: Keine Helden, keine Monster
COMICS Abstrakten Comics gelingt das paradoxe Kunststück, Geschichten zu erzählen, die keinen Inhalt haben. Eine Ausstellungsreihe in Bremen zeigt eindrucksvoll, wie das entblößte Medium zu sich findet
von Jan-Paul Koopmann
Erst auf den zweiten Blick verlieren die Zeichnungen den Sinn: Gerade noch war hier ein Totenkopf, dort ein Finger mit lackiertem Nagel. Aber nichts davon ist wirklich auf den Grafiken der New Yorker Künstlerin Rosaire Appel abgebildet. Und was geübte ComicleserInnen für Schrift halten müssen, entpuppt sich als bedeutungslose Zeichenkette. Es handelt sich nicht um eine fremde Sprache, sondern lediglich um Formen in Paneelen.
Zu sehen sind diese abstrakten Comics derzeit im Bremer „Projektraum 404”. Galerist Gregor Straube widmet sich hier seit eineinhalb Jahren nicht nur, aber vor allem dem Comic, dessen künstlerische Bandbreite er von den Rändern her erschließt. Outsider-Art hat er bereits gezeigt und mit den Kollektiven „Habeas Corpus“ und „Nos Restes“ Szenegrößen des Belgischen Indie-Comics ausgestellt: brutale Geschichten mit Sex und pissenden Monstern. Doch die abstrakten Formen sind nicht weniger aufregend. Es ist die bisher größte Ausstellung der Galerie – zu groß für die nur zwei kleinen Räume und darum auf drei Etappen verteilt. An diesem Wochenende eröffnet Straube den abschließenden dritten Teil.
Bis vor Kurzem hing hier noch ein großformatiges Buch des Franzosen Florian Huet. Wegen der Rahmen zwischen den Panelen ist es leicht als Comic erkennbar. Doch die Inhalte fehlen: Statt Bildern hat das Papier rechteckige Löcher unterschiedlicher Größe – Spuren einer Erzählung. Eine ganzseitige Lücke lässt einen Wendepunkt vermuten, Seiten mit vielen kleinen hingegen beschleunigte Handlung und rasche Perspektivenwechsel.
Im letzten Teil rückt nun die Schrift in den Mittelpunkt. Rosaire Appel aus New York und Satu Kaikkonen aus Finnland verorten sich an der Grenze von Comic und asemischem Schreiben. Hier sind es bedeutungslose Symbole, die eine inhaltsleere Geschichte erzählt. Was als paradoxe Spielerei für KennerInnen erscheinen mag, war im Comic schon immer angelegt und begründet vielleicht gar dessen Erfolg. Es ist ja schon sonderbar: Man schaut sich ein paar Bilder an und liest kurze Texte in Sprechblasen. Und doch erlebt man im Comic auf kleinstem Raum Geschichten in einer Intensität, mit der sich andere erzählende Medien schwertun. Das bezeugen viele Millionen Fans und immer wieder verblüffte FeuilletonistInnen.
Das Besondere am Comic ist das, was man nicht sieht – in der Leere zwischen den Panelen, wo das LeserInnengehirn aus voneinander unabhängigen Bildern eine Erzählung schmiedet. Benannt hat das der Comickünstler Scott McCloud in seinem Standardwerk „Understanding Comics“von 1993. Comic, sagt McCloud, sei darum eine „unsichtbare Kunst“. Im Abstrakten wird das reflektierbar. Es hat sich eine neue Szene herausgebildet. Längst mischt auch die moderne Kunst mit und nähert sich dem Massenmedium von außen.
Dabei ist das Subgenre einmal mit der Persiflage auf den abgehobenen Kunstdiskurs an den Start gegangen: Szenegottvater Robert Crumb hat seinen zentralen abstrakten Strip ironisch als „Abstract Expressionist Ultra Super Modernistic Comics“betitelt – 1968 war das. Straubes Ausstellung arbeitet heute mit der benachtbarten Weserburg zusammen, einem Sammlermuseum für moderne Kunst. Auch einige der KünstlerInnen bewegen sich in diesem Umfeld. Rosaire Appels Arbeiten sind als kostspielige Kunstdrucke oder als aufwendig produzierte Bände in Kleinstauflagen erhältlich. Mit den Schmuddelcomix der Counterculture hat das nichts mehr zu tun – und mit Superhelden-Heften vom Kiosk schon gar nicht.
Doch dass auch in dieser Sparte abstrakt gearbeitet wird, zeigt die Ausstellungsreihe ohne Berührungsängste. Im zweiten Teil war der Engländer Gareth A. Hopkins zu sehen, der sich auf die Suche nach einem Comicautoren mit dem bemerkenswert unauffälligen Namen John Smith gemacht hat. Einer unter Hunderten Berufsschreibern, die Woche für Woche Science Fiction Storys für das Comic-Magazin 2000 AD ersinnen. Bereits seit 1977 dominiert das Heft den britischen Massenmarkt, war aber eben auch Kaderschmiede für praktisch alle, die aus Großbritannien zu Weltruhm kamen: Alan Moore, Neil Gaiman oder Grant Morrison.
Für sein Projekt „After Smith“hat Hopkins Arbeiten aus längst vergriffenen Ausgaben des Magazins geborgen und einzelne Seiten nachgearbeitet. Die Inhalte allerdings sind stark verfremdet. Statt Raumschiffe und Superhelden sind organisch wirkende Formen zu sehen, die an stark vergrößerte Pflanzen- oder Muskelfasern erinnern. Die Originale stammen von unterschiedlichen Zeichnern und spielen in verschiedenen fantastischen Welten. Verbunden sind sie nur über John Smith, den Autoren der Geschichten.
Was Hopkins mit der Reduktion über Bord wirft, ist scheinbar Genreballast: Science-Fiction-Blabla und okkultistisches Irgendwas. Hopkins bescheinigt John Smith die Fähigkeit, gerade über das Triviale Unsagbares darzustellen und erfahrbar zu machen. Mit seiner Begeisterung für den unscheinbaren Smith ist Hopkins nicht allein. In Internetforen hat sich ein Zirkel von Fans gefunden, der seine Energie wohl auch daraus zieht, dass ihr Idol sonst kaum jemandem etwas sagt.
Zwischen solch fiktivem Starkult und den erkenntnisphilosophischen Reflexionen des Genres behandelt der abstrakte Comic alte und neue Sinnfragen des ehemaligen Schundmediums. Was ist eigentlich Comic? Waren Höhlenmalereien schon welche? Und sind Graphic Novels das gleiche in teuer? Beantworten kann die kleine Ausstellung im „Projektraum 404” das freilich nicht. Doch sie gibt einen bemerkenswert plastischen Eindruck von der tobenden Debatte.
Sa, 17. 10., bis So, 8. 11.; Do + Fr 16–19 Uhr, Sa + So 14–17 Uhr, Projektraum 404, Bremen
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