Spielfilm „Im Schatten der Frauen“: Körper im Leerlauf
Der französische Regisseur Philippe Garrel umkreist in seinem Alterswerk „Im Schatten der Frauen“ ein Paar in der Ehekrise.
Einen Dokumentarfilm über einen Kämpfer im Widerstand gegen die Nazibesatzung möchte der Regisseur Pierre (Stanislas Merhar) drehen. Während eines Interviews sitzt er dem inzwischen weißhaarigen, gebrechlichen Mann und dessen Frau gegenüber. Der Alte erzählt vom Krieg, die Frau serviert Plätzchen. In dieser ehelichen Routine, die auf gemeinsam verbrachte Jahrzehnte, auf eine längst geklärte Aufgabenverteilung verweist, spiegelt und bricht sich die Beziehung, die in Philippe Garrels neuem Film im Mittelpunkt steht.
Denn auch Pierre hat eine Begleitung zum Gespräch mitgebracht: Neben ihm sitzt Manon (Clotilde Courau), gleichzeitig seine Ehefrau und seine wichtigste Mitarbeiterin. Auch sie bleibt, darauf weist ein Voice-over-Kommentar früh hin, aus freien Stücken im Schatten ihres Mannes, obwohl sie vorläufig für beide das Geld verdient und den Alltag in der verkramten, wenig heimelig anmutenden gemeinsamen Wohnung organisiert.
Der Film, den Garrel gedreht hat, heißt aber „Im Schatten der Frauen“ (beziehungsweise im Original „L’ombre des femmes“, was besser übersetzt wäre mit „Der Schatten der Frauen“).
Die entscheidende Perspektivverschiebung deutet sich ein paar Szenen später an: Während eines Rechercheausflugs hängt Pierre vor einem Filmarchiv ab und starrt dabei, wie er das oft tut in dem Film, starr und regungslos vor sich hin. Dann tritt eine weitere Frau, Elisabeth (Léna Paugam), ins Bild. Sie schiebt mit einer Sackkarre einige Filmrollen eine Straße herunter. Pierre gesellt sich zu ihr, übernimmt die Last.
„Im Schatten der Frauen“. Regie: Philippe Garrel. Mit Clotilde Courau, Stanislas Merhar u. a. Frankreich/Schweiz 2015, 73 Min.
Während der folgenden Unterhaltung umspielt Elisabeths Mund ein grundloses und deshalb umso umwerfenderes Lächeln. Die beiden beginnen eine Affäre, auf Zehenspitzen, weil Elisabeths Wohnung hellhörig ist. Manon sitzt derweil mit ihren adrett zerzausten Haaren alleine zu Hause und hält das Essen warm – denkt Pierre.
Etwas Überdimensioniertes, Wahnwitziges
Philippe Garrel dreht seit gut fünf Jahrzehnten Filme – „Im Schatten der Frauen“ ist allerdings der erste, der in Deutschland einen regulären Kinostart erhält. Nicht in allen, aber in vielen Garrel-Filmen geht es, wie in dem neuen, um Frauen und Männer in einem stets, und auch diesmal, in wunderschönen, atmosphärischen Schwarz-weiß-Bildern eingefangenen Paris. Gemäß ihrer Budgets sind das kleine Filme, die aber alle etwas Überdimensioniertes, Wahnwitziges haben.
Die Gefühle, von denen die Filme handeln, sind zu groß oder jedenfalls unpassend für die Menschen, die sich mit ihnen konfrontiert sehen. Das führt jedoch nicht zu melodramatischen Exzessen, sondern zu stillen, dennoch fast körperlich nachfühlbaren Implosionen: Die Sprache versagt, die Körper funktionieren kaum mehr, schalten auf Leerlauf.
Einige frühe Arbeiten Garrels haben sich ganz einem solchen beinahe katatonischen Stillstand verschrieben und kommen fast komplett ohne Sprache und Dialoge aus. Über die Jahre sind die Filme allerdings kommunikativer und narrativer geworden. In dem neuen Film gibt es eine sonderbare Arbeitsteilung: Die Frauen lachen, leiden, fühlen intensiv und expressiv – Pierre dagegen blickt vor allem gerne schweigend ins Nichts, anders als Manon schwitzt er nicht einmal beim Sex, im Zustand der Erregung überkommt ihn höchstens ein kaum merkliches Zittern.
Die „typisch männlichen“ Lebenslügen
Es ist nicht einfach zu entscheiden, wie sich der Film zu seiner lethargischen und vor allem in der zweiten Filmhälfte zunehmend schwer erträglichen Hauptfigur verhält. Sicherlich konzipiert Garrel Pierre nicht als eine klassische Identifikationsfigur – schon der nüchterne, distanzierte Voice-over weist auf die „typisch männlichen“ Lebenslügen hin, die es ihm ermöglichen, gleichzeitig ohne schlechtes Gewissen fremdzugehen und von seiner Frau absolute Treue zu erwarten.
Allerdings bleibt „Im Schatten der Frauen“ dennoch durch und durch Pierres Film. Das Leben, das Manon und Elisabeth jenseits von Pierre eventuell haben, interessiert den Film kaum, die entscheidenden Szenen des Films sind um seine sinnliche und emotionale Wahrnehmung herum konstruiert; letzten Endes umhegt Garrel in seiner Inszenierung seine Hauptfigur (wenn nicht: seinen Platzhalter) genauso fürsorglich, wie die beiden Frauen es innerhalb der Handlung tun.
Ein Film über Liebe und Eifersucht aus bedingungslos männlicher Perspektive – das muss natürlich nichts Schlechtes sein, erst recht nicht, wenn großartige Schauspieler und ein Regisseur mit viel Gespür für kleine Gesten und Unausgesprochenes am Werk sind. Tatsächlich könnte man fast das gesamte Werk Garrels ähnlich beschreiben.
Anders als die früheren, raueren Filme des Regisseurs wirkt „Im Schatten der Frauen“ allerdings gelegentlich unangenehm kalkuliert – vorderhand wird Pierres Machismo nach allen Regeln der Kunst dekonstruiert, aber am Ende geht es allen Beteiligten doch nur darum, den Trübling endlich einmal zum Lachen zu bringen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!