piwik no script img

Solidarische Landwirtschaft in OldendorfDer Preis des Porrees

Eine Hofgemeinschaft bei Bremen hat sich vom Handel emanzipiert und gibt den Lebensmitteln ihren Wert zurück.

Auch eine leckeres Gemüse, solidarisch gepflanzt: Mangold Foto: Jan Zier

BREMEN taz | Vergessen Sie bitte einmal kurz, was Sie über Marktwirtschaft wissen. Ganz egal, ob Sie Ihr Obst und Gemüse, und, je nachdem, auch das Fleisch, nun im Super- oder auf dem Wochenmarkt kaufen. Nehmen wir zum Beispiel den Porree. Ein Gemüse, das man in Norddeutschland auch jetzt im Winter gut ernten kann: Hier im Laden des Gärtnerhofs in Oldendorf ist grade die ganze Kiste voll damit.

„Ich kann nicht sagen, was der Porree kostet“, sagt Jan Bera, der Pächter des Hofes. Und es kann ihm auch egal sein.

Die Leute, die seinen Porree essen, bezahlen nicht für das Kilo. Oder weil sein Lauch besonders lecker oder politisch korrekt ist. Sie bezahlen dafür, dass er überhaupt produziert wird. Und dafür dürfen sie ihn dann jetzt essen. Der Porree hier hat keinen Preis. Aber einen Wert. „Solidarische Landwirtschaft“ nennt sich das. Es ist ein bisschen so wie bei den Lehrern: Die werden ja, selbstverständlich, auch nicht pro unterrichtetem Schüler entlohnt.

Nahrung für 200 Menschen

Gut 200 Leute ernährt die “Hofgemeinschaft Oldendorf“, ein Zusammenschluss zweier Höfe, die zwischen Bremen, Bremerhaven und Bremervörde liegen. Alle Mitglieder finanzieren, zusammen, die Landwirtschaft hier. Sie teilen also die ganze Saison über das wirtschaftliche Risiko mit dem Bauern.

Und bekommen dafür allwöchentlich seinen Ertrag. Und zwar immer genau das, was eben gerade hier wächst. Egal, wie viel es ist. „Die Idee, dass Profiterwartung in Verbindung mit Wettbewerb auf dem Markt Qualitätsprodukte erzeugt, hat sich in der Landwirtschaft nie bestätigt“, sagt Wolfgang Stränz, hierzulande einer der Vorkämpfer der solidarischen Landwirtschaft.

Das Konzept entstand in den Sechzigern, in Japan, wo heute schon gut ein Viertel der Haushalte an einem „Teikei“ beteiligt ist. Auch in den USA, wo diese Art des Wirtschaftens „community supported agriculture“ heißt, gibt es das schon seit den Achtzigern.

In Deutschland machte die Idee erst 2005 die Runde, mit der Doku „Farmer John – Mit Mistgabel und Federboa“. Hierzulande zählt das Netzwerk solidarische Landwirtschaft gerade mal 92 Höfe. Zum Vergleich: Insgesamt gibt es in Deutschland nach den letzten Zahlen des Statistischen Bundesamtes rund 285.000 landwirtschaftliche Betriebe. Etwa 18.000 davon produzieren nach den EU-Vorschriften für ökologischen Landbau.

„Unter herkömmlichen Vermarktungsbedingungen“, sagt Jan Bera, „würde es hier im Sommer nur Tomaten und im Winter nur Feldsalat geben“. Auch wenn der Gärtnerhof ein konventioneller Biohof wäre. Mit seinen langen, etwas strubbeligen Haaren, dem Bart, seinem Kapuzenpulli sieht der Thirtysomething wie ein typischer Linksalternativer aus.

Zusammen mit drei anderen bewirtschaftet er seit 2012 drei Hektar Acker, dazu 1.600 Quadratmeter in Gewächshäusern. Aber der Boden ist schlecht hier im „nassen Dreieck“ zwischen Elbe und Weser. Trotzdem wachsen auf dem Gärtnerhof im Dezember Endivien- und Posteleiensalat, Rucola und Zwiebeln, Mangold und Spinat, Petersilie, Porree und noch ein paar andere Sachen.

Experimente mit bunten Auberginen

Warum? „Erst mal ist Geld nicht wichtig“, sagt Bera. „Damit ändert sich alles.“ Er sieht seinen Hof als eine Art „Forschungsprojekt“ – für neue Techniken, Kulturpflanzen, Wirtschaftsweisen.

Zum Beispiel experimentiert er gern mit buntem Gemüse. Etwa mit Auberginen, die gelb sind, oder oben pink und unten weiß, mit Auberginen, die lang sind wie Gurken oder geformt sind wie ein Football. All das gibt es heutzutage auch auf dem gut sortierten Wochenmarkt.

Aber am Ende, diese Erfahrung hat Bera gemacht, kaufen sie dann eben doch meist eine der Auberginen, die aussehen, wie man das gemeinhin von ihnen erwartet: Was der Kunde nicht kennt, kauft er nicht.

Hier bekommt er es einfach vorgesetzt. Und hier kommt es auch nicht in erster Linie darauf an, dass das Gemüse ästhetisch besonders wertvoll ist – was auch der Biohandel heutzutage verlangt. Sondern dass es qualitativ besonders hochwertig ist. Deswegen kann Bera auch darauf verzichten, seine Tomaten mit Hornspänen zu düngen – die alle aus konventioneller Massentierhaltung kommen, wie er sagt. Und zwar auch bei den Tomaten aus dem Bioladen. Selbst wenn sie das strenge „Demeter“-Siegel haben.

In der solidarischen Landwirtschaft haben sich die Menschen vom klassischen Handel emanzipiert. „Weil sie ihm nicht mehr vertrauen“, sagt Bera.

Drei Kilo Gemüse pro Woche

Einmal im Jahr trifft sich die Wirtschaftsgemeinschaft der Oldendorfer zur Vollversammlung. Die Bauern sagen, was sie in der kommenden Saison vorhaben und was das so kostet. Die Mitglieder sagen, wie viele „Ernteanteile“ sie wollen. Der besteht im Jahresdurchschnitt aus drei Kilo Gemüse, 1,2 Kilo Kartoffeln, vier Eiern, 300 Gramm Fleisch und einem Brot pro Woche.

Und sie entscheiden reihum, wie viel sie dafür monatlich bezahlen wollen. Danach wird abgerechnet. Reicht das Gebot aus der ersten „Bieterrunde“ nicht aus, um die solidarische Landwirtschaft ausreichend zu finanzieren, müssen die Mitglieder erneut bieten. „Klingt kompliziert. Ist aber in der Regel nach drei Bieterrunden zu Ende“, sagt Bera.

Für Gemüse und Kartoffeln ist durchschnittlich mit etwa 80 Euro im Monat zu rechnen, wer auch noch Eier, Brot und Fleisch haben will, muss im Schnitt noch mal 54 Euro im Monat zahlen. Funktioniert das? Drei Viertel der Leute, sagt Bera, denken, sie hätten etwas weniger als die anderen – zahlen also 70 Euro für Gemüse und Kartoffeln. Ein paar zahlen nur die Hälfte. Und ein paar „deutlich mehr“. Trotzdem bekommen alle erst einmal denselben Ernteanteil.

Geht das gut? Wenn es im Frühjahr, wenn das Lagergemüse alle ist, oder schrumpelig, die ersten Radieschen gibt, „sind die schnell weg“. Und mit den ersten Tomaten im Sommer sei das genauso. „Da kann es dann schon mal Probleme geben.“ Aber irgendwie reguliert sich das dann, schon weil man sich ja untereinander kennt.

Und wer macht da so mit? „Die allermeisten sind Umdenker“, sagt Bera. Kaum einer, der vor allem auf dem Wochenmarkt einkauft oder eine Öko-Kiste im Liefer-Abo hat, schwenke auf solidarische Landwirtschaft um. „Die bleiben, wo sie sind.“

Bohnen und Paprika aus Marokko oder Weintrauben aus Südafrika, wie man sie in diesen Tagen auch in Öko-Kisten findet, gibt es hier nicht. Ihre Lebensmittel holen die Mitglieder entweder direkt auf dem Hof oder in einem der 15 selbst verwalteten Depots ab, die es in Bremen, Bremerhaven und dem Umland gibt. Eines der größten ist das im Bremer Viertel, das gut 30 Mitglieder versorgt. Der Stadtteil ist eher alternativ, die meisten hier wählen grün oder links, die Kneipendichte ist hoch, die Zahl der Carsharer auch. Und die Zahl der Vegetarier.

„Fleisch essen ist da verpönt“, sagt Marc Schweighöfer, der Pächter des Sophienhofs, der ebenfalls zur „Hofgemeinschaft Oldendorf“ gehört. Zwei Hektar groß ist sein Hofgelände, sieben Hektar Ackerland und 31 Hektar Grünland gehören dazu. Und für Schweighöfer sind Vegetarier ein Problem: Zwar baut er, wie sein Partner Bera, auch Getreide, Feldgemüse und Kartoffeln an, aber er hat eben auch 200 Weihnachtsgänse, 31 Rinder, die noch Hörner haben, und 120 Legehennen mit Bruderhähnen.

Von der solidarischen Landwirtschaft allein kann der 32-Jährige noch nicht leben, er braucht noch die Direktvermarktung im Hofladen, über Freunde und Bekannte. Selbst im ländlichen Oldendorf sind konventionelle Tierzüchter heute manchmal als „Tierquäler“ verschrieen, erzählt Bera.

Für Schweighöfer aber sind Rinder „unabdingbar“ in einer vollwertigen Landwirtschaft. Sie haben ein „tolles Privileg“, schwärmt der Landwirt – „sie können aus Rohfasern hochwertige Nahrungsmittel machen“. Und auf dem Moorboden weiden, auf dem sonst nichts produziert werden könnte. Die Rindviecher hier leben nur von Grünzeug, sagt der Bauer, sie bekommen weder Sojaschrot noch Maishäcksel. Und sie sorgen für den Humusaufbau im Boden – der dann als Stickstoffspeicher dient. Schweighöfer ist einer, für den Fleisch essen „sinnvoll“ ist.

Er war schon als Geselle in Oldendorf, wie Bera auch, seit er 18 ist, arbeitet er in der Landwirtschaft. Ihre Ausbildung haben beide beim anthroposophischen Label „Demeter“ gemacht. Das gilt zwar vielen als leicht okkult und dogmatisch oder zumindest skurril, etwa wenn Aussaat und Ernte auf Mondphasen und Planeten abgestimmt werden, dennoch hat Demeter ob seiner strikten Vorgaben an die biologische Landwirtschaft im Allgemeinen einen guten Ruf.

In der kleinbäuerlich strukturierten Szene der solidarischen Landwirtschaft finden sich zahlreiche Demeter-Höfe. Warum? Die sind von vornherein „möglichst vielseitig“, sagt Schweighöfer. Wer spezialisiert ist, ist für das Konzept der solidarischen Landwirtschaft ungeeignet. Tierhaltung ist bei Demeter-Höfen Pflicht.

Schmeckt besser als bei Freunden

Für Bera ist das Demeter-Siegel zwar eine „geniale Vermarktungsidee“, aber auch „Verarsche“. Zum Beispiel, wenn es um Obst geht: „Da gibt es gute und schlechte Jahre“, sagt Bera, und das sei schon immer so gewesen. Damit das beim Verbraucher nicht so ankommt, werde Kupfer und Schwefel gespritzt, sagt Bera – „und zwar nicht wenig“. Ob er das auch macht? „Da denke ich gar nicht dran!“ Jan Bera ist überzeugt, dass seine Lebensmittel am Ende so auch ganz einfach besser schmecken.

„Es ist toll, wie sich das Gemüse anfühlt, wenn ich es abhole und wenn ich koche“, sagt einer, der schon eine Weile in seiner Hofgemeinschaft mitmacht. „Mir ist nach fast einem Jahr jetzt viel bewusster, was zu dem jeweiligen Zeitpunkt hier in der Umgebung wächst, geerntet wird, gegessen werden kann“, sagt ein anderer. „Und das Gemüse schmeckt besser als das aus dem Laden“, findet der zwölfjährige Fabian. „Bei meinen Freunden mag ich das Essen oft nicht mehr, weil das Gemüse dort komisch schmeckt.“

Manchmal, erzählt Bera, führe die Umstellung auf die solidarische Landwirtschaft aber auch zu ungewohnten Geschmackserlebnissen. Nicht nur, weil man vorher gar nichts von Haferwurzeln oder Spaghettikürbis wusste, „sondern auch, weil scheinbar Altbekanntes nun ganz anders schmeckt.“ Möhren etwa: Die schmecken, konventionell hergestellt, oft etwas herb. „Wenn ihre Schale verletzt wird, dann bilden sie Bitterstoffe“, sagt Bera – „eine Abwehrreaktion“. Die vom Gärtnerhof schmecken also eher süß. „Weil Möhren schon immer süß schmeckten.“

Und noch etwas anderes lässt sich an der Möhre lernen: Menge und Preis haben im traditionellen Handel nicht immer sinnvoll etwas miteinander zu tun. So können Pastinaken locker das Doppelte kosten wie Möhren. Obwohl der Ertrag beim Anbau da viel höher ist. Aber der Hofgemeinschaft Oldendorf kann das ja egal sein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Kleinstrukturierte Höf und deren Bauern können es sich auch leisten ,den Mainstream in ihrer eigenen Gruppe zu kritisieren z.B. Düngeeinsatz , Kupfer und Schwefel. Das schaft den Zwang zu neuen Lösungsansätzen , damit nicht die gleiche Situation entsteht wie in der konventionellen Landwirtschaft, wo sich mittlerweise ein großer Teil der Verbraucher getäuscht fühlt.