauen, zum FKK-Schwimmen kommen Schwule und abends duschen Flüchtlinge. Im Stadtbad Berlin-Neukölln hat jede Gruppe ihre eigene Zeit. Wie sollen wir zusammen leben, wenn wir nicht zusammen planschen können? Dieser Frage gehen wir nach in der taz.am wochenende vom 27./28. Februar 2016. Außerdem: Die Feministin Laurie Penny im Gespräch über die Macht von Science-Fiction und die Schwierigkeit, ein Vorbild zu sein. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Genau darin aber sehen jene einen Vorteil, die den Flüchtlingsstau in Griechenland vorsätzlich herbeiführen wollen. Viele Menschen auf engem Raum. Wie in den Lagern im Libanon. Die Bilder sollen um die Welt gehen: Liebe Schutzsuchende, so wird es euch in der EU ergehen. Bleibt weg!

Solche Schockbilder würden den Regierungen von Österreich, Bulgarien und den Balkanstaaten gut ins Konzept passen. Und den Gegnern der offiziellen Berliner Flüchtlingspolitik, die in den Unionsparteien und deutschen Behörden sitzen, gleich mit. Weil Merkel Kanzlerin ist, kann diese Gruppe bisher nur laut schimpfen, verdeckt obstruieren oder im Stillen ausarbeiten, was Deutschland tun kann, wenn der Türkeiplan scheitert und die ersehnte Griechenlandoption greift.

Merkels Wir-schaffen-das

Die Fluchtbewegung war für sie stets die Folge eines unsäglichen Merkelmalheurs, ausgelöst im vergangenen Spätsommer: Ist ihr ganz schön was rausgerutscht mit dem „Wir schaffen das“. Hat sie ein paar Selfies zu viel geknipst. Und schwups, stand die Million am Münchner Hauptbahnhof.

Diese Sicht ist Unfug, weil Krieg und Verfolgung gerade in historischem Ausmaß stattfinden und nicht auf dem Handy einer Kanzlerin zusammengesimst werden. Aber viele von Merkels Gegnern denken eben so.

Flüchtlinge als Signal gegen Flüchtlinge – dieser Ansatz instrumentalisiert nicht nur Menschen in Not, sondern auch Griechenland. Dass man dem dann überfüllten EU-Staat selbstverständlich großzügig Nothilfe zukommen lassen würde, gehört zum kalten Kalkül. Griechenland wird hier – schon wieder – zum Objekt gemacht. Aber diesmal hat Ministerpräsident Alexis Tsipras Merkel nicht gegen sich, sondern auf seiner Seite. Vielleicht ist diese Kombination dann doch schlagkräftiger, als die Orbáns und Seehofers denken.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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16 Kommentare

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  • Was mir an Merkel missfällt, ist, daß sie alles alleine durchzieht und auch nicht ihre Bürger fragt, was sie davon halten.

    Warum entscheidet nicht das Volk über ein Referendum? Weil sie weiß, daß sie dann anders handeln müsste.

  • Naja, um Merkel zu kritisieren bedarf es nicht dieser Bilder.

  • Dieses Spiel der "Politiker" mit realen Menschen ist mir zuwider. Die Allgemeinen Menschenrechte gelten für jeden Einzelnen individuell. Es gibt keine zahlenmässige Begrenzung! Versuchen sie mal das Recht auf freie Meinungsäusserung in Deutschland auf 60 Millionen (statt ca. 80 Mio.) zu begrenzen. Welche müssten dann ihren Mund halten?

    Meine Meinung zu Europa und Griechenland habe ich so dargestellt: https://www.dropbox.com/s/jjn7i40yeyqgohq/Bildschirmfoto%202016-02-20%20um%2008.24.36.png?dl=0

  • Eigendlich ist es die Aufgabe Griechenlands eine Vereinbarung mit der Türkei zu finden.

     

    Spanien hat eine mit Marokko gefunden. Es war auch Ihre Aufgabe.

  • Die wesentlichen Stichworte in der Flüchtlingspolitik werden aus meiner Sicht weiterhin „Rückführungsabkommen“, „Kontingente“ und „Sicherheitszone in Syrien“ sein. Begleitet von viel Geld.

    Allerdings frage ich mich im Moment auch ein wenig, ob es evtl. so schwierig ist mit einer Einigung, weil die Türkei für eine Rückführung von Flüchtlingen aus Griechenland etwas fordert, was Griechenland nicht bereit ist zu erfüllen.

  • Nicht kann sein, ist so! In Spanien, Portugal, Griechenland und im Ostblock gab es in den 70gern keinen Krieg und "deren" Grenzen waren stabil! Die standen eben nicht in Massen auf einmal auf unserer Matte. Seit Beendigung des Ost-West-Konflikts steigen Konflikte, Opferzahlen und Flüchtlingsströme permanent. Sudan, Somalia, Ruanda, Kongo,Afganistan, heute der Nahe Osten, usw. Die Liste ist endlos! Und alles was ihnen dazu einfällt: Grenzen dicht und alles ist gut.

    Ekelhaft!

    • @Andreas J:

      Der Mauerfall zog weltweit Folgen nach sich, die heute zeigen: Der Preis war zu hoch! Von der anschließenden Globalisierung profitiert bis heute nur eine winzige Minderheit. Alle anderen müssen die Konsequenzen tragen.

    • @Andreas J:

      War die Antwort für Ansgar Reb

  • @ ANSGAR REB

     

    (...) Man kann einfach nicht so tun als ob es ein Recht auf Grenzübertritt gibt (...)

     

    Das "Recht Grenzen zu ziehen, oft willkürliche, schmerzliche bis tötende" wann hat es wer wem erlaubt?

     

    Die "einfachen", Milliarden Menschen auf diesem Globus hätten ihre Zustimmung verweigert.

  • In den 70ern gab es doch viel mehr Konflikte, aber stabile Grenzen. Man kann enfach nicht so tun als ob es ein Recht auf Grenzübertritt gibt.

     

    Ich würde gerne in die 80er zurück, die 5 Min Pass vorzeigen an der Grenze stören mich überhaupt nicht.

    • @Ansgar Reb:

      Wo gab es in den 70ern mehr Konflikte? Schauen sie sich mal entsprechende Statistiken an. Innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege nehmen in den letzten Jahrzehnten dramatisch zu. Genauso die Flüchtlingsströme weltweit. Die eher armen Anrainerstaaten die schon immer wesentlich mehr Flüchtlinge aufgenommen haben als Europa,sind mittlerweile völlig überfordert, Verklärte Nostalgie hilft da auch nicht.

      Das ist nix weiter als beschissener Wohlstandschauvinismus.

      • @Andreas J:

        Auch die 70er hatten ihre Flüchtlingskriese: https://en.wikipedia.org/wiki/Indochina_refugee_crisis

        • @JoWall:

          Das ist richtig. Aber nicht in den Ausmaßen wie heute. Und auf den Komnetar von Herrn Reb zurückzukommen: die standen damals auch nicht, auf einmal an unseren ach so stabilen Grenzen. Da konnte man ganz beruhigt, sich das Elend im TV reinziehen, abschalten wenn es zu viel wurde und den wachsenden Wohlstand genießen. Die Zeiten sind vorbei!

      • @Andreas J:

        Kann sein. Nostalgie aber nicht.

         

        In den 70ern waren Spanien, Portugal und Griechenland militärische bzw. faschistische Diktaturen. Osteuropa bestand aus kommunistischen Diktaturen und war hermetisch abgesichert.

         

        Kriege gab es auch. Bürgerkrieg im Libanon. Krieg in Vietnam. Jom Kippur-Krieg. Konflikte in Nordirland. Unruhen in Polen.

        • @Ansgar Reb:

          Nicht, dass ich mich wirklich so genau erinnern könnte, aber ich würde mal sagen, es gab zu jener Zeit doch noch relativ "stabile" Nachbarstaaten, wie Lybien, Syrien, Irak, Iran. Heute sieht es in dieser Hinsicht doch ein bisschen anders aus. Offensichtlich ist Ihnen die Dimension des derzeitigen Krieges einfach nicht so ganz bewusst.

  • Die Unterscheidung ob das grosse Flüchtlingslager in der Türkei oder in Griechenland oder in beiden Ländern sein soll, ist akademisch. Mag sein, dass die Akteure unterschiedliche Motive haben und natürlich ist es besser, mit der Türkei zu reden, als die Regierung von Griechenland vor vollendete Tatsachen zu stellen. Trotzdem - es kommt auf andere Dinge an:

    a) Wie sehen die Verhältnisse in den Flüchtlingslagern aus - sind die Bedingungen eingermassen human oder einfach nur schrecklich?

    b) Gibt es eine zumindest selektive Resettlement-Politik, damit zumindest für Familiennachzug und Härtefälle eine Hoffnung besteht?

    c) Welche schmutzigen Deals werden dafür in Kauf genommen: Bei der Türkei sind dies die Akzeptanz von Menschenrechtsverletzungen, Unterstützung der aggressiven Strategie Erdogans in Syrien und wenig Einfluss auf die Bedingungen in den Flüchtlingslagern. In Griechenland ist dies Bevormundung und mangelnde Finanzierung - wenn dort die Griechen hungern, da die drastischen Sparmassnahmen Renten und Sozialleistungen gestrichen haben sowie die Arbeitslosigkeit hoch ist - wie gross wird da das Verständnis dafür sein, dass der griechische Staat Milliarden für Flüchtlinge ausgeben muss. Hier müssen wir die Griechen unterstützen - ideell und finanziell.

     

    In der Summe ist die Situation sowohl in Griechenland als auch in der Türkei kritisch und Merkels Politik sicher keine gute und auch nicht besser als die Politik der Balkanstaaten.