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Der Duft der grauen Papaya

KUNST Ausbeute einer vier Jahre langen Europareise: Der Berliner Fotograf Michael Schmidt zeigt in seiner Serie „Lebensmittel“ Bilder aus dem Schlund der Nahrungsmittelindustrie

VON RALF HANSELLE

Ein Mann hat eine Reise gemacht. Er war lange weg, der Mann. Vier Jahre lang. Er war in Italien, In Norwegen, in Spanien. Er war in nahezu jedem Land in Europa. Er hat Industriebäckereien und Tomatenplantagen besichtigt; Fischfarmen und Tierzuchtbetriebe. Er war auf Wochenmärkten und in Supermärkten unterwegs; hat sich Apfelwaschanlagen und Schlachtbetriebe angeschaut. Er war irgendwo und nirgendwo. Doch immer auf den Spuren des täglichen Brots.

Jetzt ist er wieder da – der Mann, der lange weg war. Er sitzt in seinem Atelier in einem Kreuzberger Hinterhof und zieht an einer niedergebrannten Zigarette, ein tiefer Zug; dann ein Satz, wie gebeichtet: „Ich war Berlin-müde.“ Der Mann schaut, als könne er es selbst nicht ganz glauben. Wie ein Veganer nach dem ersten Stück Fleisch. Berlin-müde. Er, Michael Schmidt. Der Fotograf, der stets so verwachsen erschienen war mit den Brandmauern und dem Pflaster der Stadt. Dessen Bilder so bärbeißig waren wie das hitzige Herz und die hiesige Schnauze – wie sonst nur bei Zille, oder bei Menzel.

Reisen, das war nie so sein Ding. Wo andere Fotografen in die Welt hinausfuhren, da fand Schmidt seine Motive vor U-Bahnhöfen und Frittenbuden. „Zuerst wird vor der eigenen Tür gekehrt“, hatte die Mutter ihm einst als Rat mitgegeben. Und Schmidt kehrte und fegte und blieb hier und zu Hause: bei den Häuserstümpfen der Restmoderne, bei den Brachen und den Betonfassaden. Zahlreiche Bücher hat er über sie gemacht. Bücher mit Titeln so karg wie die Landschaft: „Berlin. Stadtlandschaft und Menschen“, „Berlin – Wedding“ oder „Berlin-Kreuzberg. Stadtbilder“. Das war in den 70er und 80er Jahren. Das war, als Berlin noch in der Mitte zerteilt war.

Was sollte so einer in fremden Ländern? In Holland oder in Portugal? Woanders war es sicherlich auch nur grau. So grau wie schon hier – in seiner Atelierwohnung im Hinterhof. Aschgrau sind die Bohlen des Fußbodens und silbergrau die vielen Regale. Mausgrau die Fotokartons mit den Papierabzügen, Zementgrau die Lamellen der Altbaufenster. Auch Schmidt selbst ist irgendwie gräulich: die Jacke, die Hose, die verkniffenen Falten. Nur ein Paar Hausschuhe stechen aus all dem hervor: Kirschrot. Wie eine kleine Pointe in der Monochromie. Würde man bei Schmidt ein Farbfoto machen, es erschien am Ende doch nur Schwarzweiß. Wie die Tönung, die ihn berühmt gemacht hat. Ein Ruhm in Basalt-, in Schiefer-, in Kieselgrau.

Inspektion des Restlands

Grau, das war früh seine Farbe. Schon 1965. Damals war er zwanzig, Polizist und hatte sich für Fotografie zu interessieren begonnen. Er ganz allein – ohne Lehrer, Akademie oder Abschluss. 1973 quittierte er den Polizeidienst und war von da an freier Künstler. Ein realistischer Fotograf. Engagiert und voller Fragen – wie einst Walker Evans oder Manuel Rivera-Ortiz. Er zeigte Berlin in Februar-Färbung; in großen Paletten von Weiß nach Schwarz. „Schwarz und Weiß bedeutet bei mir immer das dunkelste und das hellste Grau.“

Schmidt sagt solch einen Satz ganz ironiefrei, als wären auch Tod und Leben nur Nuancen aus dem Einerlei. Vor drei Jahren hatte das Münchner Haus der Kunst eine Retrospektive seiner Arbeit gezeigt. Alle bis dahin wichtigen Serien waren darin versammelt: „Ein-Heit“ und „Irgendwo“; „Waffenruhe“ und „Stadtlandschaften“. Große Einzelbilder auf riesigen Wänden und Installationen wie Knüpfwerk aus Silberpapier. 390 Werke sind da zusammengekommen. Doch der nüchterne Titel war: „Grau als Farbe“.

Jetzt also hatte er die Gräue verlassen – die Straßenfluchten; die Wohnsilos. Jetzt hatte er eine Reise gemacht. „Ich hatte mich an Berlin abgearbeitet. Ich brauchte Distanz.“ Angefangen hatte das schon kurz nach der Wende – 1989, als Michael Schmidt das Restland zu inspizieren begann – Hannover oder Sachsen-Anhalt; die Autobahnen und das Meer. Damals ist er mit einer beeindruckenden Arbeit zurückgekehrt. „Ein-Heit“ – ein eigentümlicher Bilderteppich aus den Tiefen einer deutschen Seele; Impressionen aus einem bleiernen Land – zerrissen und geklebt, fragmentiert und wieder zugenäht. Es war die bis dahin wohl deutscheste von allen Serien. Seinen Ruhm hat sie bis nach Amerika getragen. Als „Ein-Heit“ 1995 im New Yorker MoMA zu sehen war, wurde der kleine Mann mit dem banalen Namen zum Aushängeschild deutscher Fotokunst – gleich neben den Bechers und kurz hinter Gursky.

Doch jetzt hatte er dieses Deutschland verlassen. Jetzt hatte er ganz Europa gesehen. Die Schlachthäuser und die Molkereien. Er, der Avedon der Hinterhöfe; der Fotograf, mit dem Kehricht vor der eigenen Tür. Und diese Reise hat ihn wirklich verändert. „Bei jedem Projekt macht man eine Läuterung durch. Man kommt anders zurück, als man losgefahren ist.“ Vielleicht hat es am Stoff gelegen: an den Fischfarmen und Tomatenplantagen.

Schmidt hatte sich auf die Spur der industriellen Produktion von Lebensmitteln gesetzt – ein Thema, das ihn verfolgt hat, seitdem er ein Ferienhaus auf dem Land besitzt: „Ich esse wirklich gerne. Aber wenn Sie mitbekommen, wie man auf dem Land mit der Natur umgeht, dann gibt einem das schon zu denken.“ Das Fleisch, es schmeckte „nach Apotheke“; die Äpfel waren wässrig und fad. Irgendwann war dann das Maß voll. Irgendwann hatte er diese Reise gestartet: Eine Expedition zu den Lebensmittellaboren und Hühnerfarmen; zu den Gurkenzüchtern und Schlachtbetrieben. „Es kommt der Punkt, da müssen Sie handeln.“ Schmidt sagt diesen Satz ganz grade heraus, So gerade wie Straight Photography.

Das Auge isst nicht mit

Als er zurückkam, war da plötzlich die Farbe: Papaya-Gelb und Apfel-Grün; Knackwurst-Braun und selbst das künstliche Rot von Hackepeter. „Die Farbe schob sich einfach dazwischen. Ich stand vor meinen Schwarzweiß-Bildern und dachte, dass da was fehlte. Es war die Farbe, die sich plötzlich wie von selbst einforderte.“ Nicht dass bei Schmidt jetzt alles knallbunt wär. Noch immer gibt es Grisailles. Doch vereinzelt schiebt sich ein Farbbild dazwischen. Zaghaft, wie rote Schlappen im mausgrauen Alltag. „Ich denke, dass sich die Farbe vollkommen in meine Schwarzweiß-Fotografie integriert“, schwärmt er, als wäre Bunt nur ein anderes Grau; als fehlte dem Color etwas Biofrische.

Wer die 177 Bilder aus dem Schlund der Nahrungsmittelindustrie gesehen hat, der beginnt zu ahnen, dass da was faul ist. Dieses Gurken-Grün und dies Dotter-Orange – und doch letztlich all diese Gräue im Abgang. Es sind Bilder, bei denen das Auge nicht mitisst. „Ich frage mich selbst manchmal, warum diese Serie einen Nerv trifft“, sagt Schmidt, während er mit einer weiteren Zigarette noch Rauchgrau nachlegt. Das Thema an sich sei ja wirklich nichts Neues.

Bilder von lachendem Aufschnitt oder traurigen Kühen gäbe es längst allerorten zu sehen – im Supermarkt, im Kino, im Fernsehprogramm. Das müsse man nicht noch ins Museum hineinbringen. Und doch hat Schmidt genau das getan. Zunächst in Leverkusen, ins Museum Morsbroich; jetzt in den Martin-Gropius-Bau. 177 Bilder vom Ekel des Essens.

Eigentlich, glaubt Schmidt, hätten wir uns an solchen Bildern längst sattsehen müssen: „Doch man steckt den Finger in den Hals und ist wieder sauber.“ Dass seine Serie dennoch so anspricht, habe mit ihrer Ästhetik zu tun: „Ich mache keine Erzählung. Ich mache Musik.“ Ein Sound aus Bildern, Motiven, Modulationen. „In der Kombination von Bildern ergeben sich bestimmte rhythmische Abläufe. So wie ich die Bilder auf die Fläche setze, ergeben zwei Bilder immer ein drittes Bild – ein Bild, das vom Betrachter nur imaginiert wird.“

Genauer erklären könne er das nicht. Diese Hängung ist sein großes Geheimnis; dieses enge Gewebe aus Fotografie. Das war so bei der Serie „Ein-Heit“ und das ist bei den „Lebensmitteln“ nicht sonderlich anders. Dieser Sound, dieser Klang, dieses Stakkato der Bilder. Dieses Gelb, dieses Rot – und doch alles nur grau. Eine Fuge auf einer riesigen Fläche. Schmidt schweigt und legt die Hausschuhe übereinander. Irgendwie scheint ihn die Reise gelassen gemacht zu haben. Es ist ja auch eine gute Erkenntnis: Woanders, da ist es auch nur grau.

Michael Schmidt: „Lebensmittel“. Martin-Gropius-Bau, 12. Januar bis 1. April

Markus Heinzelmann (Hrsg.): Michael Schmidt: „Lebensmittel“, Snoeck, Köln 2012. 264 S., 128 Euro

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