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Die Angst vor der Ruhe nach dem Sturm

ENERGIE 2015 wird für die Windbranche ähnlich gut wie 2014. Danach muss sie umdenken – wirtschaftlich wie technisch. Schon jetzt werden die Türme immer höher

Änderungen bei der Förderung machen den Unternehmen zu schaffen

FREIBURG taz | Die Windkraft sieht unsicheren Zeiten entgegen. Zur Husum Wind, der am Freitag zu Ende gegangenen Leitmesse für den heimischen Markt, zeigte sich die Branche noch optimistisch: Im Gesamtjahr werde der Nettozubau allein an Land 4.000 bis 4.500 Megawatt erreichen. Sorgen machen ihr aber die kommenden Jahre.

Das Jahr 2015 liegt bislang auf Augenhöhe mit 2014, dem bisher stärksten Jahr der deutschen Windkraft-Geschichte. Die Gesamtleistung der Windenergie an Land dürfte in Deutschland zum Jahresende die Marke von 42 Gigawatt, also 42.000 Megawatt, überschreiten.

Damit stehen rund 30 Prozent aller europäischen Windkraftanlagen in Deutschland, in der weltweiten Statistik liegt die Bundesrepublik hinter China und den USA auf Platz drei. Das Geschäft boomt weltweit: 5 Prozent jährliches Wachstum gelten in der globalen Branche derzeit als normal.

In Deutschland gefertigte Anlagen machen aktuell etwa ein Fünftel der global installierten Leistung aus. Die Branche erzielt einen Jahresumsatz von 10 Milliarden Euro und beschäftigt 140.000 Mitarbeiter. Technologisch stehen vor allem Detailverbesserungen im Vordergrund, wie etwa eine noch präzisere Ausrichtung des Rotors auf die jeweils herrschende Windrichtung. Bei der Leistung nähern sich die Anlagen an Land unterdessen einer Grenze: Mit einer durchschnittlichen Kapazität von rund 2,7 Megawatt lagen die Neuanlagen im ersten Halbjahr 2015 auf dem gleichen Niveau wie in den beiden Vorjahren. Allerdings wurden die Türme noch ein wenig höher: Von 116 Metern wuchs die mittlere Nabenhöhe im ersten Halbjahr 2015 auf 120 Meter.

Da die besten Standorte in Deutschland häufig schon belegt sind, rücken zunehmend windschwächere Lagen ins Blickfeld. Entsprechend nehmen explizite Binnenlandanlagen zu, die bereits bei weniger Wind ihre volle Leistung erreichen, weil bei gleich bleibender Generatorleistung die Flügel immer länger werden. Der mittlere Rotordurchmesser der Neuanlagen stieg binnen einem Jahr von 99 auf 104 Meter.

Dass 2015 so gut zu werden verspricht, beruht auch auf Vorzieheffekten. Denn für Anlagen ab 3 Megawatt, die ab 2016 ans Netz gehen, greift eine neue Regelung: Fällt der Strompreis am Spotmarkt der Börse für sechs oder mehr Stunden auf negative Werte, wird den Anlagen in dieser Zeit die Einspeisevergütung gestrichen. Bitter für die Betreiber ist vor allem, dass dann in der Regel besonders viel Wind weht.

Da auch die enormen Überkapazitäten an konventionellen Kraftwerken die negativen Preise befördern, hofft die Windbranche auf einen Abbau der Kohleblöcke: „Alle Marktteilnehmer brauchen dringend planbare Ausstiegsszenarien für den fossilen Kraftwerkspark“, sagt Hermann Albers, Präsident des Bundesverbandes Windenergie (BWE).

Noch weniger kalkulierbar als 2016 wird 2017 sein. Denn für Anlagen, die erst dann genehmigt werden, soll es keine gesetzlich definierte Einspeisevergütung mehr geben. Die Sätze werden dann in Ausschreibungen bestimmt.

Details werden aber wohl erst im Laufe des kommenden Jahres mit der abermaligen Novelle des erst 2014 erheblich umgebauten Erneuerbaren-Energien-Gesetzes klar werden. Und das verunsichert den Markt massiv, da die Planungszeit von Windprojekten bei durchschnittlich drei bis fünf Jahren liegt.

Zwar ist die deutsche Wind­industrie mit einer Exportquote von bis zu 60 Prozent längst nicht mehr allein vom Heimatmarkt abhängig. Trotzdem ist der wichtiger, als es die reinen Prozentangaben erscheinen lassen. Das Inlandsgeschäft sei „Rückgrat für den Erfolg auf den Weltmärkten“, sagt BWE-Mann Albers. Was Deutschland bei der Photovoltaik hingenommen hat, müsse eine Warnung sein: Dort habe die Politik „leichtfertig die Technologieführerschaft aufgegeben“.

Bernward Janzing

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