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Die Stadt weiß sich jeckisch zu empören

Köln 2 Die Vorfälle der Silvesternacht dienen oftmals nur der interessengeleiteten Empörung. Doch es gibt auch ganz andere Reaktionen in der Stadt

Wie vielfach in der Presse thematisiert, haben die Vorfälle in der Silvesternacht für Aufschrei und Empörung gesorgt. Nicht allein in Köln bestimmt fast ausschließlich dieses Thema die Diskussion. Dabei scheint es, als würden die Opfer oftmals nur für interessengeleitete Empörung benutzt.

Doch Kölle wäre nicht Kölle, wenn sich Kölle nicht jeckisch zu empören wüsste: „Mir lossen uns nit dran fummele, Mir lossen keiner dran.“ Hunderte haben sich auf den Domstufen zum Flashmob zusammengetan, um gegen Gewalt an Frauen zu schunkeln. Vielleicht gar nicht die schlechteste Idee, diese friedliche und, ähm ja, fröhliche Form von Protest. So inmitten dieser Frauen fällt mir auf: fast nur Alt-68er linksgrüne Damen. Hm, wo sind sie, die jungen Frauen? Die jungen Frauen, die in meiner Facebook-Timeline durch Likes und ­Shares und digitale Empörung zu finden sind?

Nicht nur junge Frauen wie Luisa erhalten besorgte Nachfragen seitens der Eltern. „Bist du noch sicher in Köln“, heißt es da. Doch wie verhält es sich seit der Silvesternacht in Köln? Ist die Sorge der besorgten Bürger gerechtfertigt? Ist Köln weniger sicher als zuvor? Kann Frau sich in Köln nicht mehr frei bewegen? Diese generellen Fragen lassen sich ohne einen gehörigen und durchdachten Diskurs kaum beantworten und ich wage kaum mit einem Ja oder Nein darauf zu erwidern.

Ich lebe im Kölner Stadtteil Ehrenfeld, ein ehemaliges Arbeiterviertel mit vielen Migranten, das in der Sprache der Gentrifizierung wohl so zu beschreiben wäre: „Hier sitzt der Bankangestellte zusammen mit arabischen Künstlern im indischen Kindercafé.“ Es gibt vier Flüchtlingsunterkünfte und den Arbeiterstrich der Osteuropäer. Belästigt oder beklaut wurde ich hier noch nie. Im Bürgersteiggewimmel findet ein regelfreier und respektvoller Armlängenabstand zu dem Mitmenschen statt.

Seit einigen Jahren arbeite ich mit Flüchtlingen zusammen und es wäre heuchlerisch, zu behaupten, es gebe nicht hin und wieder Verständnisfragen, die sich nicht ausschließlich auf Sprache beziehen, etwa, dass ich mein Apartment zeitweise mit einem männlichen Mitbewohner teile. Deswegen gelte ich nicht als unmoralisch, eher werden meine Aussagen mit Neugier aufgenommen.

Und das, was in Köln momentan beobachtet werden kann, ist chaotisches, ohnmächtiges, impulsives Reagieren seitens der Polizei, der Bürgermeisterin oder den rechten sowie linken Gruppen. Puh, anstrengend. Jeder gegen jeden, dabei gibt es vielleicht gar keine Antworten.

Die Kölner sind großenteils nicht gegen Flüchtlinge als vermeintlich Schuldige an den Silvestervorfällen, sondern gegen rechts, das hat die Gegendemo am Samstag bewiesen. Doch ich bemerke neben wohl berechtigter Polizei-Kritik von vielen auch ein blauäugiges Polizei-Bashing: „Wären Silvester 1.000 Autonome am Bahnhof aufmarschiert und hätten mit Flaschen und Böllern geworfen, hätte es keine Stunde gedauert, bis mit Tränengas, Wasserwerfern und Knüppeln alles niedergemacht worden wäre.“ Oh weh, wirklich? Die erschöpfende Debatte verwandelt sich von Tag zu Tag mehr zu einem unsäglichen Sich-ungerecht-behandelt-­Fühlen. Da fehlt es mir doch zu sehr an konstruktiver Kritik.

Du Pham

Die Autorin lebt in Köln und schreibt als freie Mitarbeiterin für die Kulturredaktion dieser Zeitung

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