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Übers Spiel ins Spiel gefunden

BUNDESLIGA Bayer Leverkusen präsentiert sich beim 4:3-Sieg über Stuttgart als das Team mit den dramatischsten Spielverläufen. Und Gegner VfB bleibt sich treu: Gut spielen, dennoch verlieren

Nicht ganz auf Augenhöhe: VfB-Profis erklären Ultras ihre Niederlage Foto: Foto:Rattay/reuters

Aus Leverkusen Andreas Morbach

Es muss schon einiges zusammengekommen sein, wenn ein Mann wie Admir Mehmedi ganz schnell sein Trikot abstreift, sein Glück wie ein Marktschreier in die Welt hinausbrüllt und sogar zur Jubeleinlage wie von Sinnen in Richtung Eckfahne stürmt. So wie nach seinem Siegtreffer zum 4:3 gegen Stuttgart. Im normalen Leben ist der Schweizer Nationalspieler mit den albanisch-mazedonischen Wurzeln nämlich ein stiller Zeitgenosse, der in diesem Sommer, kurz nach seinem Wechsel von Freiburg zu Leverkusen, von sich behauptete: „Ich kann eigentlich gar nicht ausrasten.“ Doch seit Samstag, 17.14 Uhr, steht fest: Es war eine glatte Lüge des 24-Jährigen.

Mit Mehmedis gekonntem Schlussstrich unter das zweite wahnwitzige Spiel der Leverkusener innerhalb von fünf Tagen bekamen die Zuschauer nicht nur den üppig behaarten Brustkorb des Torschützen zu sehen, sondern auch die ansonsten gut versteckte Fähigkeit zur Leidenschaft bei dem Vollbartträger. Schon beim spektakulären 4:4 am vergangenen Dienstag ­gegen Rom war Bayers Neuzugang als letzter unter den zahlreichen Torschützen in Erscheinung getreten. Nun veredelte er seine starke Leistung mit dem Knockout gegen eine Stunde lang gut und offensiv verteidigende Schwaben, die verdient 3:1 führten – ehe sie in ihr eigenes Verderben stürmten.

Nach zwar ansprechender, aber noch torloser erster Hälfte bekam das Publikum im zweiten Durchgang richtig gute Unterhaltung geboten: etwa wildes Ballflippern wie vor dem 1:0 des VfB durch Martin Harnik. Oder Karim Bellarabis Anschlusstreffer für Bayer zum 1:2. Oder eben den halben Strip des Admir Mehmedi nach seinem Siegtreffer. Nach dem Spiel war Mehmedi aber wieder der Alte: Ohne erkennbare Gemütsregung und mit kaum vernehmbarer Stimme erzählte er, dass er insgesamt „ganz glücklich“ in Leverkusen ist, aber weiter an seiner Konstanz arbeitet.

Geht es nach Roger Schmidt, darf es bei Bayer weiter so dramatisch zugehen. „Ich liebe solche Spiele“, sagte der Trainer. „Bei allen Fehlern, die wir machen – wenn wir uns am Ende mit einem 4:3 in den Armen liegen, ist mir das tausendmal lieber, als wenn wir uns hinten reinstellen und irgendwann das 1:0 machen. Damit kann ich nichts anfangen.“

Alexander Zorniger ist mit dieser Sichtweise sein Bruder im Geiste, steht beim VfB aber noch ganz am Anfang seines Wirkens – und muss sich wegen der attraktiven, aber letztlich erfolglosen Auftritte seines Teams sowie 23 Gegentoren in 10 Spielen längst ähnliche Vorhaltungen machen wie Schmidt in seiner Anfangszeit bei Bayer.

Doch Zorniger will sich von seinem Weg nicht abbringen lassen. „Die Gegentreffer haben nichts mit schlechtem Vorwärtsverteidigen zu tun, sondern mit unserem Verhalten in Eins-gegen-eins-Situationen“, sagte der 48-Jährige – auch wenn ihm im Gegensatz zu Schmidt (“Bei mir überwiegt momentan die Freude über unsere Fähigkeit, Mannschaften, die sich auf der Siegerstraße wähnen, wehzutun“) die Gedanken an die kommende Woche wenig erwärmen. „Am Mittwoch im Pokal in Jena – das wird eklig. Nächsten Sonntag in der Liga gegen Darmstadt – das wird noch ekliger“, murrte Zorniger am Samstag. „Und wir müssen punkten. Punkt.“

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