Champions-League Leverkusen bei Barca: Gescheiterter Masterplan
Torhüter ter Stegen scheitert derzeit beim FC Barcelona auch an seinem Geltungsdrang. Gegen Leverkusen steht er unter besonderer Beobachtung.
Zu null zu spielen ist das Lebenselixier eines Torwarts. Ter Stegen, 23, hat seit dem 3:0 gegen die Bayern im Mai, dem letzten Besuch einer deutschen Elf, nicht mehr zu null gespielt. Obwohl er wegen der Verletzung von Kontrahent Claudio Bravo derzeit so viel spielt wie noch nie beim FC Barcelona.
Siebenmal schon diese Saison. Sieben Partien, 16 Gegentore. So viele wie in der gesamten letzten Spielzeit in 21 Partien. Dreimal vier Gegentore, viermal ein Gegentor. 2,29 Gegentore pro Spiel. Gegentore, Gegentore, Gegentore: Sie schreien ihn quasi an, aus den Sportzeitungen, Tag für Tag.
Immerhin, vor dem Besuch von Bayer Leverkusen mit dem alten Weggefährten – und, wie es heißt, Intimfeind – aus deutschen Juniorentagen, Bernd Leno, gab es wieder positivere Schlagzeilen. „Ter Stegen besteht das Examen“, fand Sport nach dem Spiel gegen Las Palmas. Das Tor der kanarischen Gäste zum 2:1-Endstand war ja nicht seine Schuld. Andererseits: Wenn einmal der Zustand erreicht ist, dass jedes Spiel zum Examen wird, dann hat ein Keeper natürlich ein Problem.
Ter Stegen hat rund zweieinhalb der 16 Gegentore verschuldet: Beim 0:4 in Bilbao im Supercup klärte er so unnötig wie misslungen mit dem Kopf; beim 4:1 gegen Levante unterlief er eine Flanke; und beim 55-Meter-Bananenschuss von Alessandro Florenzi in der Champions League in Rom war seine Rückwärtsbewegung nicht optimal – darüber wird noch debattiert, aber die technischen Fragen sind wohl gar nicht so entscheidend wie der Eindruck, dass ter Stegen verdächtig oft auf dem Foto zu sehen ist, wenn irgendwo seltsame oder unerwartet viele Treffer fallen.
Harte Prüfungen
Als ob dieselbe Planetenstellung, die ihm so viel Talent schenkte, ihm dafür umso härtere Prüfungen auferlegt. Ter Stegen kennt das ja schon von seinen Auftritten in der A-Nationalelf: vier Spiele, zwölf Gegentore, darunter vier gegen die USA samt Torwartpanne und fünf gegen die Schweiz. Oder zuletzt, U21-EM gegen Portugal: fünf Gegentore.
Es braucht schon Selbstbewusstsein, um das wegzustecken. „Wenn Marc irgendetwas nicht verloren hat, dann das Selbstbewusstsein“, sagt Teamkollege Marc Bartra. Das ist einerseits gut, denn Zweifel machen es ja nicht besser, und in der Weite des Camp Nou haben schon erfahrenere Weltklassetorhüter ihren Kompass verloren.
Andererseits würde sich ter Stegen mit ein bisschen mehr Demut wohl einen Gefallen tun: seine fußballerischen Qualitäten nur noch streng zielorientiert einsetzen, den jugendlichen Geltungsdrang zügeln, mehr Verlässlichkeit ausstrahlen. Nicht versuchen, einen Topstürmer wie Manchester Citys Sergio Agüero auszudribbeln wie vorige Saison in der Champions League.
Kritik prallt ab
„Warum sollte ich etwas ändern?“, entgegnet der Angeklagte auf Kritik an seiner aufgerückten Spielweise, in der ihn Trainer Luis Enrique (“Das verlange ich von meinen Torhütern“) öffentlich bestätigt. Die jüngsten Korrekturen von Unzué, selber Extorwart, deuten indes darauf hin, dass ter Stegens Vorgesetzte angesichts der aktuellen Unsicherheiten im Team eine konservativere Interpretation bevorzugen. Für die steht auch Bravo, der am Samstag in Sevilla zurückkehren könnte. Schon seinen Wiedereinstieg ins Training nahm die Presse mit Erleichterung auf.
Im besten Fall für ter Stegen wird Luis Enrique dann zur Rotation zurückkehren und ihn wieder beide Cup-Wettbewerbe spielen lassen. Der Masterplan, sich über eine vorzeitige Rückkehr aus dem Urlaub und einen starken Saisonbeginn als feste Nummer eins zu etablieren, ist erst mal gescheitert.
Er ist beliebt bei Mitspielern wie Zuschauern, er gilt weiter als Barças Torwart für das nächste Jahrzehnt. „Unser Vertrauen in ihn ist nicht groß, sondern riesig“, sagte gestern sein Kumpel Ivan Rakitic. Ein Spiel ohne Gegentor würde trotzdem helfen.
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