piwik no script img

Pläne eines Hamburger Obdachlosen„Ich bin mit meinem Leben überfordert“

Michael M. lebt in Hamburg auf der Straße. Seine Hündin Strange ist immer dabei. 2016 will er sein bisheriges Leben hinter sich lassen und in eine Wohnung ziehen.

Wünscht sich ein stabiles Leben - einen Fernseher etwa und vielleicht noch eine Spielekonsole: Michael M. mit Hündin Strange. Foto: Miguel Ferraz
Andrea Maestro
Interview von Andrea Maestro

taz: Michael, welche Pläne hast du fürs nächste Jahr?

Michael M.: Hauptsächlich geht es mir darum, eine Wohnung zu finden – einen Fixpunkt in meinem Leben. Das ist mir ganz, ganz wichtig. Um das zu schaffen, habe ich jetzt eine gesetzliche Betreuung für mich beantragt – aus eigenen Stücken.

Was macht die?

Die regelt meine Angelegenheiten und unterstützt mich dabei, Hartz IV zu beantragen. Das bekomme ich selbst nicht hin. Zurzeit lebe ich nur von dem im Becher. Das ist für mich aber eigentlich schon zu viel Geld.

Wie viel verdienst du denn?

Jetzt in der Weihnachtszeit, wenn ich den ganzen Tag vor dem Edeka hinterm Rathaus sitze, so durchschnittlich 80 Euro. Sonst sind es täglich so 40 Euro.

Was machst du mit dem ganzen Geld?

Ich finanziere mir alles damit. Meine Hündin Strange kriegt nur frisches Fleisch vom Metzger.

Im Interview: Michael M.

30, ist in Bayern aufgewachsen. Seit drei Jahren lebt er in Hamburg mit seiner ständigen Begleiterin, seiner Hündin Strange, auf der Straße. Er möchte nicht gesiezt werden, wenn er seine Lebensgeschichte erzählt.

Echt?Natürlich, wenn schon leben, dann in Luxus fröhnen. Warum soll ich ihr die günstigste Dose Hundefutter von Edeka kaufen – mit viel Flüssigkeit, ein bisschen Reis, Rohasche, Zucker und weiß Gott was noch, wenn ich für ein bisschen mehr einen dicken, fetten Fleischknochen für sie kaufen kann. Das ist viel natürlicher und gesünder für sie.

Aber dir schenken oft Leute Dosenfutter, oder?

Ja, aber die schenke ich meistens weiter: ans Tierheim oder andere Hundebesitzer. Ich schmeiße es nicht weg.

Woran ist es bisher gescheitert, dass du in eine Wohnung gezogen bist?

An meiner eigenen Inkompetenz. Ich bin mit meinem Leben überfordert. Dabei möchte ich nicht dauerhaft auf der Straße leben. Ich kriege es nur nicht selbst auf die Reihe, mich darum zu kümmern, weil ich eine schwere Borderline-Persönlichkeit habe – eine psychische Behinderung. Ich hoffe, dass ich durch den gesetzlichen Betreuer endlich einen Behindertenausweis bekomme und dass meine Krankheit anerkannt wird.

Was hat die Krankheit für einen Einfluss auf dich?

Ich habe eine starke Impulsstörung. Ich nehme mir Sachen vor, aber die ändern sich teilweise minütlich. Ich versuche einen Fixpunkt zu greifen, aber es funktioniert nicht, weil ich einfach zu viele Quergedanken habe. Ich schaffe es nicht, Freundschaften zu halten und zu pflegen, obwohl ich mich anstrenge. Manchmal ergreife ich einfach die Flucht. Ich lebe ein halbes Jahr irgendwo und haue dann ab. Ich habe einen inneren Impuls, der mich einfach zwingt, die Stadt zu verlassen. Aber vorher hinterlasse ich ordentlich Chaos. Alles, was ich mir da aufgebaut habe, zerstöre ich, um mir einen Grund zu liefern, da nicht mehr hin zu müssen. Ich weiß nicht, warum.

Warst du schon einmal in Behandlung?

Nein, aber das ist jetzt eben mein Weg. Den Grundpfeiler will ich dafür mit dem gesetzlichen Betreuer setzen, der mir erst einmal die meiste Verantwortung für mein Leben aus der Hand nimmt, damit ich die Möglichkeit habe, überhaupt in Therapie gehen zu können.

Was willst du mit deinem Leben machen?

Viele Träume habe ich gar nicht. Ich möchte ein stabiles, vernünftiges Leben führen. Natürlich möchte man auch einen bestimmten Standard im Leben haben, einen vernünftigen Fernseher, vielleicht noch eine Spielekonsole.

Eine Frau und eine Familie?

Frau ja, Kinder nein. Meine psychische Störung ist keine Basis für eine Familie. Ich werde niemals normal arbeiten gehen können. Das weiß ich. Vielleicht auf dem zweiten Arbeitsmarkt in irgendeiner Werkstatt.

Hättest du da Lust zu?

Natürlich. Für mich ist nur immer die Bedingung, dass meine Hündin mit kann. Sie ist mein Puffer. Was heißt das?

Sie ist da, wenn ich überlastet oder angespannt bin. Deswegen bin ich auch nach fast drei Jahren in Hamburg immer noch nicht abgehauen. Wenn es stressig ist, fahre ich mit ihr spielen – irgendwo am Elbstrand. Strange ist mein Puffer zwischen der Realität und meiner Störung.

Ist sie immer bei dir?

Nein. Wir waren einmal für neun Monate getrennt, als ich in der Haft war. Seitdem ist sie noch anhänglicher.

Warum warst du im Gefängnis?

Eine Geldstrafe, die ich leider nicht zahlen konnte. Halt, nein, stopp: ein Bewährungswideruf aus Bayern, weil sie mich nicht erreicht haben.

Warst du schon öfter in Haft?

Fast acht Jahre meines ganzen Lebens. Ich bin im Heim und in der Haft aufgewachsen. Ich hatte keine große Jugend. Ich hab mir mein Leben so dermaßen versaut.

Was hast du angestellt?

Jugendscheiße. Einbruch, Diebstahl und so. Ich habe mich verleiten lassen und dann die Kurve nicht mehr gekriegt. Ich bin aus dem Heim abgehauen und habe auf der Straße gelebt.

Warum warst du im Heim?

Meine Mutter kam nicht mehr mit mir klar. Deshalb bin ich in ein geschlossenes Heim für Schwererziehbare gekommen. Da war es halt so: Wenn du abgehauen bist, wurdest du isoliert, in Zellen wie in der Haft – und das als 16-jähriger Jugendlicher. Die haben nicht versucht, pädagogisch mit dir zu arbeiten. Die haben dich erst mal drei Tage in diese Isolationszellen geschickt, die es in drei verschiedenen Stufen gab.

Was für Stufen?

In der einen Zelle war ein Bett drin und eine normale Toilette. Die zweite hatte eine Matratze und eine normale Toilette und die dritte Stufe eine Decke und ein Plumpsklo – eine französische Toilette.

Damit die Jugendlichen sich nicht selbst verletzen?

Ja, aber es ist kontraproduktiv, was in diesem Heim gemacht wurde. Da drehst du erst recht ab. Damals brauchten die keine richterliche Anordnung, um dich da rein zu stecken. Heute ist das anders, habe ich gehört.

Und da bist du abgehauen?Ja, natürlich. Ich hatte davor auch schon lange Heimzeiten hinter mir. Von meinem Stiefvater wurde ich zu Hause geschlagen, wenn nur ein Spielzeugauto auf dem Boden lag. Es hieß nicht: „Räum das mal weg“, sondern es gab direkt Schläge. Dann hat das Jugendamt mich da rausgenommen. Später kam ich wieder nach Hause, aber da lief alles aus dem Ruder. Ich wollte mir nichts sagen lassen, war so außer Kontrolle, dass keiner mehr an mich ran kam. Dann kam ich in dieses Schwererziehbaren-Heim und bekam die ersten Jugendarreste. Wann hast du die erste Nacht auf der Straße geschlafen?

Das weiß ich nicht mehr genau, ich war vielleicht zwölf oder vierzehn Jahre alt.

Und dauerhaft?

Mit 16 oder 17 Jahren. Ich habe mich nirgendwo mehr wohl gefühlt und das war mein einziger Zufluchtsort – und ist es heute noch. Ich hab unter einer Brücke in Nürnberg geschlafen bei den Punks. Ich erinnere mich noch an eine Geschichte, da war ich 13 oder 14 Jahre alt und zu Besuch in Hamburg. Obdachlose haben mir Heroin angeboten. Ich hab das damals geraucht, aber Gott sei Dank für mich entschieden, dass ich das nicht will.

Sonst wärst du jetzt wahrscheinlich tot – als Heroinabhängiger auf der Straße.

Vermutlich. Ich kenne aber niemanden auf der Straße, der keine Sucht hat. Was ist deine?

Gras.

Warum kein Alkohol?

Der vernebelt die Sinne so, dass du die Kälte nicht mehr merkst. Ich habe vor so einem Kontrollverlust Angst. Ich muss nachts mitkriegen, wenn Leute an mich ran kommen und mein Hund bellt.

Wie behandeln dich die Menschen, denen du auf der Straße begegnest?

Das ist ganz unterschiedlich. Ich schätze zwischen fünf und zehn Prozent beachten mich, dem Rest bin ich einfach egal. Einige reagieren mit Hilfsbereitschaft. Manche rümpfen ein bisschen die Nase, wenn sie an mir vorbei laufen. Du merkst daran schon die Missachtung, die man dir entgegenbringt.

Tut es dir weh, wenn dich Leute ignorieren?

Früher hat es mehr weh getan, wenn sie mich beleidigen. Mittlerweile ist es mir gleichgültig, auch wenn sie mich ignorieren. Das war aber schwierig zu lernen.

Würdest du dir wünschen, dass die Menschen höflicher zu dir sind?

Natürlich. Ich halte ja auch die Tür auf, wenn ich nach draußen gehe und sage Guten Morgen, wenn jemand an meinem Schlafplatz vorbeiläuft.

Hast du manchmal Stress mit anderen Obdachlosen?Gar nicht. Ich gehe dem aus dem Weg, lasse mir aber auch nichts gefallen, auch nicht von rumänischen noch von bulgarischen Mitbürgern. Mit meinen eigenen, deutschen Obdachlosen habe ich niemals Ärger, weil ich mit denen reden kann.

Und mit den anderen Gruppen gibt es Probleme, weil ihr euch nicht verständigen könnt?

Und weil sie einfach kacken­dreist sind. Wir fassen das mal beim Namen.

Was meinst du damit?

Dass sie Leuten mit Kindern einen Becher unter die Nase halten und sie anbetteln, dass sie mit Krücke einen auf Gehbehindert machen oder sagen, dass sie Essen brauchen, obwohl schon eine ganze Tüte voll neben ihnen steht und sie 150 Euro in der Tasche haben – sie bleiben trotzdem sitzen. Und abends kommt irgendein Mensch, der das abkassiert.

Woher weißt du das?

Ich kenne eine Gruppe persönlich.

Sind die Leute denn obdachlos?Die haben Häuser drüben in der Slowakei.

Und in Hamburg?

Hier leben sie auf der Straße, um ihre Sachen drüben zu finanzieren.

Hier scheint es ihnen nicht gut zu gehen.

Ja, das stimmt. Ihr Geld wird einkassiert. Sie kriegen nur zehn Prozent von dem, was sie einnehmen.

Dann sind die, die in der Stadt sitzen, doch arme Säue.

Ja, aber sie haben auch nichts davon, wenn man ihnen etwas gibt. Es wird ihnen eh abgeknöpft, auch wenn sie es freiwillig machen. Solange man da trotzdem Geld gibt, dreht man den Hintermännern nicht den Hahn ab.

Wie kommt ihr miteinander klar?

Wenn ich an meinen Platz komme, gehen die. Ich habe mir diesen Platz auch drei Jahre erarbeitet. Ich möchte nicht, dass der auf irgendeine Weise kaputt gemacht wird. Ich will nicht, dass sich da jemand hinsetzt und literweise Bier trinkt. Das dulde ich an meinem Platz gar nicht.

Und wenn doch?

Darf der gehen.

Und wenn er nicht will?

Dann setze ich mich und er soll sein Glück versuchen – wird er nicht haben. Ich habe viele Büromenschen, die mir täglich Geld geben. Eine Dame hat mir gerade 160 Euro geliehen, um meine Geldstrafe zu bezahlen, sie hat mir meine Hundehaftpflicht für das Jahr bezahlt. Ich habe Leute, die schenken mir jeden Tag zwei Euro, die holen mir jeden Tag einen Kaffee. Büros nehmen für mich Post an. Ich hab da eine feste Struktur. Dagegen anzukommen, ist für jemanden, der nur ab und zu da sitzt, unmöglich.

Du wurdest in diesem Jahr von deinem Schlafplatz ganz in der Nähe vertrieben.

Ja. Ich habe zwei Jahre am Allianz-Hochhaus gelebt. Die hygienischen Zustände waren wirklich gravierend. Es hat alles nach Urin gestunken. Es war alles vermüllt. Wenn du geschlafen hast, liefen die Mäuse über dich drüber. Es war nicht mehr auszuhalten. Deshalb kann ich durchaus verstehen, dass der Platz geräumt wurde – auch wenn es mit Sicherheit andere Möglichkeiten gegeben hätte, um das zu klären.

Welche?

Man hätte vielleicht einen großen Müllcontainer aufstellen und Sicherheitsleute einstellen können, die ein bisschen für Ordnung sorgen. Und man hätte das Dixi-Klo mehr als einmal in der Woche leeren müssen.

Wo schläfst du jetzt?

In der Seitenstraße an der Europapassage in einem Hauseingang.

Fühlst du dich im Zentrum sicherer als am Stadtrand?

Ja. Obwohl sie mir meine Sachen hier auch schon angezündet haben. Ich hatte nichts mehr, keinen Schlafsack, keinen Rucksack. Das war vorletztes Jahr kurz vor Weihnachten.

Hast du seitdem Angst?

Man hat, glaube ich, immer Angst – davor, dass man noch im Schlafsack liegt, wenn der angesteckt wird. Es gibt Leute, die sich einen Spaß daraus machen, anderen Menschen weh zu tun. Mir haben sie den Kiefer gebrochen. Ich wollte einem Betrunkenen helfen, der auf der Schnellstraße stand. Seine Kumpels haben mir als Dankeschön den Schädel eingeschlagen.

Hast du deine Hündin auch zum Schutz?

Ja. Sie ist Security, Spielpartner und Seelentröster, alles in einem.

Warum schläfst du eigentlich nicht im Winternotprogramm der Stadt Hamburg?

Da komme ich mit Hund an den meisten Stellen gar nicht rein. Es gibt für Hundebesitzer zu wenig Plätze. Außerdem hast du da nur Betrunkene um dich rum, übelstes Chaos. Da kann ich besser auf der Straße schlafen.

Wie willst du den Winter überstehen?

Ich werde mir irgendwo ein Zelt besorgen und das mit ganz, ganz vielen Decken mitten in die Pampa stellen.

Wenn deine Pläne klappen und du im nächsten Jahr eine Wohnung hast, möchtest du dann trotzdem noch vor dem Supermarkt sitzen?

Ja, es ist mit Hartz IV einfach nicht möglich, alleine klar zu kommen. Es gibt so viele Fixkosten, wie deine Monatskarte für die Bahnfahrt.

Aber viele Menschen schaffen das doch.

Aber wie ist die Frage. 80 Prozent von denen sitzen den ganzen Tag zu Hause und gucken in die Röhre. Die verlieren dann einfach die Lust am Leben. So möchte ich nicht enden. Dann setze ich mich lieber noch zwei Stunden am Tag vor den Edeka, lese mein Buch und unterhalte mich mit den Menschen.

Hast du gute Vorsätze fürs neue Jahr?

Viele. Ich will mein Leben wirklich grundsortieren. Ich wünsche mir nichts sehnlicher als ein Zimmer – und dass die Menschen endlich mal nachdenken.

Worüber?

Darüber, nicht ganz so egoistisch zu sein. Sie sollten lieber mal einem Obdachlosen einen Becher Kaffee kaufen, anstatt die Nase zu rümpfen. Oder ihn vielleicht mal fragen, ob er ein paar warme Socken braucht. Das ist doch nicht zu viel verlangt.

Kannst du verstehen, dass manche Leute sagen, die Obdachlosen seien selbst Schuld an ihrer Lage – warum soll ich jetzt Mitleid haben?

Wir sind nicht freiwillig in dieser Situation, auch wenn wir natürlich zum Teil selbst daran Schuld sind. Aber das heißt nicht, dass wir keine Hilfe brauchen – auch um da wieder rauszukommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • tja Hilfw, wer braucht die nicht?