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Mit Bildern die Welt verändern

KUNST Mit seiner Galerie Kai Dikhas am Moritzplatz will Moritz Pankok nicht nur zeigen, dass Sinti und Roma „gute“ Kunst machen können. Er will zudem einen Raum schaffen, in dem Künstler als Angehörige der Minderheit zu Wort kommen – und mit ihren Werken zu einem „neuen Selbstbild der Minderheit“ beitragen

Alfred Ullrich: „Feigenblätter, Variation 2“, 2015.Der Grafiker und Aktionskünstler, geboren 1948, wuchs in Wien auf und lebt heute im Dachauer Land. Er ist der Sohn eines Deutschen und einer österreichischen Sintezza.„Ich arbeite mit und gegen das Material, was sich eigentlich auch übersetzen lässt für meine künstlerische Arbeit – ich arbeite mit und gegen die Gesellschaft, um herauszufinden, in welchem Verhältnis sich die Gesellschaft zu den Sinti und Roma heute befindet.“ Foto: Diego Castellano

Von Susanne Memarnia

Ein guter Ort, um die Minderheit der Sinti und Roma mit anderen Augen sehen zu lernen, ist Kai Dikhas (Romanes für „Ort des Sehens“). Die europaweit wohl einzigartige Galerie für Kunst von Sinti und Roma befindet sich seit fünf Jahren im Erdgeschoss des Aufbau-Hauses am Moritzplatz. Galerist Moritz Pankok, Großneffe des Malers Otto Pankok, geht es darum, „richtig gute Kunst“ in „Marktqualität“ zeigen. Doch nicht nur das: Für den 41-jährigen gelernten Bühnenbauer und Regisseur ist die „Kunst auch Mittel der Selbstdarstellung und Kommunikation, um die politische Situation und Anerkennung der Minderheit voranzutreiben, das heißt, dass die Mehrheit die Minderheit endlich als ihr zugehörig empfindet“.

Es gibt vielfache Verbindungen zwischen Politik und Kunst bei Kai Dikhas: Es fängt damit an, dass das Thema vieler Roma-Künstler die Herabsetzung ist, die sie wie andere Sinti und Roma überall in Europa erfahren. „Diskriminierung ist eine besondere Klammer, die die Künstler miteinander haben“, erklärt Pankok, der mit 30 Künstlern zusammenarbeitet, vier Berlinern, der Rest aus halb Europa. In den Werken von Damian Le Bas, die in der aktuellen Gruppenausstellung der Galerie zu sehen sind, ist die Verarbeitung des Themas offenkundig: Unter dem Titel „Safe European Home?“ übermalt er europäische Landkarten, lässt mittels Filzstift, Edding und Tinte ein filigranes Netzwerk von Figuren, Symbolen, Sprüchen entstehen, das die Grenzen Europas fast bis zur Unkenntlichkeit überlagert.

Keine "Zigeuner"

Der Begriff „Sinti und Roma“ hat sich im deutschsprachigen Raum als Bezeichnung für die Minderheit durchgesetzt. Als Sinti bezeichnen sich die seit Jahrhunderten in West- und Mitteleuropa beheimateten Angehörigen der Minderheit. Roma meint hingegen die aus Ost- und Südosteuropa kommenden Gruppen. Zugleich ist Roma die international gängige Bezeichnung.

Der Begriff „Zigeuner“ hingegen wird von Angehörigen der Minderheit als abwertende, stigmatisierende Fremdbezeichnung abgelehnt. Wie wichtig diese Sprachpolitik ist, wurde beim Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma deutlich. Der Bau verzögerte sich um mehrere Jahre, unter anderem, weil Minderheiten-Organisationen mit sich und der Bundesregierung um den Mahnmal-Text und die Verwendung des Z-Wortes stritten.

In Berlin gibt es zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen, die sich gegen Antiziganismus und für ein emanzipiertes Verhältnis von Mehrheit und Minderheit einsetzen. Zwei Beispiele: IniRomnja ist ein 2009 gegründeter Zusammenschluss von Sinti-und-Roma-Frauen, die sich für die Selbstermächtigung von Frauen der Minderheit einsetzen. Im Verein Romatrial von Hamze Bytyci (siehe Spalte rechts) arbeiten sich Jugendliche mittels Theater, Film und Radio an Hass und Vorurteilen ab. (sum)

Feigenblätter der Politik

Eher subtil arbeitet Alfred Ullrich, ein deutscher Sinto, „der Grafiker unter unseren Künstlern“, so Pankok. Von ihm sind in der Ausstellung sind Drucke von Feigenblättern zu sehen – auf den ersten Blick sehr ästhetisch, elegant, fast abstrakt.

Nach Pankoks Interpretation ist es freilich kein Zufall, dass Ullrich Feigenblätter gewählt hat: „Die Politik benutzt ja gerne Feigenblätter – auch viele Zugeständnisse der Minderheit sind nur politische Feigenblätter.“ So gebe es zwar seit 2012 in Tiergarten ein Denkmal, das an die Vernichtung der Sinti und Roma im Holocaust erinnert. „Aber dass man die Minderheit als Teil der Gesellschaft wirklich anerkannt hat, so weit sind wir noch nicht“, findet Pankok, der zwar selbst ein „Gadsche“ (Romanes für Nicht-Roma) ist, aber durch familiäre und persönliche Beziehungen von Kindheit an viel mit Sinti und Roma zu tun hatte.

Die eigene Erzählung Hier ist die Minderheit selbst der Autor, das heißt, die Menschen sprechen für sich – es wird nicht, wie so oft, über sie gesprochenGALERIST MORITZ PANKOK

Auch wenn Diskriminierung eine Klammer für „seine“ Künstler ist, wie Pankok sagt: Als Galerist will er auch – oder vor allem – die Vielfältigkeit der Kunst zeigen. „Es gibt natürlich keine eigene Roma-Kunst“, betont er. „Künstler sind Individualisten und individuelle Autoren, die über ihre eigene Lebenssituation und ihre eigenen Ideen kommunizieren mittels Kunst.“ Aber schon damit leisteten die sie automatisch Arbeit gegen Antiziganismus, sagt Pankok, „weil man über Roma leider immer als ‚die Roma‘ spricht – und das ist ja schon wieder so eine Vorverurteilung“.

Beispiel Imrich Tomáš, einer der wenigen Künstler der Galerie, dessen Werke thematisch keinen Roma-Bezug aufweisen: Der in der Slowakei geborene Künstler, der seit Jahren in Berlin lebt, arbeitet rein abstrakt. „Die Leute an der Kunsthochschule in der Tschechoslowakei haben damals von ihm erwartet, dass er folkloristisch arbeitet und Blumen malt, weil er Rom ist. Das hat ihn geschockt!“, erzählt Pankok. Abstrakte Kunst als Ausbruch aus dem Klischee.

In diesem Spannungsfeld arbeitet auch die Galerie: Einerseits stellt sie einzelne, vom Kurator für „gut“ befundene Künstler aus, andererseits präsentiert sie sie unter dem Label „Roma“. Für Pankok ergibt sich dieser Widerspruch notwendig aus der strukturellen Benachteiligung der Minderheit: Solange es sie gibt, so lange brauche man eine Galerie für Sinti-und-Roma-Kunst als „politisch-emanzipatorischen Akt“, sagt Pankok. „Hier ist die Minderheit selbst der Autor, das heißt, die Menschen sprechen für sich – es wird nicht, wie so oft, über sie gesprochen.“

Damian Le Bas: „Save European Home? Deutschland 2015“. Der Künstler ist 1963 in Sheffield, Großbritannien, geboren und studierte am Royal College of Art in London, er lebt und arbeitet in Worthing/Sussex Foto: Diego Castellano

Damit übernähmen die Roma-Künstler auch eine immens wichtige Aufgabe für die Emanzipationsbewegung der Sinti und Roma: „Das Schaffen eines neuen Selbstbildes der Minderheit“ – und so auch eines neuen Bildes in der Öffentlichkeit.

Dass dies funktioniere, davon ist der Galerist überzeugt: nicht nur Roma-Flüchtlingskinder erfülle es mit Stolz, erzählt er, wenn sie bei Kunst-Workshops zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren, dass es berühmte, erfolgreiche Künstler gibt, die der eigenen Gruppe angehören. Etwa das Künstler-Ehepaar Damian und Delaine Le Bas, Angehörige der englischen Romany Traveller (Eigenbezeichung der Roma in Großbritannien), deren Werke in ganz Europa ausgestellt werden. „Auch eher konservative Kreise etwa unter Sinti, die sonst eher Traditionen und Folklore hochhalten, erkennen inzwischen an, dass zeitgenössische Kunst ihren Wert hat“, sagt Pankok.

Delaine Le Bas: „Modern Witch“, 2015.Geboren ist die Künstlerin 1965 in Worthing/West Sussex, Groß- ­britannien, wo sie auch lebt und arbeitet.„In meiner Arbeit kulminieren Outsider Art, Volkskunst und zeitgenössische Kunst. Ich arbeite und lebe in denselben Räumlichkeiten – es gibt keine Trennung des alltäglichen Lebens von meiner Kunst, beides ist eng miteinander verwoben. Als eine Romnja war mein Blickwinkel immer der einer Außenseiterin. Und diese Position des ‚Anderen‘ reflektiert sich in den Materialien und Botschaften meiner Werke.“ Foto: Diego Castellano

Aber auch er weiß natürlich, dass „Bilder allein nicht die Welt verändern“. Und so entwickelte Pankok, mit tatkräftiger Unterstützung des Inhabers des Aufbau-Verlages Matthias Koch, das Haus am Moritzplatz zu einer regelrechten Kulturbotschaft der Sinti und Roma. Mittlerweile arbeiten dort sieben Selbstorganisationen, beraten und begleiten Jugendliche, machen Bildungs- sowie Kulturarbeit und Veranstaltungen. Koch finanziert übrigens auch die Galerie, die „noch“, wie Pankok sagt, ein defizitäres Unternehmen sei.

Als letzte Organisation zog im Oktober vorigen Jahres das Dokumentations- und Kulturzentrum der Deutschen Sinti und Roma (Dokuz) ein, das seinen Hauptsitz in Heidelberg hat. Der Vorsitzende Romani Rose befand bei der Eröffnungsfeier, die Minderheit sollte dort präsent sein, wo die politischen Entscheidungsträger sitzen, gerade in Zeiten des zunehmendem Antiziganismus. Pankok bestückte die neuen Räume zur Eröffnung mit Bildern seines Großonkels Otto Pankok, der von den 30er Jahren bis in die Nachkriegszeit eine Reihe von Porträts mit Düsseldorfer Sinti gemalt hatte. Auch künftig, sagt er, werde man mindestens einmal im Jahr die Räume des Dokuz mit Kunst bespielen – wie es überhaupt viele Schnittmengen zwischen den verschiedenen Roma-Organisationen im Haus gebe. „Das Schöne an der Idee“, sagt Pankok, „ist, zu sehen, dass man nicht nur einen persönlichen Spleen hat, sondern viele an einem Strang ziehen.“

Die Gruppenausstellung „Stopping Places V“ ist bis 6. Februar in der Galerie Kai Dikhas im Aufbau-Haus am Moritzplatz zu sehen. Mi.-Sa. 12-18 Uhr.

Am 25. Februar eröffnet die „Sammlung Kai Dikhas“ im Kunstraum Dikhas Dur im 5. OG des Aufbau-Hauses. Infos unter: www.kaidikhas.com

Die nächste Ausstellung im Dokuz eröffnet Mitte März. Infos unter: sintiundroma.de

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