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Mein Ofen

RENAISSANCE Heizen mit einem Ofen ist wieder en vogue: Weil es billig ist, aber auch weil es etwas mit Selbermachen zu tun hat und so dem Leben einen Sinn gibt

Damals noch kein Statussymbol: Der Kachelofen sorgte früher für Gemütlichkeit, nicht selten aber auch ganz allein für die Wärme im Haus  Foto: Gregor Helms/Creative Commons

von Katrin Seddig

In der Mitte des Hauses, in dem ich aufgewachsen bin, stand ein großer, gelber Ofen. Er steckte in der Wand und heizte das Wohnzimmer zur einen Seite und einen kleinen Flur zur anderen Seite. Wenn man die Türen vom Flur zum Kinderzimmer, zum Bad und zur Küche aufließ, dann heizte er auch den Rest des Hauses. Eine andere Heizung gab es in diesem Haus nicht.

Wenn wir uns abends an den Ofen schlichen, im Schlafanzug, wenn wir vorsichtig, vorsichtig unser nackten Füße auf dem Blech aufsetzten, das vor dem Ofen lag, vor dem Aschkasten, dann konnten wir durch die geöffnete Ofenklappe in das Wohnzimmer der Eltern genau auf den Fernseher sehen. Unsere Augen brannten von der Hitze, die aus der Ofenklappe strömte, und das schwarz-weiße Fernsehbild verschwamm vor unseren tränenden Augen.

Am Morgen war es dann kalt, besonders im Winter, und so war es früher. Mal warm, mal kalt, und eisig im hinteren Zimmer, das später mein eigenes wurde, und das zu weit vom Ofen ab lag. Im kleinen Flur war es glühend heiß, wenn der Ofen an war und wir konnten unsere vom Draußenspielen nassen Klamotten rasch dort trocknen. Im Herbst kamen die Kohlen und wir mussten helfen, mit einem Blecheimer und unserer kleinen Schubkarre, den Schuppen füllen und den Keller. Abends hackte unser Vater das Holz, das im Schuppen lagerte und so war das eben. Wärme und Kälte, mal so und mal so, und an jeder Stelle des Hauses ein bisschen anders.

Jetzt kenne ich nur noch Heizung. Heizung ist eine gleichmäßige Wärme, sie ist einfach immer da, wenn man es wärmer will, dreht man sie höher, wenn man es kälter will, dreht man sie runter, man reguliert die Temperatur, das Leben ist weniger heftig, auch die Kleidung funktioniert besser, man friert kaum, wenn man die richtige Jacke anhat, man durchnässt nicht mehr, weil die Sachen einfach nicht durchnässen, man lebt klimatisiert. Und ist trotzdem mehr erkältet.

Ich war als Kind kaum mal erkältet, obwohl wir im Winter täglich nass und mit halb erfrorenem Körper in dem Wald herumrannten, in dem wir wohnten. Die Jahreszeiten waren uns präsenter, als sie es jetzt sind, Wetter war dichter an uns dran. Ich will aber nicht nostalgisch werden, ich drehe gern die Heizung auf, ich möchte kein Holz hacken und keine Kohlen in einen Schuppen tragen. Ich weiß, dass das Heizen mit Kohle nicht unbedingt umweltfreundlich ist, und ich erinnere mich an den Ruß, der sich auch bei uns im Schnee auf dem Dach niederließ.

1952 starben in London 12.000 Menschen am Smog, 100.000 erlitten Atemwegserkrankungen, entstanden durch Kohleheizung, durch giftiges Schwefeldioxid. Die Zusammensetzung der Brennstoffe ist natürlich jetzt eine andere, die Öfen haben bessere Filter, die Schornsteine sind irgendwie auch besser, nehme ich an, aber würde eine Großstadt heute noch mit Kohle beheizt, gäbe es auch jetzt ein Smogproblem. Dennoch, der Ofen ist wieder da.

War es in meiner Jugendzeit noch ein Zeichen von Wohlstand und Fortschritt, keinen Ofen mehr zu haben, sondern eine moderne Zentralheizung, ist es nun wieder ein Zeichen von Wohlstand, einen Ofen zu haben. Insbesondere alte Kachelöfen sind schick. Kamine sind auch schick. Offenes Feuer ist romantisch und brennt in sanierten Altbauwohnungen, während auf dem reaktivierten Plattenspieler Cool Jazz läuft. Oder auch Sarah Connor.

Hinzu kommt, dass das Heizen mit Holz zum Beispiel günstiger ist, als das Vertragsheizen, mit Gas oder Öl. Wer sich also den Luxus des Ofens leisten kann, der kann dann sogar sparen. Holz setzt bei der Verbrennung nicht mehr Kohlendioxid frei, als es durch die Photosynthese verbraucht hat. Kann man also vertreten.

Wer Lagerplatz hat, im Keller, auf dem Dachboden, der kauft Holz beim Förster, da ist es am preiswertesten. Aber auch im Baumarkt gibt es halbwegs günstiges Holz. Mancher läuft auch selbst in den Wald und klaut, weil das Holz da ja gestapelt rumliegt. Oder holt es zwischen den Bäumen raus. Das Aufräumen des Waldes, das Ausdünnen, tut dem Wald allerdings gar nicht gut. Ein aufgeräumter Wald ist ein unnatürlicher Wald. Ihm fehlen die Unterschlupfmöglichkeiten für Kleintiere. Dass das Holzklauen im Wald so zugenommen hat, ist auch ein Zeichen für die zunehmende Beliebtheit der Ofenheizung.

Der am meisten nachgefragte Ofen ist allerdings der Kaminofen aus dem Baumarkt. Das liegt vor allem daran, dass er nicht so viel kostet. Man nimmt ihn mit und stellt ihn zu Hause auf und fertig. Also ungefähr. Ein Mieter muss den Vermieter erst um eine Genehmigung bitten und ein Vermieter genehmigt gar nicht mal so gern einen Ofen in einer Mietwohnung. Und ein Mieter und auch ein Eigentümer muss sich den ordnungsgemäß angeschlossene Ofen vom Schornsteinfeger dann abnehmen lassen.

Früher war es ein Zeichen vonWohlstand und Fortschritt, keinen Ofen mehr zuhaben, sondern eine moderneZentralheizung. Nun ist es wieder ein Zeichen von Wohlstand, einen Ofen zu haben

Wie kommt es aber, dass gerade jetzt so viele Menschen zum Ofen zurückkehren? Irgendwo habe ich gelesen, eine Heizung wäre wie ein Auto und ein Ofen wie ein Fahrrad, denn ein Ofen mache Arbeit und stelle auch eine körperliche Herausforderung dar. Der Mensch sehnt sich also nach der körperlichen Arbeit.

Es gibt ja auch die Bewegung zum eigenen Garten hin, zur Handarbeit, zum Stricken und zum Sägen, die Bewegung zum Selbermachen. Das liegt daran, dass so eine Arbeit zufrieden macht, nehme ich an, sie gibt dem Leben einen Sinn. Bau dir deine Tomate an, zünd dir dein eigenes Feuer an, mach es mit deinen eigenen Händen, mach dir das Dorf in der Stadt, denn der Stadt fehlt das Dorf. Dem Dorf hingegen fehlt das Dorf auch. Denn das Dorf hat auch Zentralheizung und Internet, das Dorf ist heutzutage auch schon die weite Welt und deshalb und aus Sparsamkeitsgründen kehrt auch das Dorf zum Ofen zurück.

Und natürlich, das ist wohl wahr, starrt der Mensch gern in ein Feuer. Ich starre ganze Sommernächte in Feuer, ich kann gar nicht genug davon kriegen. Ich bin immer noch ein Urmensch, in Anteilen, und Feuer und Wasser, das sind Dinge, die könnte ich stundenlang anstarren. Und mein Handy, das auch.

Aber wenn ich könnte, wenn ich Platz und Eigentum und alles hätte, ich würde mir auch einen Ofen kaufen und würde einen Mann haben, hoffentlich, weil es sonst nicht gehen würde, der das Holz hackt, weil ich so was gerne sehe, wenn ein Mann Holz hackt und schwitzt und Muskeln hat, dabei, einen Mann also, der das Feuer anmacht, in meinem Ofen. Das wär so mein Traum.

Aber, realistisch betrachtet,: ich kann mir so einen Mann nicht leisten, weil ich auch nicht so eine Frau bin. Ich schalte lieber Sachen an und liege faul herum. Ich kann diese Wünsche in der Theorie nachvollziehen, aber ich denke, die Menschheit wird nicht zum Ofen zurückkehren und Hamburg wird sich nicht mit Holz beheizen lassen.

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