Zum Tod von Hellmuth Karasek: Kritiker mit Freude am eigenen Lachen
Er war Kulturkritiker, Journalist und Schriftsteller. Vor allem aber war Karasek antielitär und stets vergnüglich.
81 Jahre ist er geworden, ein viel zu kurzes Leben für einen, der es selbst, so sagen Freunde, in jeder Sekunde genoss – allem Alter, allem Schwächerwerden zum Trotz. Hellmuth Karasek, geboren in eine nazisympathisierende Familie in Brünn, Tschechoslowakei, ist seit 50 Jahren einer der wichtigsten Kulturjournalisten der Bundesrepublik gewesen. Einer, der nicht auf Schwermut machte, kein Nörgler, kein „Gott, leben wir in einer kulturlosen Hölle“-Dauerergrimmter.
Er war nachgerade gefräßig, was guten Tratsch, gute wie üble Nachreden anbetrifft. „In dubio processo“ lautete eine seiner Sottisen, ein Mann der Sprüche, nur geistreich mussten sie sein, ironisch, doppelbödig, spöttelnd. Nichts Zynisches hat er in die Tastatur gehauen: Karasek war viel zu antielitär, um an der Welt mit dem Gestus des Enttäuschten zu verzweifeln.
Was ihn trieb, war die Suche nach der verlorenen Seele seines Landes, nach der Kühnheit der Kultur der Weimarer Republik. Er, der selbst gläubiger Schüler an der Nazischule Napola war, trauerte auf seine Art um die Zerstörung des klassischen Deutschland durch den Nationalsozialismus. Er blieb immer, mit Blick auf diese Tyrannei, melancholisch gestimmt: Das gute Deutschland wie einst sollte nie wiederkommen.
Er glaubte an – und schwärmte für – Marlene Dietrich, Carl Sternheim, Billy Wilder, schrieb Hommagen über sie, erläuterte in einem lesenswerten Buch „Go West“ diese räudigen fünfziger Jahre, die Dekade der deutschen Amerikanisierung – und wie er diese alltagspraktische re-education genoss. Alles, was nach der Schule, noch in der DDR, in der BRD folgte, an seinem Aufstieg im Journalismus zu einem der populärsten schreibenden Entertainer, der Stars und Stripes nahebringen konnte, ohne sie mit deutscher Kunstreligion zu ersticken.
Kritik an ihm selbst konnte ihn treffen, obwohl er sagte, er nehme sich Tag für Tag vor, sich nicht unter Niveau ärgern zu wollen. Als Roger Willemsen ihn zieh, nichts als ein „Kulturbeutel“ zu sein, hätte er leicht sagen können: Na, da hupt die richtige Betriebskommode. Oder: Was wollen diese ungalanten Schnappschildkröten in den Posen von Kulturtalibanen? Er hat es ihm – ziemlich generös – nie heimgezahlt.
Und war sich für das scheinbare Triviale nicht zu fein. Pop war, als er neulich den Ikea-Katalog wie ein literarisches Werk rezensierte: sehr vergnüglich. Er war stets höher auf der Zeit als jene, die es nun so gut wie er machen können. Am Dienstag ist Hellmuth Karasek in Hamburg gestorben. (Jan Feddersen)
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Argumente reichten nicht
Anhand von Hellmuth Karasek hat mir ein pragmatischer Philosoph mal die Sinnlosigkeit überdiskursiver Wahrheitskonzepte erklärt. Stellen Sie sich vor, Sie streiten sich mit Karasek über ein Buch, meinte der Dozent. Sie können noch so recht haben. Aber wenn Sie keines Ihrer Argumente rüberbringen, weil Karasek schneller ist (erster Finger), die besseren Pointen hat (zweiter Finger) und Ihnen niemand zuhört (dritter Finger), ist das auch ziemlich egal. Man kann sich sehr einsam fühlen mit seinem Rechthaben, meinte der Philosoph noch.
Es war die Zeit, als Literaturkritik noch ein Gespräch war – allermeistens ein Gespräch unter Männern, zwischen den verschiedenen Feuilletons, auf den bereitstehenden Podien – und es ziemlich festlegte Rollen gab. Es gab Weißrücken, Alphatiere, Zuträger, Diven, aufbegehrende junge Männer und Clowns. Hellmuth Karaseks Rolle war (wenn ich recht sehe) interessant. Sie konnte schnell hin und her switchen zwischen fast allen diesen Rollen.
Alphatier war er allein schon qua Amt, als Kulturchef des Spiegels. Aber bis ins hohe Alter hinein konnte er auch ganz wunderbar den aufbegehrenden jungen Mann geben, der – „Einspruch, Euer Ehren“ – etwas wusste und das jetzt auch unterbringen wollte. Den Clown gab er auch gern, mit Freude am eigenen Lachen und dem Lachen anderer. Nur Grandseigneur und Weißrücken ist er nie geworden.
Deshalb funktionierte er auch im alten Literarischen Quartett so gut, neben Marcel Reich-Ranicki und Sigrid Löffler. Hier trafen drei verschiedene Charaktere aufeinander, die sich ständig gegenseitig belauerten, immer auf dem Sprung, gegen den anderen zu punkten. Die Wahrheit über die Bücher musste sich immer im Hier und Jetzt, im Diskurs eben, erweisen. Das Sprechen über Bücher war so eingebunden in eine Dramaturgie, wie man sie bis dahin nur aus amerikanischen Seifenopern kannte. Das diskursive Prinzip des hit and run: Setze deine Pointen, warte die Lacher ab, dann gehe aber sofort wieder hinter deiner ernsthaften Seite in Deckung.
Das bedeutet alles nicht, dass Hellmuth Karasek keine Argumente hatte. Aber sie reichten ihm nicht. Er wollte immer noch den Aspekt der Unterhaltung dazutun, was seine Kritiken manchmal ins Anekdotische verrutschen, sie oft aber auch etwas Öffnendes haben ließ. Er wollte sich wohl auch nie einsam fühlen. Und er ist es, was man so hört, offenbar auch nie gewesen. (Dirk Knipphals)
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Auf der Suche nach dem Witz
Zusammen mit dem Regisseur Eduard Erne drehte ich im Jahre 2008 einen Film über ehemalige NS-Eliteschüler, Absolventen der „Nationalpolitischen Erziehungsanstalten“, die ausersehen waren, die künftige Elite des 1.000-jährigen Reichs zu bilden – und häufig in der jungen Bundesrepublik Karriere machten. Hellmuth Karasek war einer von ihnen.
Er gehörte zu jenen „Ehemaligen“, die an ihrer Napola-Zeit kein gutes Haar ließen. Das ist durchaus nicht die Regel, denn viele der Absolventen singen heute noch das hohe Lied dieser auf Drill, Gehorsam und „Glauben“ (an Führer, Volk, das Vaterland und die Überlegenheit der arischen Rasse) fundierten Erziehung. Das Allerwichtigste war Disziplin.
Hellmuth Karasek hasste die Schule, er hatte Heimweh und wollte weg – aber er hasste es auch, sich unterkriegen zu lassen, und blieb.
Der damals so ungeliebte Zwang zur Disziplin hat ihn tief geprägt. Er, der Genussmensch und Bonvivant, hat die Trias „Wein, Weib und Gesang“ für sich persönlich umgeschrieben – bei ihm ersetzte „Disziplin“ den „Gesang“.
Während wir für den Film durch Polen fuhren, diktierte er im Auto einer Hamburger Redakteurin per Handy seine wöchentliche Kolumne, die er nachts im Hotel geschrieben hatte. Es fiel gar nicht besonders auf, denn wenn er nicht telefonierte, redete er. Er sprach unaufhörlich, in seinem typischen langsam-eindringlichen Ton. Und es war tatsächlich immer unterhaltsam: ein Mix aus Erinnerungen, Anekdoten, Ratschlägen für die Lebensgestaltung – und Witzen. Das war der Part, in dem auch ich zu Wort kam.
Karasek saugte jeden neuen Witz auf wie ein Süchtiger, um ihn dann mit einem eigenen zu überbieten. Es wurde viel gelacht bei diesem Filmdreh, auch wenn das Thema bedrückend war.
Auf dem alten Sportplatz der Schule bückte er sich plötzlich, riss zwei Stängel Pfeifenputzergras aus und schlug sie gegeneinander, bis der eine „Kopf“ abfiel. „Das haben wir damals gespielt – wir nannten es ‚Judenköpfen‘. Ich hatte das bis zu diesem Moment vergessen.“
Seine Betroffenheit war echt. Fast wie die eines Knaben. Auch das wurde auf dieser Reise in die Vergangenheit deutlich: Karasek hat sich auch im Alter ein erstaunliches Maß an Kindlichkeit erhalten: eine liebenswerte Naivität, Rede- und Spielfreude, die sich bestens mit einer sehr handfesten Klugheit vertrug. (Christian Schneider)
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