: Immer wieder sonntags kommt die Erinnerung
Geschäft Das Berliner Ladenöffnungsgesetz mit seinem sonntägliches Verkaufsverbot macht Neuköllns Spätverkäufern das Leben schwer. So nimmt das Ordnungsamt die Kontrolle der Öffnungszeiten ziemlich genau. Inhaber sehen ihre Existenz bedroht
von Fanny Lüskow
„Einmal Zigaretten, dreimal Pfand zurück und ein Pils bitte schön“. Firat, Inhaber eines Neuköllner Spätkaufs, der von seinen Kunden schlicht Firat genannt wird, läuft hinter dem Tresen hin und her. Fast im Sekundentakt kommen neue Kunden – viele davon sind jung, männlich und sprechen Türkisch – in seinen Laden. Vier Uhren an der Wand zeigen die aktuelle Stunde in London, Istanbul, New York und Berlin an. Einige der Kunden bleiben ein wenig, um zu plaudern. „Viele sind Stammkunden“, sagt Firat während er einen Brief für eine Nachbarin des Ladens entgegennimmt, „wir sind hier wie eine Familie, in der Straße kennt sich jeder.“
Spätis müssen schließen
Eigentlich könnte Firat zufrieden sein, doch seit einiger Zeit ist er in Sorge: Er darf sonntags nicht mehr seinen Laden öffnen, denn laut Berliner Ladenöffnungsgesetz müssen Spätis mit ihrem gemischten Warenangebot an diesem Tag schließen. So gehören sie weder zu den Geschäften, die „ausschließlich Touristenbedarf“ verkaufen und deshalb von 13 bis 16 Uhr öffnen dürfen, noch zu den Läden, die nur ein begrenztes Sortiment wie Zeitschriften, Blumen, Milchprodukte und Backwaren führen und von 7 bis 16 Uhr aufmachen dürfen. Auch Ausnahmeregelungen wie für Apotheken, Tankstellen, Kunst- und Gebrauchtwarenmärkte sowie Läden auf Fernbahnhöfen, Flughäfen und Reisebusterminals gelten aufgrund des überwiegenden Lebensmittelangebots nicht für Spätis, so Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Handelsverbands Berlin-Brandenburg .
In den meisten Bezirken wurde das Verkaufsverbot der Spätis bislang noch nicht umgesetzt, seit einigen Monaten aber bleiben immer mehr der kleinen Tante-Emma-Läden sonntags geschlossen. Firat öffnete trotzdem – und wurde daraufhin angezeigt. Im letzten Jahr erhielt er zwei Anzeigen vom Ordnungsamt, nun soll er Bußgeld zahlen. Für ihn sind die regelmäßigen Kontrollen des Ordnungsamts Neukölln eine ernst zunehmende Bedrohung. „Sonntag ist für uns der beste Tag; da machen wir am meisten Umsatz“, so der in Deutschland geborene und in der Türkei aufgewachsene Inhaber. „An den anderen Tagen ist die Konkurrenz durch Supermärkte zu groß.“ Durch das Ladenöffnungsgesetz stehe nun seine Existenz auf dem Spiel, sagt der 28-Jährige. Er habe viel Lebenszeit und Liebe in das Geschäft hineingesteckt, seine Familie, die ihm im Laden hilft, lebe davon.
Geplant hatte Firat die Selbstständigkeit ursprünglich nicht. Als er 2001 aus der Türkei zurück nach Deutschland kam, beendete er zuerst die Schule und half dann im Laden des Vaters aus. Später übernahm er den Laden, inzwischen leitet er ihn seit sieben Jahren. Reich werden könne man damit nicht, erzählt der Jungunternehmer, doch zum Leben reiche es.
In Charlottenburg scheint das Späti-Inhaber-Dasein noch ungetrübt. So ist Ladeninhaber Ali Ibrahim*, überrascht, als er von den Kontrollen des Ordnungsamts hört: „Ich wusste nicht, dass es eine solche Regelung gibt“, sagt er und wirkt nachdenklich. Ibrahim kam 2001 nach dem Studium aus Syrien nach Deutschland. Seinen Kiosk inklusive Internetcafé führt er seit mittlerweile drei Jahren. Das Geschäft sichere nicht nur das Auskommen seiner vier Kinder und seiner Frau, sagt er in gebrochenem Deutsch, es sei auch Ibrahims Erfüllung.
Charlottenburger Kunden
Die Petition: #rettetdiespätis wurde von Christina Jurgeit ins Leben gerufen und bislang von knapp 35.000 Menschen unterschrieben. Anfang Juli wurde ein sogenannter Späti-Dialog von den grünen Wahlkreisabgeordneten Anja Kofbringer und Susanne Kahlefeld einberufen; derweil wird das Thema in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung beraten.
Die Spätis: Knapp 22 Prozent der Berliner Späti-Inhaber sind nicht deutscher Herkunft. 69 Prozent der Händler haben einen türkischen Hintergrund. Die Mehrheit der Späti-Inhaber ist durch Zufall oder Übergangslösungen zum Beruf gekommen. Die meisten haben davor in einem anderen Bereich gearbeitet.
Rund 60 Prozent der Kunden sind unter 30 Jahre alt. Die durchschnittliche Ladenfläche eines Spätis beträgt 38 Quadratmeter. (fal)
Anders als in Neukölln ist sein Späti aufgeräumter: Getränkekisten sind akkurat übereinander gestapelt, der Boden ist frisch geputzt, es riecht nach Reinigungsmittel. Auch die Kundschaft unterscheidet sich deutlich von jener in Neukölln. „Hier kaufen viele ältere Herrschaften ein“, sagt Ibrahim und wegen der Hotels in der Nähe viele Touristen. Doch auch in Charlottenburg werde das Geschäft schwieriger. So seien die Mieten gestiegen, mittlerweile zahle er für seine 115 Quadratmeter große Ladenfläche 2.500 Euro pro Monat plus Strom. Das Verkaufsverbot am Sonntag, auch für ihn würde es starke Einbußen bedeuten, sagt Ibrahim.
Das eingeschränkte Verkaufsverbot für Spätis – es ruft auch Widerstand unter den BerlinerInnen hervor. So fanden sich für eine Petition unter dem Namen #rettetdiespätis innerhalb weniger Wochen gut 35.000 Stimmen, die ein freies Verkaufsrecht aller Spätverkäufe auch an Sonntagen und damit eine Gleichstellung mit Tankstellen und Bahnhofsläden fordern. Christina Jurgeit, 28-jährige Werbetexterin und Initiatorin der Petition, die selbst gern ab und an ein Bier in ihrem Stamm-Späti in Neukölln kauft, ist gerade im Gespräch mit Bezirksabgeordneten aus FDP und Grünen, um das Thema im Senat auf den Tisch zu bringen. Ein Volksbegehren plane sie derzeit jedoch nicht, sagt die 2013 zugezogene Neu-Neuköllnerin. Nach der Anwohnerfrage in Neukölln wird Jurgeit weitere Anwohnerbefragungen in den Bezirken Kreuzberg-Friedrichshain sowie Tempelhof-Schöneberg initiieren, um dem Thema auch dort mehr Aufmerksamkeit zu verleihen und weitere PolitikerInnen zu mobilisieren. „Die über 1.000 Spätis haben eine unverzichtbare, soziale Funktion in Berlin und schon Kultstatus“, sagt Jurgeit über ihre Gründe für die vor drei Monaten gestartete Petition. „Sie sind ein fester Ankerpunkt in jedem Kiez und eine willkommene Anlaufstelle für Einheimische, Zugezogene und Touristen.“
Früher eine Trinkhalle
In der Tat hat der Spätkauf eine lange deutsche Tradition. 1850 wurde die erste Trinkhalle in Frankfurt am Main aufgestellt. Zur Bekämpfung der Trinksucht wurde in dieser damals jedoch nur Wasser ausgeschenkt; Alkohol und Zigaretten gehörten bis 1920 ausdrücklich nicht zum Sortiment. Erst als das Geschäftsmodell erfolgversprechend schien, wurde auch das Sortiment erweitert.
„Da die Kioske nicht an die Ladenschlusszeiten gebunden waren, entwickelten sich viele der kleinen Verkaufshäuschen zu Minimärkten, die den sogenannten Vergessensbedarf abdeckten“, schreibt Christian Klier in seiner Diplomarbeit über Spätverkaufsstellen.
Eine besondere Bedeutung hätten die modernen Tante-Emma-Läden, so Klier weiter, auch in der DDR gehabt. Etwa sei es dort möglich gewesen, so genannte Bückware und Artikel wie Zeitungen, Zeitschriften und Süßigkeiten zu bekommen.
Firat, Inhaber eines Spätverkaufs in Neukölln
Tradition hin oder her. Das Ordnungsamt Neukölln sieht sich durch den „gesetzlichen Auftrag der Überwachung der Ladenöffnungszeiten“ in der Pflicht, weiter gegen Spätis vorzugehen. Im Vergleich zu anderen Bezirken ergebe sich die erhöhte Kontrolltätigkeit in Neukölln wahrscheinlich aus den Arbeitszeiten und den „jeweiligen personell verfügbaren Ressourcen“, so Stacey Treichel, Sachbearbeiterin des Bezirksamts.
In Neukölln seien derzeit drei Streifen à fünf bis sechs MitarbeiterInnen unterwegs. Auch Nachkontrollen und Anzeigen Dritter würden das Ordnungsamt veranlassen, Spätis einen spontanen Besuch abzustatten, so die Mitarbeiterin. Eine Gesetzesänderung oder Ausweitung der Ausnahmeregelung ist laut Boris Velter (SPD), Staatssekretär für Arbeit, jedoch nicht in Sicht.
Für Firat, der beobachtet hat, dass Kunden vor seinem Laden weggeschickt werden oder Personal des Ordnungsamts bis zu einer Stunde vor dem Geschäft steht, scheint die Situation trotzdem ausweglos. Er setzt auf Zeit. Bis dahin heißt es weiter: „Einmal Zigaretten, dreimal Pfand zurück und ein Pils, bitte schön“.
* Name geändert
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