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Ausgemusterte LebensformZeig her deine Stube

Die gute Stube ist verschwunden. Verdammt als Inbegriff der Spießigkeit hinterlässt sie eine Lücke: als Ausdruck ernsthaft gepflegter Gastlichkeit

Unter den Räumen das, was der Hut unter den Kleidungsstücken ist: die gute Stube. Foto: Jean-Philipp Baeck

Hamburg taz | Der einzige Mensch, der mir gegenüber jemals das Wort Stube benutzte, war der Schriftsteller Feridun Zaimoglu. „Ich sitze in meiner Stube in Kiel und schreibe“, sagte er und kicherte. Es gibt wenig Leute, die über eine solche Sprache verfügen, so barock in ihrem Reichtum und ihren Registern, kein Wunder, dass ausgerechnet er mit der Stube ankam.

Wer nicht Zaimoglu heißt, spricht von Wohnzimmer, wobei es wenig zu lachen gibt. Die Stube als solche ist auch nichts Erheiterndes, aber es ist erhellend, sich mit den Umständen ihres Verschwindens zu beschäftigen. Denn die Stube steht für ein Lebensgefühl, das verschwunden ist, eines, das für die Nachkommen so muffig ist wie die Luft in ihr. Für die Stubenbesitzer selbst ist eine Form gegangen, ein Korsett des gesellschaftlichen Verkehrs und an seiner Stelle findet sich schlabbrige Ungezwungenheit – wenn nicht Lieblosigkeit.

Ursprünglich war die Stube vor allem eines, ein warmer und damit behaglicher Ort, so haben es die Brüder Grimm Mitte des 19. Jahrhunderts in ihr Wörterbuch geschrieben. Warm klingt lapidar in unseren Ohren, aber man muss sich klarmachen, dass die Stube als warmer Ort Herzkammer des Wohnens und Zentrum des sozialen Lebens war.

Wir alle hatten Geschichtsunterricht und wir alle haben einmal ein Buch von Dostojewski, Dickens oder Zola gelesen, in dem es um Arme und Frierende ging, aber dieses Frieren als Lebensform bleibt unwirklich und fern. Kürzlich besuchte ich ein Freilichtmuseum bei Hamburg, in dem alte Häuser wieder aufgebaut waren. Häuser, die aus ein paar Zimmern rund um den Viehstall bestanden und Häuser, die den etwas Reicheren gehörten, mit einer Stube mit gekacheltem Ofen. Über diesem Ofen hing eine Tafel, auf der man lesen konnte, dass die alten Leute sich in dem Vertrag, in dem sie den Hof auf den Sohn überschrieben, sich das Recht festschrieben ließen auf einen Schlafplatz neben dem Ofen.

Die Einladung in die gute Stube war Ausdruck von Gastlichkeit, von Wertschätzung. Man hob etwas für den Gast auf: die schönsten Möbel, das schönste Geschirr

Ich las die Tafel und schauderte. Wie bitter, wenn das Misstrauen so groß ist, dass man sich das bisschen Wärme schriftlich geben lässt, dachte ich. Dass es wenig Öfen und viele Menschen in diesen Familien gab, fiel mir erst später ein. Aber das macht es nicht besser, nur erklärlich.

Die Stube, die sich wohl am längsten gehalten hat, ist eine Unterform, die sogenannte gute Stube, ihre Prachtausgabe und am ehesten berlinernd in der Art von „kommse rin in die jute Stube“ im allgemeinen Gedächtnis geblieben. Meine Begegnung mit ihr liegt noch weiter zurück und ist mir vor allem als Befremden geblieben. Es war ein eher prächtiges Bauernhaus mit einem separaten Eingang zu einer Stube und sowohl Eingang als auch Stube wurden nur an wenigen Tagen im Jahr geöffnet. Wie spießig, dachte ich und dachte damit, was alle denken, wenn sie geistig von der Stube abrücken, was für eine ärmliche Form der Repräsentiererei. Statt souverän die Küche oder welchen Alltagsraum auch immer für die Gäste zu öffnen, schickt man sie in einen Sonderraum: die gute Stube. Dort sammelt sich alles, was man an Teurem und Vorzeigbarem zusammentragen hat, ein Hort überflüssiger Dinge wie Tischdeckchen, Untersetzer und Festtagsgeschirr. Nippes gewordenes Imponiergehabe.

Ich lebe unter Menschen, die keine Stube haben, einige ein Wohnzimmer, einige Wohnküchen. Es sind Menschen, die, wenn sie als Familie zusammenleben, statt eines gemeinsamen Wohnzimmers lieber jeweils ein Zimmer für sich haben. Ich teile diese Haltung und habe ein Zimmer für mich, das ich selten betrete. Es ist Raumaufteilung gewordene Absage an Statusgehabe, so dachte ich lange. Bis ich über die Stube nachdachte.

Ich glaube, dass die Stube unter den Räumen das ist, was der Hut unter den Kleidungsstücken ist: ein Zwang, von dem man sich befreit und eine Möglichkeit, derer man sich beraubt hat. Der Hut war obligatorisch für den erwachsenen Mann, sobald er sozial oberhalb der Arbeiterschicht angesiedelt war, er war nichts, was man sich aus eigenem Willen aufgesetzt hätte. Aber zugleich war er Instrument für eine Vielzahl sozialer Gesten: um zu grüßen und, indem man ihn ab und in die Hände nahm, Ausdruck von Ehrfurcht, Trauer, Respekt.

Damit verwandt war die Einladung in die Stube Ausdruck von Gastlichkeit, von Wertschätzung. Man hob etwas für den Gast auf: die schönsten Möbel, das schönste Geschirr. Die Stube betrat man nicht in Alltagskleidung. Man unterschied Alltag und Festtag, indem man den Schritt über die Schwelle zur Stube machte.

Keine Frage, es gibt ein Leben ohne Hut, ein Leben ohne Stube. Man kann den Gast ehren, indem man ihm das beste Essen vorsetzt und seinem Reden, sei es langweilig oder nicht, aufmerksam zuhört. Das kann auch im Badezimmer geschehen. Und doch: Der Raum, der dem Gast vorbehalten ist, den haben wir aufgegeben.

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4 Kommentare

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  • Die Autorin schreibt:

    "... berlinernd in der Art von „kommse rin in die gute Stube“ ...

    Es gibt keine Arten zu berlinern. Na ja, kann man ja als Nordlicht nicht so wissen :-( Noch dazu als Autorin. :-(

    'gute' (Stube) sagt kein/e Ur-Berliner/in, sondern 'jute (Stube)'.

    Wenn schon berlinern, dann richtig berlinern.

    • Friederike Gräff , Autorin des Artikels, Redakteurin taz nord
      @Krawatte:

      Guten Tag,

       

      das war in der Tat schlecht berlinert - ich habe es geändert,

       

      freundliche Grüße,

      Friederike Gräff

  • Und nun zur guten Stube selbst. Meine Erinnerungen daran sind ausgesprochen positiv. Vielleicht, weil mir das "Frieren als Lebensform" durchaus vertraut ist. Ich friere schon mein ganzes Leben lang. Vor allem, wenn es Winter wird. In Omas guter Stube hab ich nie gefroren. Es gab da nämlich einen Kachelofen. Und wenn die Stube offen war, war auch der Ofen an. Dann saßen dicht daneben lauter nette Menschen, die gut gelaunt und überaus gesprächig waren.

     

    So war das damals auf dem Dorf: Die Leute hatten wenig Zeit. Sie mussten sehr viel arbeiten, wenn sie nicht grad gefeiert haben. Die Oma hatte wenig Geld. Sie musste ihre Tiere selber füttern, die Beete selbst bestellen, die Ernte selbst einbringen, den Ofen selber heizen. Sie musste selber kochen, waschen und auch selber putzen. Maschinen hat sie dafür nicht gehabt. Die Oma-Küche war denn manchmal auch ein wenig schmuddelig und nie besonders aufgeräumt. Die Möbel und die Böden waren stumpf. Nichts, was man Gästen, die man mag, als Ausdruck seiner Wertschätzung gern präsentiert.

     

    Inzwischen hält man keine Tiere mehr. Die Drecksarbeit ist was für "Gastarbeiter". Und wenn die Küche schlampig wirkt, dann weil man das so haben will. Inzwischen geht es nicht nur ohne Hut. Nur ohne Ignoranz und Arroganz scheint es noch immer nicht zu gehen.

     

    Apropos: Wenn Gäste kommen, stelle ich heute noch "gutes Geschirr" auf meinen Tisch. Geschirr, das aus der "guten Stube" kam. Das hat die Oma noch benutzt. Es hat so einen dünnen goldenen Rand, der jedes Mal ein wenig dünner wird, auch wenn ich nicht mit der Maschine spüle. Das sei ein bisschen spießig, finden manche Leute und rümpfen kritisch ihre Nase. Sie fragen nicht. Sie wissen wohl, woran sie sind. Genau wie ich.

  • Der Raum, der Gästen vorbehalten war, ist mittlerweile aufgegeben worden. Man ehrt wohl nicht mehr seine Gäste. Man ehrt sich selbst und nennt das Individualität. Dass das ne "Absage an Statusgehabe" ist, finde ich nicht. Das ist Raumaufteilung gewordener Egoismus.

     

    Ich sehe nicht, was an der neuen Spießigkeit viel besser sein soll als an der längst überholten. Es sind ja nicht die Räume. Es sind die Besitzer. Die können echte Spießer sein - oder auch nicht.

     

    Zugegeben: Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich ganz dringend auch ein eigenes Zimmer brauchte. Die Zeit der Pubertät etwa, und eine, in der meine Kinder pubertierten. Inzwischen aber brauche ich mich nicht mehr abzugrenzen. Ich kenne meine Grenzen nun. Und meine „Lieben“ haben mittlerweile auch kapiert.