Quereinsteigerin im Klassenzimmer: „Die Akzeptanz der Schüler verdienen“
Um genug LehrerInnen einstellen zu können, fördert das Land Berlin den Quereinstieg. Auch für Kathrin Müller-Jones ist es die zweite Karriere.
Über 300 sogenannte QuereinsteigerInnen in den Lehrerberuf wurden zum aktuellen Schuljahr eingestellt – immerhin rund 15 Prozent aller Neueinstellungen. Auch Kathrin Müller-Jones, 48 Jahre alt, ist nicht den klassischen Weg über Lehramtsstudium und Referendariat gegangen. Die Diplom-Informatikerin arbeitete zunächst in einer Unternehmensberatung, dann kamen drei Kinder, und der Wiedereinstieg in den alten Job gestaltete sich schwierig. Im Jahr 2013 begann Müller-Jones an der Heinrich-Böll-Oberschule in Spandau eine berufsbegleitende Ausbildung zur Lehrerin für Informatik und Mathematik. Mit der taz sprach die Kladowerin damals über ihre Erwartungen: „Ich will freundlich sein, mich aber auch durchsetzen. Lieber mit Lob als mit Strafen arbeiten.“ Zwei Jahre später hat sich Müller-Jones nun noch einmal mit der taz getroffen: Ihre Ausbildung ist zu Ende, sie zieht eine – vorläufige – Bilanz.
„Wenn ich mir heute anschaue, was ich 2013 gesagt habe, muss ich ein bisschen schmunzeln. Ich glaube, ich bin sehr furchtlos an meinen neuen Job herangegangen. Ich hatte einfach Lust, nach der langen Kinderpause beruflich noch mal was anderes zu machen. Außerdem war ich als Mutter erschrocken, wie schlecht der Unterrichtsstoff teilweise vermittelt wird. Des Öfteren habe ich dann mit meinen Kindern und deren Schulfreunden den Unterricht nachgearbeitet und gemerkt: Das kann ich, ich kann Dinge verständlich machen.
Ich bin aber froh, dass ich mich in dem, was ich vor zwei Jahren gesagt habe, auch noch wiedererkenne. Ich unterrichte als Klassenlehrerin Mathematik und Informatik in der Mittelstufe, das sind die Klassenstufen 7 bis 10. In dem Alter muss man schon sehr viel Erziehungsarbeit leisten, das ist nicht immer leicht. Man muss sich die Akzeptanz der Schüler verdienen. Dass einen dabei Strafen nicht unbedingt weiterbringen, hat sich für mich bestätigt.
Ich hatte zum Beispiel mal eine Klasse, die war extrem unruhig, die sind gerne mal mit den Laptops in der Hand durch den Raum geturnt. Trotzdem habe ich versucht, den Schülern gegenüber das Positive zu betonen, bevor ich sie kritisiere. Es war nicht einfach, mich da zurückzuhalten, aber das hat mir ihr Vertrauen und ihren Respekt eingebracht.
„Geschichten ausdenken“
In der Oberstufe ist die Herausforderung eher, dass man es schafft, die Schüler noch für das Fach zu begeistern. Dass sie zuhören – oder überhaupt zum Unterricht kommen. Oft versuche ich zusätzlich zu dem vorgegebenen Mathematikbuch eigene Arbeitsblätter auszuarbeiten. Denn der Einstieg in ein Thema ist sehr wichtig. Ich versuche, mir Geschichten auszudenken, die die Schüler abholen.
Einmal habe wir ausgerechnet, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, die Prüfung zum Sportbootführerschein durch zufälliges Ankreuzen der Antwortmöglichkeiten zu bestehen. Die meisten haben geschätzt: 25 Prozent. Am Ende konnten sie gar nicht glauben, dass die Wahrscheinlichkeit nahezu bei null liegt. Sie dachten, sie hätten sich verrechnet und waren richtig in Aufruhr. Das hat Spaß gemacht zu sehen, wie die Schüler da plötzlich auch emotional beteiligt waren.
Die Ausbildung bei mir lief genau wie bei normalen Referendaren von der Uni. Zwei Jahre lang hatte ich an drei Vormittagen in der Woche Fachseminare in Mathe und Informatik und ein Hauptseminar, in dem es um Schulorganisation oder Erziehungsthemen geht. Dazu habe ich 13 Stunden in der Woche vor der Klasse gestanden.
Die Fachseminare waren super. Man gibt sich gegenseitig viele Tipps, das hilft enorm. Wie gut oder schlecht jemand die Theorie aus den Seminaren vor der Klasse umsetzt, ist sehr individuell, das hat nicht so viel mit dem Ausbildungsweg zu tun.
Urlaubslektüre Schulbuch
Für meine Schüler und die Eltern spielt es auch gar keine Rolle, dass ich keine klassische Lehrerausbildung habe. Das war noch nie ein Thema. Auch unter den Kollegen gibt es an meiner Schule zum Glück keinerlei „Klassendenken.“
Natürlich fehlt uns Quereinsteigern das Pädagogikstudium, das stimmt. Aber das Misstrauen, mit dem Seiteneinsteiger teilweise konfrontiert werden, ist in vielen Fällen ungerechtfertigt. Selbstverständlich sollte man den Beruf nicht machen, nur weil es mit der ersten Karriere nicht geklappt hat. Man muss Spaß an der Arbeit mit den Schülern haben, man muss sehr viel Energie investieren, sich viel in Eigenregie erarbeiten – gerade wenn das eigene Fachstudium schon eine Weile her ist und man keine spezielle Didaktikausbildung hatte.
Dass ich auch an den Wochenenden Zeit am Schreibtisch verbringe, ist normal. Dieses Jahr waren die ersten Sommerferien, in denen ich mal ein paar Wochen nicht gearbeitet habe. Obwohl – zu meiner Urlaubslektüre gehörte auch ein Schulbuch.
Ich denke, man darf auch die Lebenserfahrung nicht unterschätzen, die viele Quereinsteiger mitbringen. Meine Oberstufenschüler interessieren sich zum Beispiel sehr dafür, was ich ihnen aus meiner Zeit in der Unternehmensberatung erzählen kann. Und ich habe drei Kinder durch die Pubertät gebracht – das ersetzt locker ein Pädagogikseminar für die Mittelstufe.“
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