Biologin über Wölfe in Deutschland: „Kein Phänomen des Ostens“
Das Umweltministerium eröffnet wegen der Zunahme von Wölfen ein Beratungszentrum. Eine Biologin hält eine Gefahr durch die Tiere aber für „sehr gering“.
Seit mehr als fünfzehn Jahren streift der Wolf wieder durch Deutschland. Das erste Rudel siedelte sich in der Lausitz in Sachsen an. Mittlerweile leben in Deutschland 31 Rudel und acht Wolfspaare, die noch keine Junge haben. Nur: Wo sie auftauchen, gibt es immer wieder Ärger, weil die Raubtiere Schafe reißen oder nah an Häuser herankommen.
taz: Frau Reinhardt, wie gefährlich wird der Wolf dem Menschen?
Ilka Reinhardt: Wölfe sind ängstliche, vorsichtige Tiere. Zwar wäre der Wolf prinzipiell in der Lage, Menschen zu töten. Aber eigentlich legt er sich nicht mit anderen großen Tieren an. Das heißt: Die Gefahr für den Menschen ist sehr gering. Bisher hat es in Deutschland auch noch keinen Fall gegeben. Auch weltweit passiert das nur alle paar Jahre. Und dann hat das eine Vorgeschichte. Tollwut, die in Mitteleuropa ausgerottet ist, kann ein Grund sein. In Nordamerika kam es vor, dass die Tiere auf Campingplätzen in Nationalparks angefüttert wurden. Dann beginnen sie die Nähe zum Menschen zu suchen, die sie sonst meiden. Das kann zu brenzligen Situationen führen.
Wölfe reißen hierzulande auch immer wieder mal Schafe. Lässt sich das verhindern?
Dieser Konflikt lässt sich zumindest leicht entschärfen. Wir beobachten in anderen europäischen Ländern, dass sich Schafe mit Elektrozäunen oder Herdenschutzhunden gut schützen lassen. Auch in vielen Gebieten Deutschlands klappt das gut. Wird dann doch mal ein Schaf getötet, bekommen die Schäfer in der Regel einen finanziellen Ausgleich. Das ist je nach Land unterschiedlich geregelt. Voraussetzung in Sachsen ist zum Beispiel, dass der Schäfer die Weide mit einem Elektrozaun geschützt hat, für den es auch staatliche Förderung gibt. Der Sinn: Man muss es dem Wolf schwer machen. Er darf nicht auf den Geschmack kommen und lernen, dass Schafe einfach zu holen sind.
Was bringt ein Wolfberatungszentrum?
Ilka Reinhardt, 49 Jahre, gilt als eine der wichtigsten Wolfsexperten in Deutschland und macht mit beim neuen Wolfsberatungszentrum. Die Biologin begleitet die Rückkehr des Wolfes nach Deutschland von Anfang an wissenschaftlich. In der Lausitz hat sie mit einer Kollegin vor 13 Jahren das Lupus-Institut für Wolfsmonitoring und -forschung gegründet.
Die Projektpartner dokumentieren kontinuierlich, wie viele Wölfe und welche Probleme es gibt, beraten die Naturschutzbehörden der Länder, vor allem jene, die bisher noch nicht viel Erfahrungen mit Wölfen haben. Oft gibt es zum Beispiel Verwechslungen; es werden wolfsähnliche Hunde für Wölfe gehalten.
Wo wird der Wolf demnächst noch auftauchen?
Aus Sicht des Wolfes ist Deutschland klein. Die jungen Tiere können sehr weit laufen. Aus der Lausitz ist einer, dem wir einen Halsbandsender angelegt hatten, mal bis Weißrussland gelaufen. Hätte er die andere Richtung genommen, wäre er in Paris angekommen. Es kann sein, dass ein Tier über Jahre alleine bleibt, bis endlich mal ein Weibchen dazukommt. Auf jeden Fall werden sich die Wölfe ausbreiten. Sie werden auch aus Frankreich oder der Schweiz einwandern. Und in West- und Süddeutschland ist noch sehr viel Platz für Wölfe. Sie werden kein Phänomen des Ostens bleiben.
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