: Aus Scham nicht zum Amt
ALTERSARMUT In zehn Jahren werden deutlich mehr Menschen Grundsicherung im Alter beziehen
Es begann mit einem großen Versprechen: Jeder Rentner werde „nicht nur jetzt, sondern auch in Zukunft mehr Rente erhalten“ als nach altem Recht, versprach der damalige Arbeitsminister Walter Riester bei der Verabschiedung der rot-grünen Rentenreform 2001. Fast 15 Jahre später wissen wir, dass das leider nicht stimmte. Gerade die Zahl armer Alter ist seither gestiegen. So hat sich allein die Zahl derer, die die staatliche Grundsicherung erhalten, von 2003 bis 2015 mit 512.000 Personen bundesweit fast verdoppelt.
Es könnten jedoch schon jetzt deutlich mehr sein – bis zu dreimal so viel, vermuten Sozialverbände. Denn viele anspruchsberechtigte Rentner vermeiden aus Scham den Schritt, sich beim Sozialamt zu melden. Außerdem übernehmen immer mehr über 65-Jährige einen Minijob, um der Grundsicherung zu entkommen. „Die Zahlen der Grundsicherung verdecken ein bisschen die tatsächliche Situation“, so die Präsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland, Ulrike Mascher.
Die Sozialverbände haben darum im Sommer Alarm geschlagen: Es rolle „eine Lawine der Altersarmut auf uns zu“, warnte etwa der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Ulrich Schneider. Dabei ist die Zahl der Grundsicherungsempfänger im Osten noch deutlich niedriger als im Westen. Der Grund: Die heutigen Rentner können noch auf Ansprüche zurückgreifen, die sie zu DDR-Zeiten erworben haben. Das wird aber schon in zehn Jahren ganz anders aussehen. Insgesamt, so der Paritätische Wohlfahrtsverband, könnte sich die Zahl der Grundsicherungsempfänger bundesweit auf rund 1,5 Millionen Menschen verdreifachen. Denn auch der zu Jahresbeginn eingeführte Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde schützt nicht vor Altersarmut.
Von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hieß es im Frühjahr auf Anfrage der Grünen, angesichts der Lage solle bis 2017 eine „solidarische Lebensleistungsrente“ eingeführt werden. Wie viele Personen davon profitieren und wie viele dadurch vor Altersarmut geschützt werden könnten, weiß die Bundesregierung demnach aber noch nicht. Die Grünen schlagen stattdessen eine steuerfinanzierte Garantierente vor; sie soll Versicherten mit 30 oder mehr Versicherungsjahren ein Rentenniveau von mindestens 850 Euro sichern. Weil das für ein Rentnerdasein, das gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen soll, kaum ausreichen dürfte, fordert „Die Linke“ eine „solidarische Mindestrente von 1.050 Euro netto“. OS
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