Begegnungszone Bergmannstraße: Niemand mag Geschlängel
Im Bürgerdialog zur Begegnungszone Bergmannstraße gibt es Kritik an den ersten Entwürfen – aber auch konstruktive Mitarbeit.
Viele der am Online-Dialog Beteiligten machen keinen Hehl daraus, dass sie das Projekt idiotisch finden: „Wer will das? Wer braucht das? Hat Berlin zu viel Geld?“, fragt eine. „Ich empfehle jedem Befürworter einen Umzug nach Oberhausen, Wolfsburg oder Eisenhüttenstadt.“ Es geht um die Umgestaltung der Kreuzberger Bergmannstraße zur sogenannten Begegnungszone. Vor einer Woche hat die zweite Phase der Bürgerbeteiligung begonnen, und es gibt spürbaren Widerstand gegen das Projekt.
Drei Vorschläge für den gesamten Straßenabschnitt und drei Lösungen für die komplizierte Kreuzungssituation an der Ecke Zossener/Friesenstraße hat das Planungsbüro LK Argus vorgelegt, sie können im Netz bewertet und kommentiert werden. Bei allen überwiegt zahlenmäßig die Ablehnung, bei manchen mehr, bei manchen weniger. Am besten kommt noch ein Entwurf weg, bei dem die geradlinige Fahrbahn erhalten wird, aber alle Parkplätze zugunsten von Fahrrad-Abstellanlagen, Sitzbänken und Halteflächen für den Lieferverkehr wegfallen. Ganz und gar unbeliebt ist dagegen eine „Fahrbahnverschwenkung“, wie man sie auch in der bereits fertiggestellten ersten Begegnungszone in der Schöneberger Maaßenstraße besichtigen kann: ein von Pollern begrenztes Geschlängel.
Aber auch positive Stimmen gibt es: „Mehr Platz zum Laufen und Radfahren, zusätzliche Fahrradständer und Zebrastreifen, was will man mehr?!“, fragt einer. Auch bei der geschlossenen Bürgerwerkstatt, die am Dienstag vergangener Woche stattfand, sei „sehr konstruktiv“ gearbeitet worden, sagt Jan Korte, Projektmanager der Agentur „zebralog“, die den Dialog organisiert. „Natürlich gab es da auch kritische Kommentare“, so Korte zur taz. Das zum Teil in den Medien gezeichnete Bild generellen Widerstands sei aber falsch: „Den Entwürfen, über die jetzt diskutiert wird, liegen ja die Anforderungen zugrunde, die in der ersten Phase des Bürgerdialogs formuliert wurden. Da hatten die Bürger bereits sehr klargemacht, dass sie Handlungsbedarf sehen.“
Korte als Moderator des Prozesses sieht sich „auch als Anwalt der Bürger, die in den Medien eher nicht zu Wort kommen. Es kann nicht einfach der entscheiden, der die lauteste Stimme hat.“ Andererseits hält gerade ein Teil der Gewerbetreibenden herzlich wenig von den Plänen. Die Kunst wird darin bestehen, hier einen Ausgleich zu finden.
Entschleunigung wollen alle
Am kommenden Donnerstag wird ein erster Dialog zwischen Bezirksamt und Senat auf der einen Seite sowie Wirten und Ladeninhabern auf der anderen stattfinden. Letztere – oder zumindest eine größere Gruppe – haben bereits ein Minimum an gemeinsamen Forderungen erarbeitet, auf die sich alle einigen konnten. „Ja“ sagen sie zu entschleunigenden Maßnahmen wie Zebrastreifen und bauliche Querungshilfen für Fußgänger, zu mehr Grün und auch zu einer Parkraumbewirtschaftung. Eine Fahrbahnverengung, wie sie derzeit allen Entwürfen zugrunde liegt, wollen sie mehrheitlich nicht, genauso wenig wie die Abschaffung aller Parkplätze auf der Straße.
Stefan Neitzel, Geschäftsführer der „fahrradstation“, freut sich über diesen Kompromiss, auch wenn er ihm eigentlich noch nicht weit genug geht. Er hat einen eigenen Vorschlag ausgearbeitet: zwei von einer Ruhezone getrennte Fahrbahnen, eine für muskelbetriebene und eine für motorisierte Fahrzeuge. Dass Autos einen gewissen Raum in der Bergmannstraße brauchen, weiß der passionierte Radfahrer: „Die Anwohner müssen auch mal halten können, um ihren Großeinkauf abzuladen.“ Um die Parkplätze stark reduzieren zu können, schwebt ihm eine stärkere Nutzung der Tiefgarage unter dem „Gesundheitszentrum“ vor – die ist derzeit im Schnitt nur zu 20 Prozent ausgelastet.
Eine Bürgerin im Online-Dialog
Verkehrstechnisch kompliziert dürfte es an der Ecke Zossener/Friesenstraße werden. Hier schlägt LK Argus unter anderem einen Kreisverkehr unter Wegfall aller Ampeln vor. Das bremst wohl die von vielen kritisierten Raser auf dem Weg von der Gneisenaustraße zum Columbiadamm aus – aber entsteht so nicht ein Dauerstau? Die Alternative scheint eine noch komplexere Ampelanlage zu sein. Mit der Ursprungsidee der Begegnungszone, in der starre Regeln hinter die spontane Kommunikation der Verkehrsteilnehmer zurücktreten sollen, hätte das wenig zu tun.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Nach Diphtherie-Fall in Berlin
Das Problem der „Anthroposophischen Medizin“
Spaniens Staatschef im Nahkampf
Ein König mit Cojones
Regierungskrise der Ampel
Schmeißt Lindner hin oder Scholz ihn raus?
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala