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Vier Jahre für Steinewerfer

ISRAEL Während der jüdischen und muslimischen Feiertage kommt es erneut zu Auseinandersetzungen in Jerusalem. Die Regierung beschließt schärfere Gesetze

Polizei versperrt Palästinensern den Weg zum Tempelberg Foto: Ammar Awad/reuters

AUS JERUSALEM Mareike Enghusen

Die Feiertage bringen Jerusalem keine Ruhe. Am Sonntag, dem letzten Tag des muslimischen Opferfests und Beginn des jüdischen Laubhüttenfests, gerieten erneut israelische Polizisten und Palästinenser auf dem Tempelberg aneinander. Laut Angaben der Polizei warfen maskierte Jugendliche Steine und Molotowcocktails auf die Sicherheitskräfte. Wie die palästinensische Nachrichtenagentur Ma’an berichtete, schossen die Polizisten mit gummiummantelten Kugeln auf Palästinenser.

Seit Wochen geraten immer wieder palästinensische Demonstranten und israelische Sicherheitskräfte in Jerusalem aneinander, vor allem am Tempelberg. Während des Opferfests hatte die Polizei das Areal für nichtmuslimische Besucher gesperrt, um Spannungen zu vermeiden. Doch am Samstag berichteten mehrere Medien, dass rechte israelische Aktivisten planten, sich am Fuß des Tempelbergs zum Gebet zu versammeln. Viele Palästinenser fürchten, Israel wolle den sensiblen Status quo ändern, der nur Muslimen das Beten auf dem Areal erlaubt. Der Knessetabgeordnete Ayman Odeh, Vorsitzender der arabischen „Vereinten Liste“, schrieb Samstag auf Facebook: „Ich bin jetzt in der Al-Aksa-Moschee inmitten einer großen Gruppe . . . wir sind hier, um zu verhindern, was die Siedler vorhaben, nämlich, die Souveränität über das Territorium der Moschee zu teilen.“

Rechte israelische Aktivisten setzen sich dafür ein, dass Juden das Beten auf dem Tempelberg gestattet wird. Regierungschef Benjamin Netanjahu betont jedoch regelmäßig, er wolle den Status quo erhalten.

Zugleich versucht die Regierung, die Lage mit schärferen Gesetzen unter Kontrolle zu bringen. Am vergangenen Donnerstag beschloss das israelische Sicherheitskabinett ein Mindeststrafmaß von vier Jahren Gefängnis für Erwachsene, die Steine oder Molotowcocktails werfen; das Maximum beträgt zwanzig Jahre. Sind die Steinewerfer zwischen 14 und 18 Jahren alt, sollen sie und ihre Eltern eine erhöhte Geldstrafe zahlen.

An den neuen Richt­linien üben gleich mehrere politische Lager Kritik

Die Strafen gelten als „temporäre Maßnahme“ für die kommenden drei Jahre. Zudem wurden Einsatzregeln für Schusswaffen gelockert: Bisher durften Polizisten das Feuer nur dann eröffnen, wenn ihr eigenes Leben in Gefahr war. Nun dürfen sie auch schießen, wenn das Leben anderer bedroht ist. Den Maßnahmen ging der Tod eines Israelis voraus. Er starb, nachdem palästinensische Jugendliche sein Auto mit Steinen bewarfen und er einen Posten rammte.

Die neuen Richtlinien werden von verschiedenen Seiten kritisiert. Der Generalsekretär der PLO, Saeb Erekat, beschrieb sie als „reinen Vorwand, um die eskalierenden israelischen Verbrechen gegen das Volk Palästinas zu rechtfertigen“. Die israelische Menschenrechtssorganisation B’Tselem schrieb, die Lockerung der Schussregeln werde, „anstatt die Ordnung in Jerusalem wiederherzustellen, den Zyklus von Gewalt beschleunigen – mit tödlichen Ergebnissen“.

Selbst von offizieller Seite kommt Protest: Israels Generalstaatsanwalt Yehuda Weinstein sprach sich gegen ein Mindeststrafmaß für Steinewerfer aus und forderte, die neuen Maßnahmen auf ein Jahr statt wie vorgesehen auf drei zu begrenzen. „Solange das Gesetz rechtmäßig ist, ist es nicht nötig, dieses Drama zu veranstalten“, erklärte daraufhin die Justizministerin Ayelet Shaked im Interview mit dem israelischen Armeeradio. „Wenn die Knesset sieht, dass die Strafen für Steinewerfen nicht ausreichen, dann hat sie ein Recht darauf, ein Mindeststrafmaß festzulegen.“

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