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Psychoanalytiker Arno GruenMitgefühl war sein Lebensthema

Arno Gruen hoffte auf die sozialen Bewegungen, auf die Kritik an der Schere zwischen Arm und Reich. Diese Woche ist er gestorben.

Empathie in diesen Tagen: Menschen zünden Kerzen für Flüchtlinge an. Foto: ap

Empathie war für Arno Gruen nicht nur der Schlüssel für Menschlichkeit und Mitgefühl. „Ohne Empathie keine Demokratie“, betonte er beim Interview in seiner Züricher Praxis, wo der 92-Jährige bis zuletzt praktizierte.

Arno Gruen wurde 1923 in Berlin als Sohn jüdischer Eltern geboren, 1936 emigrierten sie in die USA. Seit 1958 arbeitete Gruen als Psychoanalytiker, zunächst in New York, später in Zürich, wo er am Dienstag verstarb.

Mit Empathie beschäftigte er sich auch in seinem vorletzten Buch „Dem Leben entfremdet. Warum wir wieder lernen müssen zu fühlen.“ Mangelnde Liebe in der Kindheit erzeuge Menschen mit einer fragilen Identität. „Menschen, die zu den kalten Verbrechen der Nazis fähig sind, haben zu wenig Mitgefühl und Liebe erfahren“, betonte er.

Arno Gruen, 2006. Foto: dpa

Der Faschismus ist das andere Lebensthema von Gruen. Für das Buch „Der Fremde in uns“, das sich mit der die Psyche von Nazis auseinandersetzt, bekam er 2001 den Geschwister-Scholl-Preis.

Die Welt, in der wir leben, sei bestimmt von Kampf, Wettbewerb, Profit und Isolation. „Aber unsere Evolution wurde nicht durch Kampf und Wettbewerb hervorgebracht, sondern durch Kooperation“, behauptete Gruen. Er hoffte auf die neuen sozialen Bewegungen, auf die Kritik an der klaffenden Schere zwischen Arm und Reich.

Immer wieder kommt Gruen in seinen Analysen zurück auf das autoritäre Erziehungsmodell, das er selbst im Faschismus erlebte. Kritik, dass dieses heute nicht mehr das vorherrschende Modell sei in einer Gesellschaft konsumfreudiger Narzissten, wies er zurück. „Wie erklären sie sich dann, dass die Nazis in manchen Regionen Deutschlands achtzehn Prozent haben?“, konterte er.

Er beharrte auf seinen Thesen, die seinem Gesellschaftsbild, seiner gesellschaftlichen Erfahrung verhaftet sind. Er wiederholte sich in seinen letzten Büchern. Aber er propagierte die Empathie, bevor Mitgefühl und Achtsamkeit in aller Munde war. Empathie war für ihn „eine natürliche Wahrnehmung, die viel, viel tiefer geht“.

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4 Kommentare

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  • 3G
    39201 (Profil gelöscht)

    Auch ,,konsumfreudige Narzissten" haben sich einem herrschenden Erwartungsdruck angepasst. Sie sind nicht unbedingt ,,freie Subjekte" die ihre ,,wahren Bedürfnisse" erkannt haben und ihnen unbeeinflusst nachgehen, auch wenn man das, z.B. in der Warenindustrie, gerne glauben (machen) möchte.

  • Ein genialer Analytiker. Seine Abhandlungen zum plötzlichen Kindstod war ein wenig heftig, aber ansonsten hat er durchweg empfehlenswerte Bücher geschrieben..

    RIP

  • Ich glaube, dass er Recht hatte mit seinen Aussagen und dass sich bestimmte Familienmuster auch nicht so schnell auflösen, sondern dass es immer wieder zu Generationswiederholungen kommt. Ich vermute weiterhin, dass in die heutige Zeit auch Vernachlässigung mit reinspielt, aufgrund von höheren beruflichen Anforderungen und dass dann ein Ausgleich über Konsumgüter erfolgt, statt gemeinsamer Zeit . Geld statt Liebe vielleicht.

    • @still:

      Ich vermute das ebenso! Und genau deswegen habe ich auch (noch mehr) "Angst" vor der Deutschen Gesellschaft in 20 Jahren und später...

       

      Die DDR gibt es z.B. nicht mehr, aber sie lebt in den Familien und Schulen weiter. Und weil "früher" nicht alles schlecht war, machen es viele nicht nur aus psychologischen Gründen heute ähnlich (autoritär) wie ihre Eltern und Großeltern. Hinzu kommen die doppelt und mehrfach zeitlich eingespannten Eltern aller Kinder in Deutschland, die dann oft vor ein Smartphone oder Tablet gesetzt werden, anstelle Zeit draußen oder mit Vorlesen und Basteln zu verbringen. Es kann mir niemand erzählen, dass zwei Vollzeiteltern alles irgendwie gut kompensieren können. Das hieße ja, dass "früher" alle beruflich nicht so stark eingespannten wirklich nur Kaffee getrunken hätten. Und das haben sie definitiv nicht - das weiß ich!

       

      Empathie erfordert neben der Gabe dazu auch Zeit und Kraft, auf die gefühlten Situationen entsprechend einzugehen.