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Feinstaubalarm in StuttgartFreiwillig bringt‘s nicht

Die Stuttgarter dürfen ab Samstag wieder in ihre Autos steigen – das haben sie eh gemacht. Das nächste Mal gibt es vielleicht richtige Fahrverbote.

Am Neckartor geht viel Verkehr durch, aber wenig frische Luft. Foto: dpa

Stuttgart taz | Das Alarmsignal war wohl zu leise. „Ich wünsche mir, dass mehr Bürger umsteigen“, bilanzierte Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) am Freitag. Fünf Tage lang waren die Stuttgarter AutofahrerInnen dazu aufgefordert, ihr Fahrzeug stehen zu lassen, um die Feinstaubbelastung zu senken.

Als bundesweit erste Kommune hatte Stuttgart von Montag an einen Feinstaubalarm ausgelöst, der in der Nacht zum Samstag endet. Als Anreiz für das Stehenlassen des Pkw gab es etwa vergünstigte Nahverkehrstickets und eine Sonderlinie.

Doch der Effekt hielt sich in Grenzen. Das baden-württembergische Verkehrsministerium zählte in dem Zeitraum einen Rückgang des motorisierten Individualverkehrs um 3 Prozent. Am Neckartor, einer der Hauptverkehrsachsen der Stadt, sanken die Werte am Dienstag zwar von 141 Mikrogramm je Kubikmeter Luft auf 95 Mikrogramm am Donnerstag. Doch das ist immer noch Doppelte des europaweit festgelegten Tagesgrenzwertes von 50 Mikrogramm.

„Freiwilligkeit allein reicht nicht“, sagt Jens Hilgenberg, Verkehrsexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). „Wir brauchen ein Fahrverbot.“ Die Stadt schließt mittlerweile auch das nicht aus: „Falls wir die Schadstoffbelastungen der Stuttgarter Luft auf diese Weise nicht nachhaltig unter die Grenzwerte senken, dann folgen unweigerlich ordnungspolitische Maßnahmen wie etwa Fahrverbote“, sagte Kuhn am Freitag.

Stau am Neckartor

Die Aktivität könnte damit zusammenhängen, dass die Europäische Union die Stadt Stuttgart im Visier hat. Im April 2013 hat die EU-Kommission wegen hoher Luftverschmutzung ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Stuttgart und Leipzig eingeleitet. Schaffen es die Städte auch in Zukunft nicht, ihre Feinstaubbelastung zu reduzieren, könnte die EU-Kommission den Europäischen Gerichtshof anrufen. Dann würden Stuttgart Strafzahlungen in Millionenhöhe drohen.

Neben dem Verkehrsaufkommen hat Stuttgart ein bauliches Problem. Denn die Feinstaubkonzentration ist am viel befahrenen Neckartor wohl auch deshalb so hoch, weil der Talkessel der Stadt in Richtung Westen geschlossen ist. „Deshalb staut sich die schlechte Luft hier,“ erklärt ein Meteorologe des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Aus diesem Grund sei die Stadt auf kräftigen Wind angewiesen, der die Partikel aus der Stadt blasen könne.

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8 Kommentare

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  • Die hohen Werte sind ja nicht nur dem Straßenverkehr geschuldet. Der Umstieg auf Festbrennstoffe wie Holz/Pellets/Hackschnitzel/Braunkohlebrikkets tut sein übriges. Die BImSchEV wurde zwar schon angepasst und prinzipiell hätten schon 2015 die ersten alten Öfen stillgelegt werden müssen aber irgendwie passiert nix. Wir haben auch einen Ofen, neben der Wärmepumpe, der nichtmehr zulässig ist. Den verwenden wir zwar eh nur einmal pro Jahr zum entsorgen des Weihnachtsbaumes aber beanstandet hat ihn der Schornsteinfeger bis jetzt nicht. Der wäre ja auch dumm. So kann er 1x im Jahr einen sauberen Kamin kehren. Ich denke das dürfte auch der Fall sein für die dreckigen Kamine die er kehrt. Ausser dem Schornsteinfeger weiß ja niemand wer gegen die BImSchEV verstößt.

  • noch zwei Jahre und die bauen einen rießigen Ventilator, der den Feinstaub weiträumig verteilt damit die Grenzwerte eingehalten werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der typische Autofahrer aufs Rad steigt oder den öffentlichen NV nutzt.

  • Freie Fahrt für freie Bürger!

    Zur Freiheit gehört eben auch das Ersticken im Kessel. Aber immerhin im eigenen Auto!

    Hurra Deutschland!

  • Nein, es gab keine vergünstigten Nahverkehrstickets! Der öffentliche Nahverkehr in Stuttgart ist unzuverlässig und schweineteuer und deshalb für die meisten Pendler keine Alternative. Hier müsste man etwas ändern, dann würde es vielleicht auch mit dem Umstieg klappen. Aber leider sind sowohl OB Kuhn als auch die grüne Landesregierung unfähig oder unwillig, hier etwas auf die Beine zu stellen. Ausgesprochen peinlich, weil das eigentlich für die Grünen ein wichtiges Thema sein sollte.

  • Vergünstigte Tickets, holla! Wie wäre es mal eine Woche kostenlos?

  • Fahrverbote, das wird dann zwangsläufig dazu führen, dass auch der Fuhrpark der Landesregierung stehen bleiben muss !

    • @Georg Schmidt:

      Ja, und?

  • Der wirkliche Hintergrund für den in Stuttgart vom Bürgermeister erbetenen 'freiwilligen' Verzicht auf das Auto sind die im März anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg. Kretschmanss Grüne wollen weiter in der Regierung bleiben, sei es mit der SPD oder der CDU. Und so 'Grün' ist Stuttgarts Bürgermeister Kuhn nicht, dass er bereit wäre, sich mit dem motorisierten Mainstream anzulegen. Ein Fahrverbot würde im Ländle die AfD endgültig an der SPD vorbeiziehen lassen. Da opfert der Grüne-OB lieber dem wahlpolitschen Kalkül unbequeme Inhalte. Aber eigentlich ist das bei den Grünen schon lange keine Überraschung mehr...