: Beliebigkeit statt Systemkritik
Kommentar
von Antje Lang-Lendorff
Linksradikale Randale in Tiergarten und Neukölln
Abgefackelte Autos, eingeschmissene Scheiben: Glaubt man dem Bekennerschreiben zu den Anschlägen vom Wochenende, wollten die Randalierer damit auf das „Problem der Wohnraumverknappung für einkommensschwache Schichten“ aufmerksam machen und der Gentrifizierung auf diese Weise etwas entgegensetzen. Sie sorgen sich demnach um Zwangsgeräumte, um Obdachlose und Junkies, die aus dem öffentlichen Straßenbild vertrieben werden. Ein durchaus sympathisches Motiv. Schließlich stimmt es ja, dass die Dynamik auf dem Wohnungsmarkt mit politischen Mitteln bislang nur unzureichend abgebremst werden konnte.
Weniger sympathisch ist dagegen die Methode, mit der die Gruppe versucht, sich Gehör zu verschaffen. Gewalt gegen Menschen geht gar nicht und gab es am Wochenende offenbar zum Glück auch nicht. Aber Gewalt gegen Sachen ist oft nichts anderes als Psychoterror – und damit ebenfalls der sehr undemokratische Versuch, Druck auszuüben.
Immobilie verliert an Wert
Anschläge auf schicke Neubauten mögen in der Logik der Bekenner dabei noch einen gewissen Sinn ergeben: Niemand lebt gerne mit der Angst vor regelmäßigen Farbbeutelattacken oder gar vor Schlimmerem, eine Immobilie kann auf diese Weise tatsächlich an Wert verlieren. Völlig willkürlich wird es aber, wenn irgendwelche Mittelklassewagen abgefackelt werden. Oft hat es dabei schon den Falschen erwischt – zum Beispiel den nicht versicherten migrantischen Hausmeister, der sich kein neues Auto leisten kann. Diese Aktionen haben mit Systemkritik rein gar nichts mehr zu tun, sie sind reiner Vandalismus.
Auch in der linksextremen Szene schien sich diese Einsicht in den vergangenen Jahren nach und nach durchgesetzt zu haben. Brandstiftungen machten 2008 noch knapp die Hälfte aller linken Gewalttaten aus, 2013 waren es nur noch 12 Prozent. Man kann nur hoffen, dass sich im Windschatten der Auseinandersetzungen um die Rigaer Straße dieser Trend nicht wieder umkehrt.
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