: „Was wird nicht gesagt?“
Vortrag Historikerin Friederike Littmann über die Rolle der Handelskammer in der NS-Zeit
62, Historikerin veröffentlichte 2005 den Band "Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939–1945".
taz: Frau Littmann, basierte der Hamburger Handel in den 1940er Jahren auf Zwangsarbeit?
Friederike Littmann: Das kann man klar mit Ja beantworten. Der Handel unter den Nationalsozialisten hat schon früh Exportunternehmen „arisiert“. Die wiederum nahmen sich das Recht, sich als Kompensation in den Ostgebieten wie der Ukraine zu verbreiten. Dort wurde dann jüdisches Eigentum konfisziert und Außenstellen aufgebaut, durch die Waren ins Reich gelangten. Die Hamburger Handelsunternehmen haben sich dort sehr „engagiert“ und im Zuge dessen Arbeitskräfte vor Ort verpflichtet. Später siedelten dann auch Industriebetriebe in den Osten über, die dann auch hier in Hamburg Stellen mit Zwangsarbeitern besetzten.
Wer hat diese Arbeiter nach Hamburg geschafft?
Ich kann nicht belegen, dass die Betriebe selbst großen Einfluss bei der Beschaffung der Arbeitskräfte gehabt hätten – aber man kann es ihnen unterstellen. Ich kann zumindest sagen, dass eine sehr aktive Rolle von der Handelskammer eingenommen wurde. Die Betriebe dachten, dass die Bedienung an Ressourcen der Ostgebiete, also die Zwangsrekrutierung, ihnen zustehe, schließlich waren alle Handelskontakte nach Übersee im Zuge der „Arisierung“ gekappt worden.
Wie geht die Handelskammer mit ihrer Verantwortung um?
Ganze 70 Jahre nach dem Krieg hat die Handelskammer ein Buch zur Aufklärung herausgebracht. Ob man das nach so langer Zeit noch loben sollte, weiß ich nicht. Zwar wird Unwiderlegbares zugegeben, zum Beispiel die Mitwirkung an der „Arisierung“. Die Frage ist jedoch vielmehr: Was wird im Buch nicht gesagt? Der Autor geht auf viele Nazi-Strukturen innerhalb der Handelskammer nicht ein und tut die Sache mit der Behauptung ab, die Zwangsbeschäftigung in Hamburg sei noch nicht erforscht. Dabei übersieht er mein eigenes Buch, in dem ich Formen und Strukturen thematisiere. Vielleicht wollte oder durfte er nicht.
Warum gibt man ein vermeintliches Aufklärungsbuch heraus, um doch zu verschleiern?
Die Rolle der Kammer war in den 70 Jahren nach dem Krieg überhaupt nicht angefasst worden. Wahrscheinlich ist der Druck durch die vielen Publikationen, auch meine, zu groß geworden. Interview: NR
Vortrag „Zwangsarbeit in der Hamburger Kriegswirtschaft“: 19 Uhr, Museum der Arbeit. Eintritt frei
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