: Gegen den Wettbewerb des Kahlschlags
Preisträger Die erste Verleihung des Theaterpreises des Bundes an zwölf kleine und mittelgroße Theater wurde in Berlin gefeiert
„Normalerweise stehen wir bei Windstärke 10 auf dem Deich, jetzt sind wir hier”, sagte Jens-Erwin Siemssen, künstlerischer Leiter der freien Theatergruppe „Das letzte Kleinod“, die normalerweise mit einer eigenen Theatereisenbahn zwischen Bremerhaven und Buxtehude unterwegs ist. Hier, das war am Freitag der Plenarsaal der Akademie der Künste in Berlin. Fast alle der zwölf Theater, die zur ersten Verleihung des Theaterpreises des Bundes eingeladen waren, könnten Ähnliches über ihren Spielalltag sagen. Denn Monika Grütters will mit ihrem neu gegründeten Theaterpreis einmal nicht die großen Tanker beehren, die sich Jahr für Jahr Hoffnungen auf das Berliner Theatertreffen machen – und sich auch sonst nicht über mangelnde Aufmerksamkeit beschweren können.
Die Kulturstaatsministerin will das Licht lenken auf die kleinen und mittelgroßen Häuser, die mit einem Bruchteil der großen Bühnenetats auskommen – und nicht selten um ihr Überleben kämpfen müssen. Denn Theater gilt als eine freiwillige Leistung der überschuldeten deutschen Kommunen und Länder. Immer wieder kommen Politiker auf die Idee, den Rotstift an der Kultur anzusetzen. Und nicht nur die, es gab schon Volksbegehren gegen die Mittel für ein Theater oder ein Opernhaus, Fusionspläne und Spartenschließungen. Das Anhaltinische Theater Dessau zum Beispiel hat das am eigenen Leib erfahren müssen. In den letzten Jahren kursierten Pläne, das Traditionshaus auf die Sparte Oper zu reduzieren. Intendant André Brücker wehrte sich mit allen Mitteln gegen die Kürzungspläne des Landes, unter anderem mit einer aktualisierten „Beggar’s Opera“, in der die alte Brecht-Weisheit „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“ eine ganz neue Bedeutung bekam. Gehen musste er trotzdem, am Freitag nahm er gemeinsam mit seinem Nachfolger Johannes Weigand den mit 80.000 Euro dotierten Preis entgegen. Beworben hatte sich das Haus mit dem Projekt „Kristallpalast“, einer Revue um einen seit der Wende verfallenden Dessauer Tanzsaal. Aber natürlich gilt so ein Preis auch dem Haus als Ganzes. Es ist ein Signal, dass dieses Theater wichtig ist – und die Arbeit im fernen Berlin bemerkt wird. Neue Kürzungsbeschlüsse könnten damit schwieriger werden.
Dass ein viel mehr symbolischer als monetärer Preis tatsächlich etwas bewirkt, erklärt der Intendant des ebenfalls ausgezeichneten Stadttheaters in Bremerhaven. „Es hat wirklich einen Effekt“, sagt Ulrich Mokrusch. Er erlebe, dass Mitarbeiter, die vielleicht in letzter Zeit ein wenig durchhingen, plötzlich viel motivierter seien. Es sei einfach ein tolles Zeichen für alle, dass ausgerechnet ein kleines, von den großen ICE- und Kritikertrassen weit entferntes Haus zur Preisverleihung nach Berlin eingeladen worden sei. Eine Wertschätzung, die hilft bei der weiteren Arbeit.
Genau darum geht es Monika Grütters, die ihr Anliegen charmant verteidigt. Grütters, die einst selber hinter der Bühne hospitiert hat, liebt das Theater und ist ein Glücksfall für die Szene in Deutschland. Theater ist für sie „kein dekorativer Luxus, sondern ein unverzichtbarer Beitrag zur Orientierung und Selbstvergewisserung, um zu verstehen, was uns ausmacht“, betonte die Kulturstaatsministerin, bevor sie mit viel guter Laune die Preise übergab. Natürlich sind die 50.000 bis 80.000 Euro, die jedes ausgezeichnete Haus erhält, ein Tropfen auf den heißen Stein. Und natürlich muss es die Ministerin bei einer Symbolpolitik belassen, weil Theater und Kultur immer noch die Aufgabe der Länder und Kommunen sind. Aber mit Symbolen wie diesem Empfang in Sichtweite des Brandenburger Tors kann der Bund seine Wertschätzung demonstrieren – und eilfertigen Kämmerern irgendwo da draußen signalisieren, dass ihr Tun sehr kritisch beobachtet wird.
Früher schmückten sich die vielen deutschen Kleinstaaten mit ihren Bühnen, die sie in einem regelrechten Wettbewerb untereinander errichteten, betonte Grütters. Mit ihrem Preis will sie auch dafür sorgen, dass sich dieser Wettbewerb nicht als ein Wettbewerb des Kahlschlags wiederholt.
Einzig die Einladung von Shermin Langhoffs Gorki-Theater konterkariert ein wenig die Zielsetzung des Preises. Denn im Vergleich mit den anderen Preisträgern kann sich das Gorki weder über mangelnde Aufmerksamkeit noch über eine unzureichende finanzielle Ausstattung beschweren. An dieser Position hätte sich bestimmt noch ein weiteres innovatives Haus abseits der großen Zentren finden lassen. Wie der ozeanblaue Zug, mit dem die Künstler von „Das letzte Kleinod“ mit ihrem Theater auf Schienen direkt in die Vorgärten des Publikums reisen.
Alexander Kohlmann
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