Bilderfluten Die Kunstbewegung Dada wird am 5. Februar 100 Jahre alt. Besonders Arte widmet sich ihr mit Beiträgen und der Internetperformance „Dada-Data“: Eine normenlose Welt
VON JAN FEDDERSEN
Welches Medium, wenn nicht das Fernsehen sollte dieses Ereignis würdigen? Arte kümmert sich um den 100. Geburtstag der Kunstbewegung namens Dada. Natürlich kann keine ästhetische Bewegung auf den Tag ihrer Geburt festgelegt werden. Was Dada betrifft, ist die Sache etwas einfacher: Am 5. Februar 1916 rief der in die Schweiz vor dem Ersten Weltkrieg geflohene deutsche Künstler Hugo Ball in Zürich mit einem Manifest diese neue Kunstrichtung aus: Dada.
Es war tatsächlich ein Event, das den Beginn dieser – so verstanden sich ihre Protagonist*innen Hugo Ball, Max Ernst, Marcel Duchamp, Tristan Tzara, auch Hannah Höch oder Hans Arp – Avantgarde markiert. Es ließe sich fantasieren, es habe für diese ästhetische Volte eine Vereinsversammlung, gar, dem Genre dieser Szene angemessen, eine Vernissage gegeben. An jenem Wintertag in der kriegsneutralen Schweiz traf man sich in einer zuvor ungenutzten Bierkneipe in der Züricher Innenstadt, im Cabaret Voltaire, Spiegelgasse 1. Es war dunkel, das Licht schummrig, die Wände obendrein schwarz gestrichen: womöglich auch eine leicht verspätete Spur der Fin-de-Siècle-Stimmung in europäischen Kunstkreisen – so oder so: Dieser Treffpunkt selbst war schon Teil des Kunstschaffens.
Denn Dada, die Kunstbewegung, war auch eine Manifestation gegen das Kunstschöne, das Naturale der repräsentativen Kunstreligion: ein Aufbruch der Zerstörung des Konventionellen. Hugo Ball und Freunde verstanden sich als Erstweltkriegskritiker, als Kosmopoliten, Feinde aller Bomben – und zugleich, jedenfalls was den Katholiken Ball anbetrifft, als strikte Gegner protestantischer Eliten im Kaiserreich, der Germanophilie in konservativen Milieus wie auch der Bilderkargheit in evangelischen Kulturräumen.
Was war Dada?
Dada – das war der vehement vorgetragene Anspruch noch nicht arrivierter Künstler, in der nervösen Welt des frühen 20. Jahrhunderts Gehör und Beachtung zu finden. Was die Performances im Cabaret Voltaire auszeichnete, waren Vorstellungen in Vielsprachigkeit, in Sprachlichkeit überhaupt, die sich den üblichen Normen entzogen. Man mischte Silben und Buchstaben, tauschte Bedeutungsmöglichkeiten – und unterlief sie damit. Man stand auf der Bühne und schrie und grölte, trug Gedichte nach lautmalerischen Kriterien vor, nicht nach denen der wörterbuchgestützten Erkennbarkeit.
Sa., 6. Februar: „Das Prinzip Dada“, 21.50 Uhr, 3sat
So.,7. Februar: „Von Dada bis Gaga“ 2.55 Uhr, 3sat
So.,7. Februar: „Metropolis“, 17.25 Uhr, Arte
So.,14. Februar: „Viva Dada“, 17.35 Uhr, Arte
Zum 100. Geburtstag der Dada-Bewegung erscheint die taz am 5. Februar mit Schwerpunktseiten
Dada, das war die Zertrümmerung traditioneller Verständnisse von dem, was und worüber die Welt dechiffriert wird. Und es war auch die Ermutigung schlechthin an die Adresse von Dilettierenden, sich einfach mal auszuprobieren – und das mit handwerklich-bastlerischem Geschick. Dada – das war auch die Erfindung der Performance als Kunstform schlechthin.
Heutzutage ist nur noch begrenzt vorstellbar, gegen welche Welt Ball & Co. antraten: Sie wollten doch einfach auch nur berühmt werden – und, aus der Sicht ihrer konservativ-pfäffischen Kritiker, machten sie die Augenscheinlichkeit von der Welt nieder. Nicht mehr Kunst zu einem Bild fertigen, zu einer Komposition, zu einer Skulptur – möglichst schön und stimmig –, darum ging es ihnen nicht. Klänge und Bewegungen sollten die Welt auf den Kopf stellen. Männer in grotesken Kostümen, Frauen in selbstermächtigenden Posen, die auf der Bühne antiburlesk tänzeln; Werke wie von Marcel Duchamp, der ein Urinal einfach seiner Werkbedeutung entzog und aus diesem eine „Fontaine“ schuf. Dada war ein Kunstschaffen, das alles, was in heutigen Tagen als vertraut gilt, überhaupt erst möglich machte, besser: in die entsprechenden bürgerlichen Avantgardekreise hinein popularisierte.
Um eine gleichzeitig glühende Bewegung zu nennen, die sozusagen Anti-Dada war: Stefan Georges raunender Lyrikkreis, das „Geheime Deutschland“ wollte in Worten neue, tiefere bis gottgleichtiefe Bedeutungen finden. Dada wollte dagegen neue Worte, eine neue Welt überhaupt. Wer politisch kein Reaktionär war, musste sich auf den Größenwahn der Dadaist*innen einlassen.
„Viva Dada“
Arte, das heutigen Avantgarden so viel Raum gibt wie kein anderer gewöhnlich empfangbarer TV-Sender, widmet sich stark diesem 100. Geburtstag. „Viva Dada“ heißt etwa die Dokumentation von Régine Abadia, die am 14. Februar am späten Nachmittag ausgestrahlt wird. Sehr viel erfährt man aus ihr, wie das damals so war und wie Kurator*innen oder der momentane Kopf des wiedereröffneten Cabaret Voltaire in Zürich die Dinge des Dada und ihre Geschichte sehen. Das sind schöne, nicht zu hektisch geschnittene Bildsequenzen, dadaesk sozusagen. Für Arte-Verhältnisse ist diese Produktion aber fast ein wenig in seiner Dadaeskheit unterkühlt: Es fehlt an historischen Einordnungen des Stoffs, aus dessen Fundus später sich alle bedienten, John Heartfield, Louis Aragon, Philippe Soupault, auch Pablo Picasso oder die zeitgenössische Kunst nicht erst seit Andy Warhol. Dada – zu dieser Bewegung gehören auch Kunstschaffende wie Yoko Ono. Frauen, das Dada-Urmitglied Emmy Hennings an der Spitze, sind durch diese Bewegung, wenn man so will, ermutigt worden, selbst ans ästhetische Werk zu gehen. Sehenswert ist diese Doku auf jeden Fall: Auch weil man erkennt, dass das klassische Interieur von Studentenkneipen der späten sechziger Jahre auch nur das taten, was in Zürich an den verrauchten Wänden des Club Voltaire zu sehen war: Plakatkunst, reproduziert, Tapeten der Aktualität.
Dieses leichte Manko, Dada nicht wirklich in historische Relation zum damals Üblichen gesetzt zu haben, umweht auch das interaktive Dokuprojekt „Dada-Data“, in allen Aspekten einsehbar vom kommenden Freitag an (unter www.dada-data.net), aber das Publikum kann sich jetzt schon anmelden. Es ist eine schöne Performance, die Anita Hugi und David Dufresne komponiert haben; im Hintergrund erklingt eine bauhausianisch anmutende Klimpermusik, die erst nach einer Stunde leicht nervt, als sei es tonal-repititive Folter.
Es macht Vergnügen, sich durch diese Seiten zu klicken, doch auch ihnen fehlen, doch nur als kleine Unwucht, die Kontextualisierung zu jener Zeit vor 100 Jahren. Denn wenn es revolutionär war, die traditionsbürgerliche Kunstwelt hinter sich zu lassen: Wie sah denn diese aus? Was war es, das da Zerstörung verdiente?
Dass alle anderen TV-Programme Dada als Jubiläumsthema nicht so auf dem Schirm haben – abgesehen von 3sat und einigen Kulturmagazinen in den dritten Programmen –, mag auch an Folgendem liegen: Dada als ästhetische Bewegung, die auf den Amboss legte, was dort die Bearbeitung verdiente, hat gerade das Fernsehen als Bilderflutmaschine möglich gemacht. Dada, das ist gelebtes Fernsehen auf schwankenden Böden der Wirklichkeit, die Wirklichkeiten stets neu produzierend. Solche, die zur eigenen Wirklichkeit nicht passen müssen.
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